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Reichsbürgerprozess: Gummibärchen und Shoah-Leugnung

Erneut krude Einlassungen der mutmaßlichen »Chefideologin«

  • Joachim F. Tornau, Koblenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Verschwörung gegen die Deutschen versteckt sich überall, sogar im Gummibärchen. Haribo, dozierte Elisabeth R. am Donnerstag vor dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz, sei in Wahrheit gar kein harmloser Markenname, sondern eine griechisch-hebräische Botschaft »zur Verspottung unserer Ahnen«. Warum, das muss man nicht verstehen. Wichtig ist nur: Es geht immer gegen die Deutschen, seit 3000 Jahren schon. Ein Komplott von Juden und Papst, allumfassend und mörderisch. So sieht das die ehemalige Lehrerin und habilitierte Theologin, die einer Gruppe militanter »Reichsbürger« das ideologische Fundament für ihre Terrorpläne geliefert haben soll.

Seit drei Monaten stehen die 76-Jährige und vier Männer vor Gericht. Sie sollen Sprengstoffanschläge, einen großflächigen Stromausfall sowie eine Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und den Sturz der Bundesregierung geplant haben. Ihr Ziel laut Anklage der Bundesanwaltschaft: die Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871 wieder in Kraft zu setzen. Denn jedenfalls für Elisabeth R. ist die Bundesrepublik ein »Wirtschaftsunternehmen«, gesteuert von der jüdisch-jesuitischen Verschwörung.

Sieben der bislang 14 Verhandlungstage füllte der Vortrag, mit dem die mutmaßliche Chefideologin, als Einlassung zur Sache deklariert, ihre Weltsicht darlegte. Es wäre leicht, sich lustig zu machen über ihre Pseudowissenschaft, ihren haarsträubenden Unsinn über Geburtsurkunden, die an der Börse gehandelt werden, oder über Ortsschilder, die mit ihrer schwarzen Umrandung anzeigen, dass in deutschen Städten heute nur noch totes »Personalvieh« lebe. Doch unterschätzt werden darf Elisabeth R. nicht.

Die radikale Protestantin war offenbar das Bindeglied zwischen den Angeklagten und dem Neonazi-Funktionär Rigolf Hennig, der als Oberhaupt für das neue deutsche »Reich« im Gespräch war. Elisabeth R. teilte mit dem im März 2022 verstorbenen Shoah-Leugner aus dem niedersächsischen Verden ihren aggressiven Antisemitismus. Bevor sie jetzt ihre Einlassung vor Gericht beendete, verstieg sie sich zu Äußerungen, die sich schwerlich anders interpretieren lassen denn als Leugnung des Massenmords der Nazis an den europäischen Jüdinnen und Juden. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg habe es weltweit mehr jüdische Menschen gegeben als vorher, behauptete R. Vergeblich forderte Staatsanwalt Nikolaus Forschner daraufhin, der Angeklagten wegen Volksverhetzung das Wort zu entziehen. Sie durfte weiter agitieren und warf der Bundesanwaltschaft dann noch »Hochverrat« und »Genozid an den Deutschen« vor.

Weil das Gericht die Angeklagten so ausschweifend reden lässt, wie sie wollen, ist bis zu der nun anstehenden Sommerpause außer Elisabeth R. nur noch der Buchhalter und ehemalige NVA-Soldat Sven B. zu Wort gekommen – auch er ein rechter Verschwörungserzähler, mit anderen Schwerpunkten allerdings. Bei dem 55-Jährigen aus Brandenburg geht es vor allem um den Kampf gegen eine vermeintliche »Corona-Diktatur«, um DDR-Nostalgie und um Russland-Verehrung. Er hat die Putsch- und Entführungspläne stolz gestanden, nur mit Waffen und Sprengstoff will er nichts am Hut gehabt haben.

Am Donnerstag behauptete er einmal mehr, ein verdeckter Ermittler habe den »Vereinten Patrioten« Waffen »untergeschoben«. »Es ist falsch, wenn die Anklage behauptet, wir hätten nach Waffen und Beschaffungswegen gesucht«, sagte B. Der einzig geplante Waffenkauf sei auf Initiative des verdeckten Ermittlers zustande gekommen.

Der verdeckte Ermittler spielt im Prozess eine entscheidende Rolle. Er war nach einem früheren Beschluss des Bundesgerichtshofs monatelang im Umfeld der Beschuldigten eingesetzt. Einer der Angeklagten hatte ihn unmittelbar vor seiner Festnahme für ein Waffengeschäft getroffen.

Elisabeth R. dagegen bestreitet, dass jemals ein gewaltsamer Umsturz geplant gewesen sei: »Die vorgeworfenen sogenannten Straftaten sind Ausdruck terroristischer Verbalfingierung.« Zugleich bemühte sie sich um demonstrative Distanz zu ihren Mitangeklagten. Als Sven B. sie am Donnerstag beim Vornamen nannte, verbat sie sich prompt diese Vertraulichkeit. »Eine solche Nähe gab es nie«, ließ sie ihren Anwalt erklären.

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