Mexiko: Präsidentin ante portas

In Mexiko konkurrieren zwei Frauen um die Nachfolge von Staatschef Andrés Manuel López Obrador

  • Moritz Osswald, Mexiko-Stadt
  • Lesedauer: 4 Min.

In Mexiko bahnt sich ein bemerkenswertes Duell um die Macht an: Claudia Sheinbaum und Xóchitl Gálvez streben nach dem höchsten Amt. Das nordamerikanische Land, das noch nie in seiner Geschichte eine weibliche Präsidentin hatte, erlebt nun einen historischen Wettstreit zweier weiblicher Kandidatinnen. Und die beiden eint einzig, dass sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Die frühe Phase des Wahlkampfs steht an. Im Juni 2024 sind Präsidentschaftswahlen. In den aktuellen Umfragen liegen alle anderen Anwärter*innen auf das Amt so weit zurück, dass es auf eine der beiden Frauen hinausläuft. Somit wird Mexiko nächstes Jahr aller Wahrscheinlichkeit die erste Präsidentin der Nation küren.

Sheinbaum ist Tochter jüdischer Einwander*innen aus Osteuropa und ein bekanntes Gesicht für die knapp 130 Millionen Mexikaner*innen. Bis vor wenigen Monaten noch war die 61-Jährige amtierende Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt. Ein politisch wichtiger Posten. Der derzeitige Staatschef Andrés Manuel López Obrador will sie als seine Nachfolgerin sehen. Er darf laut Verfassung kein zweites Mal antreten. Sheinbaum gewann kürzlich eine parteiinterne Umfrage des Regierungsbündnisses Morena. Die Wissenschaftlerin hat sich ein Image aufgebaut, das sie als zurückhaltend, formal und seriös darstellt. Ein harsches Kontrastprogramm zu ihrem Ziehvater, der sich großer Beliebtheit beim Volk erfreut. Der amtierende Präsident López Obrador gilt als charmant, angriffslustig, wirkt auf viele sympathisch und rhetorisch gewandt.

Die Kontrahentin Sheinbaums heißt Xóchitl Gálvez. Sie war bis vor Kurzem eine praktisch unbekannte Akteurin auf der politischen Bühne Mexikos. Die 60-Jährige betont häufig ihre indigenen Wurzeln, erzählt immer wieder, wie sie in der Sekundarschule Gelatine verkaufte. Jetzt ist sie erfolgreiche Unternehmerin. Gálvez kommt durch ihre lockere, informelle Art bei den Menschen gut an. Sie kandidiert für das Bündnis »Frente Amplio« (Breite Front), das rechte und linke Parteien in einer gemeinsamen Koalition gegen die Regierungspartei Morena vereint. Sie besteht aus der rechten bis sehr rechten PAN, der ehemaligen Einheitspartei PRI sowie der linksliberalen PRD.

Claudia Sheinbaum hat vor über einem Jahr ihre Kommunikationsstrategie radikal geändert. Tiktok, Instagram und Facebook sind seitdem essenzieller Teil ihres politischen Lebens: Sie wünscht einen guten Morgen, lässt sich mit Arbeiter*innen des Metro-Systems ablichten, spricht über ihre Lieblingsspeisen während der Studienzeit. Unterstützung bekommt sie dabei vor allem vom katalanischen Politikberater Antoni Gutiérrez-Rubí. Er ist nun Teil ihres Beraterteams – und hat vergangenes Jahr dem kolumbianischen Linken Gustavo Petro bei den Präsidentschaftswahlen zum Sieg verholfen.

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Für Sheinbaum ist das wichtig. In der Zeitschrift »Proceso« attestiert Sara Pantoja der Kandidatin fehlendes Charisma und zitiert den Kommunikationsexperten Aleix Sanmartín. Der beriet zuvor den jetzigen Regierungschef sowie den Ex-Präsidenten Felipe Calderón. Sanmartín betont, Claudia Sheinbaum sei »Andrés Manuels Verbündete«, seine »Tochter«. Doch: »Sie wird nicht alleine glänzen.«

Xóchitl Gálvez wird von vielen Expert*innen als gewiefter in der Kommunikation wahrgenommen. Sie wirkt stets fröhlich, offen, scheint näher bei den Menschen. Die spanischsprachige BBC zitiert Luis António Espino, Experte für politische Kommunikation, der über Gálvez meint, sie kommuniziere »mit einer Sprache, die die Menschen anspricht«. Zudem wirke die 60-jährige Kandidatin »sympathisch und fröhlich, ohne oberflächlich zu sein«. Programmatisch will Sheinbaum die »Vierte Transformation« und den Anti-Neoliberalismus des jetzigen Präsidenten weiterführen. Antagonistin Gálvez steht ebenso für Antikorruption, wird jedoch wirtschaftspolitisch neoliberaler als Sheinbaum eingeschätzt.

Herausforderungen gibt es genug für die beiden Kandidatinnen: Auch López Obradors Regierung hat die massive Gewalt im Land nicht eindämmen können. Täglich werden im statistischen Schnitt 26 mutmaßlich gewaltsam verschwundene Menschen und 100 Morde gezählt, über 110 000 Menschen insgesamt gelten inzwischen als vermisst. Ebenso habe sich die Situation für Frauen im Land nicht verbessert, erklärt Lizbeth Ortiz Acevedo, leitende Redakteurin bei der feministischen Plattform Cimacnoticias. Dass es überhaupt zu einem Showdown zwischen zwei Frauen komme, sei eine über »Jahrzehnte und Jahrhunderte« akkumulierte Anstrengung. Aber: »Nur, weil eine Frau an die Macht kommt, bedeutet das nicht, dass die Politik plötzlich feministisch gestaltet wird«, sagt die Journalistin gegenüber »nd«. Doch es werde helfen, die »gläserne Decke« zu durchbrechen.

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