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Klimafolgen: Kämpfe um die Anpassung
Der Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels wird zu einem immer zentraleren Thema – und birgt ein endloses Konfliktpotenzial
In der internationalen Klimadiplomatie bilden Fragen der Anpassung an die Klimakrise seit Langem einen zentralen Verhandlungsstrang. Auch die Ampel hat dem Bundestag gerade ein Klimaanpassungsgesetz vorgelegt. Wenig überraschend konzentriert es sich auf technische Aspekte, schreibt etwa bei öffentlicher Bau- und Infrastrukturplanung die Berücksichtigung von Klimafolgen vor – ohne harte Kriterien. Messbare Ziele sollen aber folgen.
Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.
Zweifellos verlangt der Umgang mit der Klimakrise ingenieurwissenschaftliche Brillanz. Und tatsächlich wird längst geräuschlos Anpassung geplant, überall dort, wo abseits öffentlicher Debatten und politischer Fallstricke Klimafolgen nüchtern anerkannt werden können – in Unternehmen, kommunalen Infrastrukturbetrieben und Verwaltungen, in der Landwirtschaft, beim Militär.
Doch die viel tiefgreifenderen Baustellen werden gesellschaftliche sein. Es gilt die Lebens- und Produktionsweise anzupassen – zu größerer Resilienz, anderen Arbeitsrhythmen, Katastrophenbewältigung als Daueraufgabe. Aber wie? Jede denkbare Anpassungsleistung bedeutet Konflikt: um Ressourcenverteilung, Arbeitsbedingungen, Mitbestimmung, Privilegien. Doch wenn es um die Bedingungen geht, unter denen Anpassungen stattfinden, ist der vorherrschende Modus weiterhin einer der Verdrängung und Dethematisierung. Zunehmend aggressiv, wie im liberal-konservativen Lager, oder vornehm-halbverschämt, wie im Mitte-Links-Spektrum.
Ob offen thematisiert oder nicht: Anpassungskämpfe werden zu zentralen politischen Konflikten dieses Jahrhunderts. Sie werden in alle Lebensbereiche intervenieren, alle politischen Konfliktlinien überlagern, überall mitverhandelt werden. Wird eine zunehmend knappe Wasserversorgung gerecht verteilt oder von Konzernen angeeignet? Wird in immer heißeren mitteleuropäischen Ländern zum Gesundheitsschutz eine mittägliche Siesta erkämpft, gegen alle protestantische Tradition? Wie reagiert das europäische Grenzregime auf sogenannte Klimaflüchtlinge? Wer bezahlt für Katastrophenschutz, wer für Wiederaufbau nach dem nächsten Desaster? Wer trägt die Kosten in dramatisch betroffenen Ländern des globalen Südens, die selbst kaum etwas zur Klimakrise beitragen?
Anpassungskämpfe werden dank der dynamischen Entwicklung der Klimakrise zum Dauerphänomen. Lässt sich der Stand im Kampf gegen die Erderhitzung ziemlich objektiv an CO2- und Temperaturwerten ablesen, so werden die vielschichtigen Anpassungskämpfe unübersichtlicher, können umso weniger in ihrer Gesamtheit »verloren« oder »gewonnen« werden.
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Wir sind längst mittendrin: In allen Kulturkämpfen und Faschisierungstendenzen der Gegenwart spielen Anpassungsfragen eine wichtige Rolle – mal mehr, mal weniger explizit. Am plastischsten wird das vielleicht an den EU-Außengrenzen. So ist auch die Einigung auf eine drastische Einschränkung des Asylrechts nicht zuletzt als Vorbereitung auf eine Welt zu verstehen, in der immer mehr Menschen auf der Flucht sein werden. Das Narrativ der »Klimaflüchtlinge« ist sehr vereinfachend, klammert lokale Konflikte und ungleiche globale Wirtschaftsbeziehungen aus, aber: Klimakatastrophen verstärken zweifellos die Vertreibungsdynamiken. Das wissen auch diejenigen, die jetzt Abschottung für alternativlos erklären.
Für Klimagerechtigkeit sind Anpassungskämpfe letztlich entscheidender als jene um Emissionsminderung: Ein instabiles Klima bedeutet dauerhaftes Chaos, doch am Ende kommt es auf den gesellschaftlichen Umgang damit an. Eine Zwei-Grad-Welt kann völlig unterschiedliche kollektive Lebensrealitäten bedeuten. Es gibt dafür das autoritäre Modell »Festung Europa« – und es gibt ein solidarisches Modell der lokalen Versorgungssicherung und starken öffentlichen Infrastrukturen bei offenen Grenzen. Zwischen diesen Polen wird sich das Drama des 21. Jahrhunderts abspielen.
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