»Ihr beobachtet die Grenzen, wir beobachten euch«

In Dakar fordern Aktivist*innen den Abzug von Frontex

  • Kelly Bescherer
  • Lesedauer: 6 Min.
Drei Tage lang hat sich die Gruppe Boza Fii mit der Externalisierung der EU-Migrationspolitik befasst, zum Abschluß gab es eine Demonstration.
Drei Tage lang hat sich die Gruppe Boza Fii mit der Externalisierung der EU-Migrationspolitik befasst, zum Abschluß gab es eine Demonstration.

»Push back Frontex!« forderten Dutzende Demonstrant*innen, während sie am 12. August durch die Straßen eines Vororts von Dakar marschiert sind. Ihr Protest bildete den Abschluss einer dreitägigen Veranstaltung, die sich unter dem Motto »Ihr beobachtet die Grenzen, wir beobachten euch« gegen die Rolle der EU-Grenzagentur im Senegal richtete. »Die EU will uns eine mörderische, kriminelle und externalisierte Migrationspolitik aufzwingen, die für uns aber nicht passt«, sagt dazu der Aktivist Ibrahima Konate dem »nd«. Auch er hat sich an den Veranstaltungen gegen Frontex beteiligt.

Organisiert wurde die Veranstaltung von der Gruppe Boza Fii aus Dakar. Sie will damit ein Bewusstsein für die Rolle von Frontex und anderen EU-Akteuren im Bereich der Migrationspolitik schaffen. Dabei werden auch neokoloniale Politiken und die wirtschaftliche Zusammenarbeit kritisiert. Dazu veranstaltet Boza Fii Demonstrationen, Konzerte und macht Öffentlichkeitsarbeit zur europäischen Migrationspolitik im Senegal. Dort engagiert sich die Gruppe außerdem gegen Sammelabschiebungen und sorgt für Unterstützung für Personen, die in den Senegal abgeschoben wurden.

Seit Februar 2022 hängt eine von der EU-Kommission geplante Verhandlung eines Statusabkommens zwischen Frontex und Senegal in der Luft. Es würde, sollte es zustandekommen, den direkten Einsatz von Frontex-Beamt*innen in dem Land ermöglichen. Dazu sollen die eingesetzten Polizist*innen über straf- und zivilrechtliche Immunität verfügen. Laut der Linken-Europaabgeordneten Cornelia Ernst sei der »neokoloniale Aspekt eines solchen Abkommens nicht zu übersehen«. Ernst hatte den Senegal zusammen mit der Grünen-Abgeordneten Tineke Strik anlässlich des geplanten Frontex-Abkommens zur Entsendung von bewaffneten europäischen Grenzpolizist*innen auf senegalesisches Gebiet dieses Jahr besucht.

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Die senegalesische Regierung ist an einem solchen Statusabkommen vorerst aber doch nicht interessiert. Verhandlungen über ein Arbeitsabkommen, das den Datenaustausch ermöglichen würde, stehen ebenfalls noch aus. Wie Aktivist*innen von Boza Fii betonten, spielt die Grenzagentur dennoch eine wichtige Rolle in der senegalesischen Migrationspolitik. Seit 2019 hat Frontex eine »Risikoanalysezelle« in Dakar eröffnet und einen Verbindungsbeamten im Senegal stationiert. Sie sollen die nationalen Behörden dabei unterstützen, die unerwünschte Migration nach Europa einzudämmen. »Es ist sehr wohl bekannt, dass die Risiken, über die wir sprechen, nicht die Toten auf See sind, sondern vielmehr die Tatsache, dass afrikanische Bürger*innen europäisches Territorium erreichen können«, kommentieren Vertreter*innen von Boza Fii dazu bei einer Rede auf ihrer Veranstaltung.

Frontex ist auch nicht der einzige europäische Akteur, der in der senegalesischen Grenzpolitik Einfluss hat. Vor allem Spanien ist in dem Land mit Polizei- und Gendarmeriebehörden präsent. Hierzu hat etwa die für Grenzsicherung zuständige spanische Guardia Civil Abkommen mit dem Senegal geschlossen. Auch CIVIPOL, eine für die technische Polizeizusammenarbeit zuständige Gesellschaft des Innenministeriums aus Frankreich, ist an Projekten für die Grenzkontrolle und -überwachung im Senegal beteiligt. Boza Fii kritisiert diese Akteure, auch wenn sie nicht immer eine einheitliche Strategie verfolgen, als klare Tendenz zu einer zunehmenden Externalisierung der europäischen Migrationspolitik.

In den letzten Jahrzehnten haben die EU und ihre Mitgliedstaaten dafür enorme Summen für Projekte im Senegal bereitgestellt. Eines der wichtigsten Finanzierungsinstrumente war in den letzten Jahren der EU-Nothilfe-Treuhandfonds (EUTF) für Afrika. Der Fonds wurde 2015 eingerichtet, angeblich um »die Ursachen der irregulären Migration zu bekämpfen«. Laut einer Analyse der Deutschen Welle erhielten jedoch Projekte zur Kontrolle und Verhinderung von Migration den größten Anteil dieser Mittel. Zu den Projekten, die bisher im Rahmen des EUTF im Senegal gefördert wurden, gehören die Unterstützung der Sicherheitskräfte und der Migrationskontrolle sowie der Aufbau einer digitalisierten Bevölkerungsdatenbank. Inzwischen wurde EUTF durch das Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI) abgelöst.

Auch wenn die EU behauptet, mit der Unterstützung des Senegal die Ursachen von Konflikten und Vertreibung bekämpfen zu wollen, ist die Lage dort zunehmend angespannt. Im Juni führte die Verurteilung des Oppositionellen Ousmane Sonko dazu, dass dieser von der Kandidatur bei den kommenden Wahlen als Konkurrent gegen den Präsidenten Macky Sall ausgeschlossen wurde. Bei den daraus folgenden Protesten kamen mindestens 23 Menschen ums Leben, schätzt Amnesty International. Am 3. Juli kündigte Sall an, dass er nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren wird – von der Verfassung des Landes wäre dies auch nicht erlaubt.

Während sich anschließend die Spannungen vorübergehen zu beruhigen schienen, kam es nach der Verhaftung von Sonko Ende Juli und der Auflösung seiner Partei PASTEF erneut zu Todesfällen und heftigen Protesten. Seit rund vier Wochen befindet sich Sonko im Hungerstreik.

»Die Demonstrationen Anfang Juni haben der ganzen Welt gezeigt, dass Senegal kein sicheres Land ist, wie die EU glaubt. Die aktuelle politische Lage im Land ist katastrophal und führt zu Demonstrationen mit vielen Toten und ungerechtfertigten Inhaftierungen. Das ist einer der Gründe, warum junge Menschen das Land verlassen und die riskantesten Wege wählen,« sagt dazu der Aktivist Konate.

Trotz der vielen EU-Millionen mit Bezug zu Migration hat die Regierung in Dakar wenig Strukturen geschaffen, um den Verlust von Menschenleben auf See oder in der Wüste zu verhindern. Die Migrationsroute durch den Niger wird durch Grenzschließungen infolge des aktuellen Konflikts komplizierter. »Seit Beginn des Konflikts bitten viele humanitäre Organisationen wegen der geschlossenen Grenzen um Hilfe. Dies ist eine Folge der ECOWAS-Sanktionen gegen Niger«, sagt Konate.

Die spanische Gruppe Caminando Fronteras schätzt zudem, dass allein in der ersten Hälfte dieses Jahres 778 Menschen auf der sogenannten Kanarenroute auf dem Meer ihr Leben verloren haben. Boza Fii befürchtet, dass der Einsatz von Frontex im Falle eines Statusabkommens die Zahl der Todesfälle im Atlantik sogar erhöhen wird.

Wegen ihrer Verwicklung in Pushbacks auf See gerät Frontex in verschiedenen Ländern immer wieder die Kritik. Im Falle des Einsatzes von Frontex außerhalb Europas wäre diese Beihilfe oder Mitarbeit – auch juristisch – noch unklarer. Deutlich wurde dies in einem kürzlich erschienenen Berichtsentwurf der Europaabgeordneten Strik über ein ebenfalls von der EU anvisiertes Statusabkommen mit dem benachbarten Mauretanien. Dort sollen die Verhandlungen weiter fortgeschritten sein.

Für Boza Fii gibt es noch viel zu tun. Die Gruppe plant schon jetzt eine Reihe weiterer Aktionen und will solange weitermachen, bis die EU-Grenzagentur »endgültig aufgelöst« ist.

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