- Berlin
- NS-Gedenken
Neue Stolpersteine in Berlin: »Wieder mitten unter uns«
Zwei Gedenktafeln in Schöneberg gedenken ab sofort Benedikt Gambé und Charlotte Rettig – zwei schwarzen Verfolgten des Nationalsozialismus
»Warum ist Deutschlands schwarze Geschichte so unbekannt?« Diese Frage steht über der feierlichen Einweihung zweier Stolpersteine für schwarze Deutsche in der Fuggerstraße 20 in Schöneberg. Mit ihnen wird Benedikt Gambé und Charlotte Rettig ein kleines Denkmal gesetzt, die hier in den 30er Jahren lebten.
Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann (Grüne) würdigt am Samstag die »unglaublich wertvolle Arbeit« der ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen der Stolpersteininitiative. Gambé und Rettig seien Opfer von Ausgrenzung, Entwertung und Verfolgung geworden. Gerade heute würden solche Tendenzen wieder stärker. »Dem müssen wir entgegentreten«, sagt Oltmann.
So sieht es auch Maryse Nsangou, Kulturattachée der kamerunischen Botschaft. Sie blickt auf die Geschichte der Schwarzen in Deutschland. Die Minderheit sei versteckt und in die Vergessenheit gedrängt worden, »weil sie für manche, aus welchen Gründen auch immer, nicht existieren darf«, sagt Nsangou. »Die Aufarbeitung unserer gemeinsamen Geschichte ist wichtig. Das ist genau das, was uns hier heute zusammenbringt.«
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik - aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin - ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
Benedikt Gambé wurde 1904 in der damaligen deutschen Kolonie Kamerun geboren und nach dem Ersten Weltkrieg von einem Kolonialoffizier nach Deutschland gebracht. Anfang der 1920er Jahre machte er im damaligen Breslau (heute Wrocław) eine Ausbildung zum Performer, Schlagzeuger und Sänger und trat in der Weimarer Republik unter dem Künstlernamen James Dixon auf. 1933 zog er nach Berlin.
Charlotte Rettig kam 1913 in Strasburg in der Uckermark zur Welt. Auch sie zog nach Berlin, wurde Performerin und Tänzerin und nannte sich Jerry Jackson. Rettig und Gambé lernten sich spätestens 1935 kennen und wohnten in der heutigen Fuggerstraße 20. Beide scheinen sich nahegestanden zu haben, wie es bei Einweihung der Stolpersteine heißt.
Nach der Machtübernahme der Nazis und der Verabschiedung der »Nürnberger Gesetze« 1935 mussten Rettig und Gambé ihren Lebensunterhalt in der »Deutschen Afrika-Schau« verdienen, die im Dienst der deutschen Kolonialpropaganda stand.
Gambé, der seit dem Verlust der deutschen Kolonien als staatenlos galt, wurde 1937 verhaftet und verurteilt, 1938 in die Wittenauer Heilstätten in Berlin zwangseingeliefert und von dort in eine Heil- und Pflegeanstalt bei Hannover verlegt. Dort starb er im August 1940, wahrscheinlich wegen vorsätzlicher Vernachlässigung. Charlotte Rettig hingegen, der die Zwangssterilisierung drohte, flüchtete 1939 nach Kopenhagen. Sie arbeitete auch nach dem Krieg weiter als Tänzerin, heiratete, bekam eine Tochter und lebte bis 1987.
Anab Awale vom Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), die die Stolpersteinverlegung mitinitiiert hat, schlägt am Samstag den Bogen vom Beginn der Verschleppung nach Amerika über die deutsche Kolonialzeit bis hin zum Berlin von heute: »Während das Humboldt-Forum zum Symbol einer gescheiterten Erinnerungspolitik geworden ist, ist mit der Stolpersteinverlegung die Erinnerung an das Leben und die Verfolgung von schwarzen Deutschen, eine Pluralisierung der Erinnerungskultur gelungen.« Durch die Stolpersteine befänden sich Gambé und Rettig nun »wieder mitten unter uns«.
Weltweit wurden bislang 100 000 Stolpersteine verlegt, etwa 10 000 allein in Berlin. Nur sechs von ihnen waren bisher schwarzen Verfolgten gewidmet. Daran ändert sich jedoch langsam etwas: Seit dem 8. März gibt es in Schöneberg Stolpersteine für Erika Ngambi ul Kuo und Ludwig M’bebe Mpessa, seit dem 13. Mai für Zoya Aqua-Kaufmann und ihren Sohn Hans Joachim. Und nun wird eben auch an Benedikt Gambé und Charlotte Rettig erinnert.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.