In der geistigen Provinz

Rechte Einstellungen im ländlichen Raum finden sich nicht nur im Osten. Ein Beispiel aus Hessen zeigt Verfestigungen bis zur Volksgemeinschaft

  • Daniel Keil
  • Lesedauer: 3 Min.
Kleinstadtidylle schützt nicht vor dem braunen Sumpf – ob nun im Osten oder wie hier in Hessen. Die »geistige Provinz« reicht aber auch bis in die Metropolen
Kleinstadtidylle schützt nicht vor dem braunen Sumpf – ob nun im Osten oder wie hier in Hessen. Die »geistige Provinz« reicht aber auch bis in die Metropolen

Jüngst kursierte ein Videoausschnitt der hessischen Videogruppe hessencam auf Twitter/X. Vor einer AfD-Versammlung in Rabenau-Geilshausen begründete ein mutmaßlicher Teilnehmer seine Ablehnung gegenüber der Pressearbeit mit »Ich bin Nationalsozialist«. Die Offenheit dieses Bekenntnisses mag schockieren, aber es weist auf ein Problem hin, das in der Rechtsextremismusforschung weiterer Untersuchungen bedürfte: die lokalen Traditionslinien autoritärer Vergemeinschaftung und – wie es sich im Anschluss an den Humangeographen Bernd Belina formulieren lässt – die Materialität geistiger Provinzialität.

Nur selten ist die Öffentlichkeit anwesend, wenn sich die Gemeinschaft autoritär formiert und kein Blatt vor den Mund nimmt. Wer solche Volksgemeinschaften nur als regionales Phänomen (Ostdeutschland, ländliche Region) betrachtet, verkennt die zugrundeliegenden und gewachsenen Strukturen. Ein Beispiel: Neuhof bei Fulda. Hier erhielt die AfD bei der Hessenwahl 2018 über 20 Prozent. Für die AfD saß nach der Bundestagswahl 2017 der Politiker Martin Hohmann aus Neuhof im Bundestag, der 2003 noch Mitglied der CDU war und damals, wie jedes Jahr, eine deutschnationale Rede zum 3. Oktober hielt. In die Schlagzeilen geriet jene Rede, da Hohmann seinen üblichen Rahmen mit eindeutig antisemitischen Aussagen überschritt. Daraufhin wurde er zwar aus der CDU ausgeschlossen, in Neuhof blieb seine Popularität aber ungebrochen.

Ein Jahr später hielt Hohmann erneut eine Rede am Tag der Deutschen Einheit. 500 Menschen – vom CDU-Rentner bis zum jungen Neonazi – kamen, aber dieses Mal auch knappe 30 Gegendemonstrant*innen. Bis auf zwei Ortsansässige waren die Aktivist*innen allerdings aus Frankfurt und Marburg angereist. Während die Einsatzleitung der Polizei, die den Schutz der Gegenkundgebung organisieren sollte, viele Teilnehmende der Hohmann-Veranstaltung fröhlich mit Handschlag begrüßte, wurde die bedrohliche Materialität der Volksgemeinschaft spürbar.

Diese Erfahrung lässt sich nicht in Zahlen festhalten, wer sie nicht gemacht hat, kann sie nicht durch reine Forschung nachvollziehen. Hohmann entgegnete damals, man solle sich nicht in die rechte Ecke schieben lassen. In seiner Vorstellung von Volksgemeinschaft gibt es ohnehin keine rechte Ecke, es gibt nur einen vereinheitlichten Ort: die geistige Provinz. Das meint nicht nur den ländlichen Raum, sondern die geistige Provinz reicht bis in die Städte. Es ist der Ort der widerspruchslosen, nationalistischen Monokultur, die alles Nicht-Angepasste als Angriff wahrnimmt. In der geistigen Provinz gibt es keine demokratische Pluralität, nur das »Ursprüngliche« und »Eigene«.

Dieser Ort wird seit Jahrzehnten tradiert, bis vor einigen Jahren noch dominiert durch in der CDU organisierte Milieus, wächst nun darin die AfD. Neurechte Ideologeme, die in jeder BPoC, queeren oder Transperson eine (unnatürliche) Agent*in der Zerstörung des Ursprünglich-Eigenen wittern, sind der intellektuelle Ausdruck dieses Ortes. Will man den Aufstieg der Rechten aufhalten, muss man diese geistige Provinz und deren Materialität durchbrechen. Ein erster Schritt ist es, diejenigen aktiv zu unterstützen, die vor Ort Gegenwehr leisten und deren Erfahrungen wahrzunehmen.

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