Jüdisches Krankenhaus Berlin: Ein Ultimatum für Entlastung

Das Jüdische Krankenhaus Berlin ist das nächste, für das Verdi per Tarifvertrag mehr Personal anvisiert

  • Christian Lelek
  • Lesedauer: 5 Min.
Beschäftigte des Jüdischen Krankenhauses bei der Übergabe der Fotopetition am Dienstagnachmittag.
Beschäftigte des Jüdischen Krankenhauses bei der Übergabe der Fotopetition am Dienstagnachmittag.

»Die massive Überlastung der Kolleg*innen führt zu einer Unterversorgung der Patient*innen«, sagt Julia Hertwig, Krankenpflegerin am kleinen Jüdischen Krankenhaus (JKB) in Wedding, zu »nd«. Es sei Arbeitsalltag, dass auf den allgemein somatischen Stationen eine examinierte Pflegekraft 20 Patient*innen zu versorgen habe. Das führe zu enormem Zeitstress und in der Folge zu unprofessionellem Arbeiten.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat die Problemlage aufgegriffen. Sie will einen Tarifvertrag Entlastung (TV-E) für das JKB, ähnlich denen, die seit 2021 an zunehmend mehr Krankenhäusern durchgesetzt werden konnten. Eine entsprechende Fotopetition hatten Beschäftigte am Dienstagnachmittag im Anschluss an eine Betriebsversammlung an den Vorstand übergeben. Über 70 Prozent der nichtärztlichen Beschäftigten wollten mit einer Sammlung von Porträtfotos symbolisch Gesicht zeigen, hieß es in einer Pressemitteilung von Verdi.

2021 war es Verdi erstmals gelungen, für Vivantes und Charité einen TV-E zu erstreiten. Dieses Pilotprojekt hat seitdem deutschlandweit Schule gemacht. Die Tarifverträge sehen für die einzelnen Abteilungen und Stationen spezifische Personalschlüssel vor. Werden diese nicht erreicht, dann sollen Ausgleichsmaßnahmen greifen: in der Regel Freischichten. Sie stellen neue Maßstäbe der gewerkschaftlichen Interessenvertretung dar. Bisher lag das Direktionsrecht, also die Entscheidungsgewalt über die Personalplanung, ausschließlich in der Hand der Arbeitgeber. An den Unikliniken in Nordrhein-Westfalen meldete Verdi zuletzt aber, dass die Umsetzung des TV-E schleppend vorangehe. Häufig würden die Personalquoten nicht oder nur durch den Einsatz von Leiharbeiter*innen erreicht.

Für das JKB stünden noch keine konkreten Forderungen fest, sagt Pflegekraft Hertwig. Um diese für die einzelnen Arbeitsbereiche passend zu entwickeln, hätten die Kolleg*innen Delegierte gewählt, die in ihren Teams Forderungsinterviews führten. »Es gibt schon einige Rückmeldungen. Für die somatischen Stationen steht als Forderung ein Schlüssel von 1:10 im Raum.« Hertwig erklärt, dass sie sich nicht auf den Personalschlüssel beschränken werden. »Wir stehen mit der Gewerkschaft im Gespräch, was sich denn überhaupt alles per Tarifvertrag regeln lässt«, sagt sie. Beispielhaft nennt sie besseren Schutz gegen Übergriffe für die Mitarbeitenden der Notaufnahme.

Um zu Tarifvereinbarungen zu kommen, hat die Gewerkschaft der Klinikführung ein Ultimatum von 50 Tagen gestellt, also bis zum 1. November. Verdi-Verhandlungsführerin Gisela Neunhöffer sagte »nd«, dass das Jüdische Krankenhaus keine Besonderheit darstelle. »Wir finden am Jüdischen Krankenhaus die gleichen Probleme, die auch in anderen Einrichtungen offensichtlich sind.« Die starke Organisierung am Standort zeige ihr, dass die Ziele der Tarifkampagne zu erreichen seien, meint Neunhöffer. »Das Krankenhaus liegt in nächster Nähe zur Charité. Die Beschäftigten haben den Belastungsausgleich dort wahrgenommen und wollen ihn nun auch für sich.«

Krankenpflegerin Hertwig beschreibt diese Organisierungsbewegung am JKB: »Wir haben unseren Organisationsgrad über die letzten Jahre ausgebaut.« 2018 hätten sie erst die Anbindung an den Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (TVöD) erreicht und sich diesen Frühling im Rahmen dessen Novellierung engagiert. »Im Zuge dieses Aufschwungs haben wir uns gedacht: ›Nehmen wir den TV-E dieses Jahr auch noch mit.‹«

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Hertwig zieht eine gedankliche Linie von den Arbeitsbedingungen zum Personalmangel: »Es spricht sich rum, wo bessere Arbeitsbedingungen herrschen.« Wöchentlich bis monatlich würde im Kollegium darüber nachgedacht, zur Charité oder zu Vivantes zu wechseln. »Die größere Herausforderung ist jedoch, zu verhindern, dass die Kolleg*innen den Beruf komplett verlassen«, sagt Hertwig.

Sie erhebt auch Forderungen an die Politik: »Ich hoffe, dass wir durch den Flächenbrand Entlastung nicht weiter ungesehen bleiben.« Damit meint sie die zuletzt häufig abgeschlossenen Entlastungstarifverträge. Die Absenkung der Pflegepersonaluntergrenzen müsse gesetzlich erfolgen, statt jedes Mal erstreikt zu werden. Denn, so Hertwig: »Wir liefern Gesundheitsversorgung für alle, deshalb betreffen unsere Probleme auch alle.«

Verdi sieht neben der Krankenhausführung daher auch den Senat verantwortlich. »Die Klinikbetreiber sind verantwortlich für den Gesundheitsschutz ihrer Beschäftigten, die Krankenkassen und der Berliner Senat für die notwendige Finanzierung der Berliner Krankenhäuser«, hieß es in einer Pressemitteilung.

Eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit teilte »nd« auf Anfrage mit: »Ganz grundsätzlich können Entlastungstarifverträge eine Option zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten eines Krankenhauses sein.« Entscheidend sei jedoch die jeweilige Ausprägung. Da das JKB aber als Stiftung des bürgerlichen Rechts betrieben werde, »sollte der Einfluss der Landespolitik weitestgehend zurückgestellt werden«, schloss die Sprecherin.

Ein Teil der Servicearbeiten am Weddinger Krankenhaus ist in die Jüdisches Krankenhaus Berlin - Servicegesellschaft mbH, eine 100-prozentige Tochter des JKB, ausgegliedert. 2021 zählte die Servicegesellschaft 69 Mitarbeitende. Sie werden nicht nach dem TVöD bezahlt. Und auch der geplante TV-E würde nicht für die ausgelagerten Servicekräfte gelten.

Das JKB ist mit 840 Mitarbeitenden ein relativ kleines Krankenhaus. Es hält 384 Betten bereit. Bis Ende 2024 soll ein Neubau weitere Kapazitäten von 214 Betten schaffen.

Eine Anfrage an das JKB nach einer Stellungnahme blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

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