IAA in München: »Nichts als Greenwashing«

Die Autoindustrie zerstört unsere Lebensgrundlagen, meint Klimaaktivistin Clara S. Thompson. Sie protestiert gegen die IAA

  • Interview: Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
Nasser Protest: Greenpeace-Aktivist*innen demonstrieren mit drei versenkten Autodächern in einem Wasserbecken vor der Messe in München.
Nasser Protest: Greenpeace-Aktivist*innen demonstrieren mit drei versenkten Autodächern in einem Wasserbecken vor der Messe in München.

Frau Thompson, Sie sind Klimaaktivistin und Verkehrsexpertin bei Greenpeace und in diesem Rahmen auch an den Protesten gegen die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in München beteiligt. Was ist Ihr Problem mit der IAA? Inzwischen geht es da doch viel um E-Mobilität.

Die IAA inszeniert in München eine grün verkleidete Show für die Autoindustrie. Auf den Panels und an den Ständen geht es um Mobilitätslösungen und E-Autos, aber die Branche dahinter setzt unbeirrt auf immer mehr große, schwere, energiehungrige Autos. Und neun von zehn davon rollen nach wie vor mit einem Verbrennungsmotor vom Band. Das ist der Grund, warum die Mobilitätswende nicht in Schwung kommt und unsere Hauptkritik an dieser Branche: Sie hat keinerlei Idee, wie wir zu einer klimaschonenden und naturverträglichen Mobilität kommen – im Gegenteil: Sie fährt unbeirrt weiter in die falsche Richtung.

Woran machen Sie das fest?

Eine diesen Montag veröffentlichte Greenpeace-Analyse zeigt: Die am meisten verkauften Modelle der deutschen Marken verbrauchen mehr Energie, mehr Rohstoffe und mehr Platz als die der meisten anderen in Europa verkauften Marken. Diese Branche produziert Verschwendung, die wir uns nicht mehr leisten können. Wir brauchen vor allem weniger Autos. Aber wir brauchen auch eine Lösung für Menschen, die auf dem Land leben: Neben Sharing-Angeboten und kleinen, leichten, elektrischen E-Autos als Übergangslösung muss endlich mehr in einen funktionierenden Bahn-, Bus- und Nahverkehr investiert werden.

Interview
Clara Thompson

Foto: privat


Clara S. Thompson ist Autorin, Verkehrsexpertin und Klimaaktivistin, unter anderem bei Fridays for Future engagiert und Mitbegründerin des Bündnisses »Wald statt Asphalt«. Für »nd« schrieb sie bis 2022 die Klimakolumne »Heiße Zeiten«. Die 26-Jährige hat Kulturwissenschaften in Leipzig und Edinburgh studiert und Soziologie mit Schwerpunkt auf Transformation in Jena. Aktuell arbeitet sie für Greenpeace zum Thema Verkehrswende.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hatte Greenpeace, Fridays for Future und die Letzte Generation zu Ständen und Veranstaltungen eingeladen. Ihre Gruppen haben sich jedoch gemeinsam und öffentlich für eine Absage entschieden. Warum?

Wir haben teilweise erst aus der Presse von dieser Einladung erfahren, kannten weder Teilnehmende noch Themen – das ist schlechter Stil und wirkt wie der durchschaubare Versuch, sich mit Klimaaktivist*innen im Programm zu schmücken. Das wäre nichts anderes als Greenwashing, daher konnten wir da nicht zusagen. Die Jugendlichen von Greenpeace haben dann eine öffentliche Diskussionsrunde organisiert und den VDA dazu eingeladen.

Sie haben sich für die Podiumsdiskussion außerdem mit der BUND-Jugend und der Initiative #Ichbinarmutsbetroffen zusammengetan. Letztere ist als einzige keine Klimagruppe. Wie kam dieses Bündnis zustande?

Der Wunsch kam auch von der Greenpeace-Jugend. Sie wollten zeigen, dass Klimagerechtigkeit auch ein soziales Thema ist. Beides muss zusammengehen. #Ichbinarmutsbetroffen setzt sich beispielsweise für ein Sozialticket für den ÖPNV ein. In den drei Monaten des 9-Euro-Tickets konnten viele armutsbetroffene Menschen zum ersten Mal Freunde und Familie in anderen Städten besuchen, ohne dabei abzuwägen zwischen einer solchen Reise und gutem Essen. 49 Euro sind zu teuer für viele – und jetzt wird sogar darüber gesprochen, das 49-Euro-Ticket zu verteuern. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit dürfen nicht weiter gegeneinander ausgespielt werden. Das gilt natürlich auch für die Autoindustrie, wo die anstehende Transformation nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden darf. Es geht schon lange nicht mehr nur um Klimaschutz.

Was ist Ihr Fazit der Diskussion?

Leider hat sich erneut gezeigt, dass der VDA ein extrem verkürztes Verständnis von Verkehrswende hat. Statt die Rolle der Autoindustrie grundlegend zu hinterfragen und Konzepte für gerechte Mobilität vorzustellen, setzten die Veranstalter der IAA allein auf E-Mobilität, aber da vor allem auf SUV, übermotorisierte Sportwagen und XXL-Limousinen. Es war ein angenehmes Gespräch, das stets sachlich war. Aber es zeigte erneut, wie wichtig unser Protest bleibt.

Der Protest gegen die IAA ist schon eine kleine Tradition, sowohl früher in Frankfurt als auch seit 2021 in München. Und zwar von bürgerlichen und radikaleren Klimagruppen. Auch dieses Jahr sind zahlreiche unterschiedliche Proteste geplant: von Demos über Kunstaktionen bis hin zum Camp mit Vorträgen und Workshops. Mit ungehorsamen Aktionen ist ebenfalls zu rechnen. Welche Bedeutung hat die IAA für die Klimabewegung? Kann sie die Bewegung, die aktuell oft zerstritten und gespalten wirkt, ein Stück weit vereinen?

Die IAA wird jedes Mal kleiner, die Stimmen dagegen aber immer lauter. Hier kommt die Bewegung zusammen, das ist schön zu sehen. Dieser Protest wird erst aufhören, wenn die Autoindustrie aufhört, Klima, Natur und damit unsere Lebensgrundlagen zu zerstören.

Ist es nicht auch manchmal frustrierend, dass der Autokapitalismus einfach nicht klein zu kriegen ist?

Die Autoindustrie, assistiert von einer passenden Verkehrspolitik, hat den Menschen über Jahrzehnte eingebimst, dass Mobilität und ein eigenes Auto dasselbe sind. Das finde ich frustrierend, aber mit dem Deutschlandticket kommt jetzt endlich etwas in Bewegung. Viele Menschen wollen sich klimaschonend fortbewegen. Sie merken, dass immer mehr Autos und immer mehr Straßen eine Sackgasse sind. Es ist motivierend zu sehen, wie viele verschiedene Menschen überall für die Verkehrswende aktiv sind: hier bei der IAA, am vergangenen Samstag bei der Großdemo gegen die A100 in Berlin oder auch in Waldbesetzungen.

Was glauben oder hoffen Sie, ganz konkret mit den Protesten gegen die IAA zu bewirken?

Autokonzerne sind verantwortlich für CO2-Emissionen, die denen ganzer Länder entsprechen – trotzdem bietet die IAA ihnen alle zwei Jahre eine Bühne, um sich grün verkleidet zu präsentieren. So etwas darf es im Jahr 2023 nicht mehr geben. In dieser Form hat die IAA keine Zukunft. Man könnte die Ausstellung zu einer Verkehrswende-Messe umgestalten, bei der wirklich klimafreundliche Konzepte für die Zukunft vorgestellt werden, die auf Bus-, Bahn- und Fahrradinfrastruktur setzen. Das beinhaltet eine andere Rolle des Autos, als sie die IAA vorsieht. Hinter der IAA stehen Konzerne, die schwere SUV, übermotorisierte Sportwagen und XXL-Limousinen verkaufen. Das passt nicht mit der Verkehrswende zusammen. Und das macht viele Leute wütend.

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