Entschuldigung, Hubert!

Heute ist niemand mehr der, der er mal war. Selbst wenn er es gar nicht war, sondern sie oder es

  • Alexander Estis
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Gute am Christentum ist die Bruderliebe. Am Katholizismus außerdem die Möglichkeit zur Schuldfreisprechung – hier ein Beichtstuhl im Unterallgäu.
Das Gute am Christentum ist die Bruderliebe. Am Katholizismus außerdem die Möglichkeit zur Schuldfreisprechung – hier ein Beichtstuhl im Unterallgäu.

Griaß Gohd, Hubert, und ein herzliches Schalom dazu, sozusagen als Beigabe. Und als Beigabe zu dieser Beigabe hab ich auch noch Ezzes für Dich: Weiter so!

Ezzes von Estis

Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.

Manche mögen das übel finden oder sogar oag, manche könnten Dich einen Miesnik schimpfen oder sogar einen Paskudnik. Ich aber sage Dir: Folge weiter unverbrüchlich dem Prinzip der christlichen Bruderliebe! Wenn jemand den rechten Aiwanger rügt, dann halte ihm einfach den anderen Aiwanger hin!

Wenn Du Hitlerreden eingeübt haben solltest, dann doch nur, damit Dein Bruder es nicht tun muss. Wenn Du »Mein Kampf« mit Dir herumgetragen haben solltest – es war sein Kampf. Und wenn Du den Hitlergruß gezeigt haben solltest, sag einfach: »Mein Bruder war schon immer meine rechte Hand!«

Halte unverbrüchlich fest an der christlichen Bruderliebe. Denn dass Du ein guter Christ bist, hast Du schon längst bewiesen, als Du, wie man sagt, ein Kreuz an die Wand gemalt hast. Ein Andreaskreuz. Mögen böse Zungen auch behaupten, es habe Serifen gehabt.

Eine böse Zunge behauptet vieles, wenn der Tag ebenso lang ist wie die Zunge. Sie sagt: Natürlich, zweifellos, selbstverständlich war das alles ekelerregend, menschenverachtend, geschmacklos. Aber geschmacklos ist ja vieles. Zum Beispiel Sandalen. Und wegen Sandalen macht auch keiner einen Aufstand, vielleicht weil so ein Aufstand auf tönernen Füßen stünde und die tönernen Füße womöglich selbst auf Sandalen. So viel sollten uns Sandalenfilme doch wohl gelehrt haben: dass Aufstände kaum je glücken. Vielleicht liebt man in Deutschland genau deshalb nichts so sehr wie Sandalen.

Aber im Ernst: Was da geredet wird, ist alles unbewiesen, und ohnehin soll man nicht streng urteilen. Wir alle machen Fehler. Besonders junge Menschen begehen noch als Jugendliche, als heranwachsende adoleszente Teenager, vor allem in ihren jungen Jahren, bevor sie erwachsen werden, zu früher, unreifer Zeit, Jugendsünden. Später werden die Jugendlichen erwachsen und reif und mit ihnen auch ihre Sünden.

Aber im Ernst: Man kann sich ändern. Man ändert sich. Ich bin nicht mehr, der ich war. Du bist nicht mehr, der Du warst. Niemand ist mehr, wer er war, selbst wenn es gar nicht er war, sondern sie oder es. Sogar niemand ist nicht mehr niemand, sondern niemensch. Überhaupt sind viele heuer nicht mehr, sondern minder. Alles ändert sich.

Sagen wir einmal, jemand war in der Jugend glühender Antisemit. Dann sind Jahrzehnte vergangen. Alles hat sich geändert. Er ist alt geworden. Dann ist er jetzt doch kein glühender Antisemit mehr. Dann ist er jetzt höchstens noch verglühender Antisemit.

Ich will also nicht streng urteilen. Ich will nicht den ersten Schmutz werfen. Daher bitte ich aus tiefstem Herzen um Entschuldigung. Ich unterstreiche, dass ich aufrichtig, nein: aufrichtigst, reuig, nein: reuigst, innig, nein: innigst um Entschuldigung bitte – nein: bittest!

Wenn ich jemandes Gefühle verletzt haben sollte, dessen Gefühle verletzbar genug zu sein scheinen, um dadurch verletzt werden zu können, was ich so gut wie beinah fast gar nicht gesagt, getan oder gemeint zu haben zugegeben brauchte, dann will ich natürlich, zweifellos und selbstverständlich um Entschuldigung gebeten haben wollen, obwohl ich nicht hätte klarstellen mögen können, was man von mir getan, gesagt oder gemeint zu haben würde glauben dürfen, wenn ich getan, gesagt oder gemeint haben sollte, was ich an dieser Stelle nicht auch nur annähernd gemeint, gesagt oder getan zu haben in aller Entschiedenheit mit Nachdruck zurückweisen kann.

Und deshalb will ich hier und jetzt ganz offen und transparent, frank und frei dazu stehen, dass, obwohl nun einerseits womöglich in bestimmtem Sinne allerdings trotzdem, und zwar derart, dass überaus dennoch hinwiederum fürwahr, wobei wohl jedenfalls zumindest ziemlich, wenn auch keinesfalls mitnichten schlechterdings, so doch eventuell gewissermaßen eindeutig, ja sogar definitiv, vollends und gänzlich absolut, schlicht einfach klar so viel gesagt sein muss.

Und hierfür entschuldige ich mich in aller Form.

Das alles liegt ja ohnehin weit außerhalb meiner Kompetenz, vielleicht oberhalb, vielleicht unterhalb, vielleicht anderthalb. Jedenfalls bin ich dafür nicht zuständig. Wer Antisemit ist und wer nicht, welcher Aiwanger der echte und welcher der unechte, welcher der rechte und welcher der unrechte – mit alledem soll sich der Zentralrat der Juden befassen. Ich bin mehr so der Marginalrat. Ich hab andere Aufgaben. Ich will mich raushalten aus der Politik. Und Du, Hubsi?

Host mi? Na dann, zum Wohle, lechaim – oder, wie echte deutsche Juden sagen, oans, zwoa, gsuffa!

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