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Deutscher Volleyball-Verband: Neuanfang mit alten Helden
Die Ex-Aktiven Markus Dieckmann und Julius Brink wollen als Funktionäre den Deutschen Volleyball-Verband erneuern
Zwar verlor die deutsche Volleyball-Frauen-Nationalmannschaft am Donnerstagabend 0:3 gegen die Türkei, dennoch kämpft das Team an diesem Sonntag in Brüssel bei der Europameisterschaft im Achtelfinale gegen Polen um den Verbleib im Turnier. Doch spannender noch als das K.o.-Match in Brüssel ist für die Zukunft der Sportart das, was sich an diesem Wochenende in Bremen tut. In der Freien Hansestadt findet am Sonntag eine außerordentliche Mitgliederversammlung des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) statt, bei der ein neues Präsidium gewählt werden soll.
Nach dem überfälligen Rücktritt von Rekordnationalspieler René Hecht stehen nun Markus Dieckmann als Kandidat für das Präsidentenamt und Julius Brink als einer der Vize-Präsidenten zur Wahl. Gegenkandidaten wird es nicht geben. Die beiden einstigen Beachvolleyball-Helden gehören als Europameister (Dieckmann), Weltmeister und Olympiasieger (Brink) zu den Stars der Szene. Dass sie nun in die Verantwortung gehen, könnte für die Randsportart ein Quantensprung sein.
Zwar war der entthronte Hecht erst im vergangenen Jahr für weitere zwei Jahre wiedergewählt worden. Doch die Unzufriedenheit wuchs rasch. Unter der Ägide des Berliners verlor die Sportart zahlreiche prägende und kluge Köpfe – sei es durch nicht nachvollziehbare Kündigungen seitens des Verbandes oder aufgrund haarsträubender Entscheidungen sowie des schlechten Arbeitsklimas selbstgewählte Abgänge. Aktuell steht die Sportart mit gleich zwei olympischen Disziplinen im Sand und in der Halle ohne Vorstände und ohne Sportdirektoren da. Es herrscht ein riesiges Vakuum an Know-how und Führung, das Hecht und seine wenigen verbliebenen Vertrauten nicht mehr füllen konnten. Der 2,07-Meter-Mann schottete sich nach außen ab, gab kaum noch Interviews und verzettelte sich in einem Streit mit dem Fachblatt »Volleyball-Magazin«, das wegen kritischer Berichterstattung über den Verband von der Berichterstattung ausgeschlossen wurde.* Insgesamt entwickelte sich der Verband sportlich, wirtschaftlich und finanziell zurück. Durch seinen Rücktritt im Juli kam Hecht einer Abwahl zuvor, nachdem er seine Hausmacht – die Unterstützung der Landesverbände – verloren hatte.
Da hatte sich bereits das Schattenkabinett unter Führung von Dieckmann formiert, um eine Trendwende einzuleiten und eine Alternative aufzuzeigen. Brink (41) und Dieckmann (47) hatten bis vor Kurzem eigentlich nicht in ihren Agenden stehen, sich als DVV-Funktionäre in vorderster Linie einzubringen. Doch die Unzufriedenheit bei vielen Ex-Aktiven, die den Niedergang ihrer Sportart von außen zähneknirschend mit ansahen, gärte schon jahrelang. Die Perspektivlosigkeit im Spitzensport wurde immer gravierender.
Bei einem Gespräch im Frühsommer blickten sich Dieckmann und Brink schließlich in die Augen und beschlossen, selbst aktiv zu werden, anstatt sich immer nur weiter zu beklagen. Da aus den Reihen der Landesverbände kein Kandidat mit Mehrheit und eigener Agenda nach vorn treten wollte, entschloss sich das Duo, die Mammutaufgabe eben selbst anzugehen. »Wir wollen den deutschen Volleyball wieder auf die Füße stellen«, kündigte Dieckmann im »Volleyball-Magazin« an.
Nicht allein, versteht sich, sondern mit einem großen Expertenstab im Rücken. Darunter ist unter anderem Trainerlegende Jürgen Wagner für den Bereich Lehre, der Brink und seinen Partner Jonas Reckermann ebenso zu Olympiagold führte wie vier Jahre später Laura Ludwig und Kira Walkenhorst. Schwerins Manager Michael Evers, Schwergewicht der Szene, ist ebenso eingebunden wie Ex-Nationalspielerin Christiane Fürst, die den Bundesstützpunkt in Dresden leitet. Dazu sollen Persönlichkeiten wie der frühere Asics-Manager Markus Hupach externes Wissen in den Bereichen Werte und Führungskultur einbringen. Die Ex-Athletin Gabriele Freytag, Leiterin der Abteilung Sport in der Berliner Senatsverwaltung, soll ihr Know-how in puncto Struktur und Vermarktung einfließen lassen. Ein breit aufgestelltes Netzwerk an Fachleuten, das den vielfältigen Themen und Aufgaben gerecht werden soll.
Dass das Wochenende in Bremen am Samstagabend mit einem Townhall-Meeting eingeläutet werden soll, passt zur neuen, offenen Führungskultur, die die neuen Top-Ehrenamtler etablieren wollen. Nach Impulsreferaten des künftigen Präsidiums sollen die geladenen Gäste – die wichtigsten Köpfe im Volleyball hierzulande – mit dem designierten Präsidium in den Austausch und die inhaltlichen Diskussionen kommen. Nach Hechts Hinterzimmer-Politik sollen wieder Transparenz und Beteiligung geschaffen werden. Moderiert wird das Format von BR-Volleys-Manager Kaweh Niroomand, der den Wechsel im Verband von Beginn an mit unterstützt hat. »Es geht um einen Aufbruch im gesamten Volleyball«, sagt Niroomand im Gespräch mit dem »nd«. »Unser Ziel ist, dass wir jetzt einen Ruck erzielen.«
Dieckmann, Brink & Co treten dafür an, die alten Grabenkämpfe zwischen Halle und Beach, Liga und Verband zu beenden und sich als gesamte Sportart mit allen alten und neuen Helden wieder stärker in Sportdeutschland zu positionieren und medial sichtbarer zu werden. »Die Volleyballgemeinde ist aktuell eine Familie ohne Zusammenhalt, die muss zusammengeführt werden«, sagt Niroomand. Statt Machtkampf und -erhalt soll es wieder um Inhalte gehen, die die Sportart voranbringen.
Niroomand zählt drei grundlegende Probleme auf, die ganz oben auf der Agenda stehen. Es brauche ein neues Nachwuchskonzept, eine klare Leistungssportstruktur mit der deutlichen Handschrift eines neuen Sportvorstandes und der neuen Sportdirektoren bei der Führung aller Nationalmannschaften und ein Konzept für das Lehrwesen, um wieder bessere Trainerausbildung zu gewährleisten. »Es muss unser Ziel sein, dass bei den Bundesligisten wieder mehrheitlich deutsche Trainer arbeiten«, fordert Niroomand.
Die erste Aufgabe von Dieckmann und Brink wird es nun sein, die beiden vakanten hauptamtlichen Vorstandsposten für Sport und Wirtschaft/Finanzen und die beiden freien Sportdirektoren-Plätze mit den richtigen Leuten zu besetzen, um abhandengekommene Expertise zurückzugewinnen. Entscheidungen, die sitzen müssen. Nicht ausgeschlossen, dass sich einige Verprellte und Abgewanderte wie die Ex-Sportdirektoren Christian Dünnes und Niclas Hildebrand dem Verband nun wieder anschließen. Und auch die zahlreichen unbesetzten Posten in der Geschäftsstelle in Frankfurt, wo unter Hecht ein Reizklima herrschte, müssen nach dem personellen Aderlass der Vorjahre wieder neu vergeben werden.
Ausführlich öffentlich äußern werden sich Dieckmann und Brink erst nach ihrer Wahl. Doch wer insbesondere Brink kennt, weiß, wie unkonventionell er das neue Amt mit Leben füllen wird. Dass beide Quereinsteiger in den Funktionärsjob sind, kann dem oft verkrusteten Sportbetrieb nur guttun. »Er bringt alle Voraussetzungen mit«, sagt Niroomand über den künftigen DVV-Präsidenten Dieckmann. »Er kennt die Sportart, hat sich als Unternehmer erfolgreich betätigt und kommt aus einer Familie, die politisch sehr aktiv war.« Dieckmanns Mutter Bärbel war 15 Jahre lang Bürgermeisterin von Bonn und stellvertretende Vorsitzende der Bundes-SPD. Sein Vater Jochen war Justiz- und Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. »Markus Dieckmann weiß, wie man sich auf gesellschaftlichem Parkett zu bewegen und zu äußern hat«, schätzt Niroomand ein. Brink müsse nun »Substanz in den Rollenwechsel hineinbekommen«. Bisher habe er unter anderem als Kolumnist Probleme analysiert und kritisiert, nun sei er als Problemlöser gefragt, betont Niroomand. Nach Jahren des Stillstandes und der Rezession eine große Chance für die öffentlich stets unterbeleuchtete Sportart.
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