Französischer Ex-Präsident Nicolas Sarkozy entfacht Proteststurm

In Zeitungsinterview zum Ukraine-Krieg wirbt französischer Ex-Präsident für Dialog mit Putin

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy plädiert für Verhandlungen mit Russland, um den Ukraine-Krieg zu beenden, und stößt damit auf Gegenwind. Hier schüttelt er dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor einem bilateralen Treffen beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm die Hand.
Der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy plädiert für Verhandlungen mit Russland, um den Ukraine-Krieg zu beenden, und stößt damit auf Gegenwind. Hier schüttelt er dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor einem bilateralen Treffen beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm die Hand.

Nicolas Sarkozy ruft dazu auf, »einen Ausweg aus dem Ukraine-Krieg zu suchen, indem wieder mit Russland gesprochen wird«. Der rechte Ex-Präsident, der 2007 bis 2012 im Pariser Élysée amtiert hatte, nutzte ein Interview mit der Zeitung »Le Figaro« aus Anlass des Erscheinens des dritten Bandes seiner Autobiografie, um ausführlich seine Sicht auf den Krieg darzulegen und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Der Konflikt ließe sich »nicht mit Waffengewalt, sondern nur durch Diplomatie, Diskussionen und die Suche nach Kompromissen« sowie durch Volksabstimmungen über das »Schicksal umstrittener Regionen« regeln.

Der ehemalige französische Staatschef betonte, wie gut er Wladimir Putin kenne, denn schließlich sei er es gewesen, der den russischen Präsidenten 2008 überzeugt habe, seine schon bis an die Grenzen Georgiens vorgerückten Panzer zurückzuziehen. Aus zahlreichen Gesprächen habe er die Überzeugung gewonnen: »Putin ist nicht irrational.« Zur Krim sagt Sarkozy, dass sie bis 1954 zu Russland gehörte, dass sich dort die Mehrheit der Bevölkerung »immer russisch gefühlt« habe und dass »jede Rückkehr zum früheren Status illusorisch« sei.

Der Ex-Präsident räumt ein, dass die handstreichartige Angliederung der Krim an Russland 2014 völkerrechtswidrig gewesen sei. Seiner Meinung nach könne aber nur ein unter internationaler Kontrolle durchgeführtes Referendum darüber entscheiden, ob die Zugehörigkeit zur Russischen Föderation anzuerkennen sei oder nicht; das Gleiche gelte für die »umstrittenen Territorien im Osten und Süden der Ukraine«. Mittels international überwachter Volksabstimmungen könne »die territoriale Frage definitiv und transparent geklärt« werden.

Eine Mitgliedschaft der Ukraine nach Ende des Krieges in der Europäischen Union oder gar in der Nato hält der Ex-Präsident für »völlig ausgeschlossen«. Aufgrund der historischen und geografischen Gegebenheiten dieser »so komplexen Region« ist Sarkozy fest davon überzeugt, dass die Ukraine »neutral« sein und als »Brücke zwischen Europa und Russland« dienen müsse.

Die Äußerungen des ehemaligen Staatsoberhauptes, die im krassen Gegensatz zur Politik Frankreichs und seiner europäischen Partner in diesem Konflikt stehen, haben erwartungsgemäß eine Flut kritischer Reaktionen ausgelöst. Einer der Ersten war Jérôme Poirot, enger Berater des Ex-Präsidenten und stellvertretender Geheimdienstkoordinator im Élysée von 2009 bis 2015. Sarkozys »Lösungsvorschläge« zum russisch-ukrainischen Konflikt stünden in krassem Widerspruch zum Völkerrecht. Der hohe Beamte erinnert daran, dass Sarkozy 2018, also vier Jahre nach der Annexion der Krim und trotz der deswegen verhängten Sanktionen der EU, in Moskau eine Serie von Vorträgen gehalten hatte und dafür »sehr hoch honoriert« wurde.

Edward Hunter Christie, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Brüssel und ehemaliger Nato-Berater, nennt das Interview »katastrophal«. Es zeuge davon, dass der Ex-Präsident »nichts von der Gefährdung der Sicherheit begriffen hat, die Putins Politik für Europa und die Welt heraufbeschwört«. Der Wissenschaftler schätzt ein: »Sarkozy kommt Putin entgegen, der seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine auf Risse in der Front der Regierungen Europas gegen seine Aggressionspolitik gehofft hat und der sich jetzt sicher bestätigt fühlt.«

Bruno Tertrais, Präsident der französischen Stiftung für strategische Forschung, bezeichnet das Interview als die »eines Staatsmannes unwürdige Ansammlung inhaltsleerer Allgemeinplätze«; als Beispiel zitiert er Sarkozy: »Die Russen sind Slawen, und sie brauchen uns genauso wie wir sie.« Der Grünen-Abgeordnete Julien Bayou, Mitglied der Kommission für Verteidigung in der Nationalversammlung, ist empört, dass sich ein ehemaliger Staatspräsident dafür hergebe, »blind die Doktrinen des Kreml aufzugreifen und zu verteidigen«. Nicolas Sarkozy sei »de facto von den Russen gekauft« und agiere »wie ein Beeinflusser im Dienste Russlands«.

Auch im benachbarten Ausland blieben Sarkozys Äußerungen nicht unkommentiert. So erklärte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn: »Es ist eines ehemaligen Staatschefs absolut unwürdig zu erklären, dass die Ukraine, ein souveräner und selbst von Russland anerkannter Staat, nicht das Recht haben soll, der Europäischen Union oder der Nato beizutreten.« Es sei auch zynisch zu erklären, man sollte sich mit dem gewaltsam herbeigeführten Status quo abfinden und einsehen, dass »die Annexion der Krim unumkehrbar« sei. Der ehemalige belgische Premier und heutige Abgeordnete Guy Verhofstadt fragt sich, ob man angesichts der Worte Sarcozys »lachen oder weinen« sollte. Sie zeugten von einer »tragischen Fehleinschätzung«, denn in Wirklichkeit sei Russland »unter Putin zu einem terroristischen Staat geworden«.

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