EU wird zur Militärunion

Gemeinsames Beschaffungsgesetz soll innereuropäische Waffenherstellung fördern und Kosten senken

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Zeitenwende hat längst auch das sonst so behäbige Brüssel erreicht. In der EU wird auf allen Ebenen fieberhaft an der Aufrüstung der Truppen gearbeitet. Das EU-Parlament hat nun grünes Licht gegeben für das neueste Aufrüstungsvorhaben.

Konservative, Rechte, Grüne, Liberale und Sozialdemokraten stimmten am Dienstag für die »Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch ein gemeinsames Beschaffungsgesetz«, Edirpa genannt. Die EU-Mitgliedsstaaten hatten die Initiative bereits abgenickt. Erklärtes Ziel von Edirpa ist es, die innereuropäische Kooperation bei der Waffenherstellung zu fördern. »Die Mitgliedsstaaten sollen sich also nicht wie bisher auf dem Markt gegenseitig Konkurrenz machen, sondern die Beschaffung koordinieren und im besten Fall durch höhere Stückzahlen bessere Konditionen aushandeln können«, wie die Grüne Europa-Abgeordnete Katja Neumann erklärt. Die zusätzlichen Kosten, die bei der Koordination anfallen, soll Edirpa decken.

Özlem Alev Demirel, Abgeordnete der Linken im EU-Parlament, sieht »die immer schnellere Umwandlung der EU in eine Militärunion« mit großer Sorge. Ihre Fraktion hatte am Dienstag im Parlament gegen das Vorhaben gestimmt. Sie verweist gegenüber »nd« auf die Motivation der Mitgliedsstaaten: »Durch das Fluten der Ukraine mit Kriegsgerät und Munition gehen den EU-Ländern die eigenen Reserven aus«.

Tatsächlich hat allein Deutschland Rüstungsgüter im Wert von fast acht Milliarden Euro an die Ukraine geliefert. Länder wie Polen haben ihr Arsenal an alten sowjetischen Waffen in die Ukraine geschafft, manche sagen auch entsorgt. Das Geld dafür holten sie sich über den EU-Topf »Europäische Friedensfazilität« teilweise zurück. Sie ersetzten mit EU-Hilfe ihre alten Waffensysteme durch modernes Kriegsgerät.

Allerdings können nicht alle Lücken gefüllt werden. Insbesondere bei der Produktion von Munition hakt es. Mittlerweile ist etwa Artilleriemunition vom Nato-Kaliber 155 Millimeter Mangelware, auch bei der Bundeswehr. Zwar hatten die EU-Staaten der Ukraine im März eine Million Artilleriegeschosse zugesagt, die innerhalb von zwölf Monaten werden sollten. Doch Experten bezweifeln, dass man auch nur ein Drittel dieser Menge liefern kann. So fehlen der Ukraine schon jetzt die Geschosse, während die europäische Rüstungsindustrie ihre Produktion nicht so schnell hochfahren kann und will. Denn die Firmen wollen langfristige Abnahmegarantien oder aber Subventionen.

So hat die Kommission neben dem nun verabschiedeten Edirpa auch die Asap-Verordnung erarbeitet, die die Produktion von Munition und Flugkörpern ankurbeln soll. »Das Gesetz wird die Produktionskapazität der EU erhöhen und die Lagerbestände auffüllen. Dies wird die Lieferung von Munition an die Ukraine in dieser entscheidenden Phase des Krieges beschleunigen«, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Juli.

Für Asap stehen 500 Millionen Euro bereit, mit denen man die Produktion von Geschossen und Flugkörpern subventionieren will. Für Edirpa wiederum gibt es 300 Millionen Euro bis 2025. Ursprünglich sollte es mehr Geld geben, doch da Asap und Edirpa aus demselben Topf finanziert werden, gerieten die Verhandlungen zum Nullsummenspiel.

Besonders umstritten: Die Gelder dafür sollen aus dem EU-Haushalt kommen. »Das ist laut Artikel 41.2 des EU-Vertrages illegal«, meint Demirel. Tatsächlich verbietet es der Vertrag, Rüstungsausgaben aus dem EU-Haushalt zu finanzieren. Die Europäische Friedensfazilität etwa wurde deshalb außerhalb des Haushalts angesiedelt beziehungsweise versteckt.

Doch die Zeit der Heimlichtuerei ist vorbei. Die Befürworter versuchen gar nicht erst, den Rechtsbruch zu verschleiern. Michael Gahler (CDU), Berichterstatter des EU-Parlaments, räumte am Montag unumwunden ein: »Erstmals werden aus EU-Haushaltsmitteln die Mitgliedstaaten dabei unterstützt, gemeinsam Verteidigungsgüter zu beschaffen«. Und wusste auch, wem er den Geldsegen für die Rüstungskonzerne zu verdanken hat: »Kein Edirpa ohne Putin«. Schon beim ersten Vorschlag dazu im März dieses Jahres betonte der EU-Außenbeauftragte Borrell: »Ein Tabu wird wieder einmal gebrochen«.

Demirel kritisiert zudem, dass das Parlament bei Edirpa »erneut auf die Umsetzung mittels delegierter Rechtsakte verzichtet hat, was zumindest eine Minimalkontrolle der Mittel durch das Parlament bedeutet hätte«. Das heißt: Industriekommissar Thierry Breton, der die neuen Fonds verwaltet, hat die alleinige Kontrolle.

Die Europäische Kommission hat noch mehr in der Schublade und plant, ein Kriegswirtschaftsgesetz vorzuschlagen, »um die Basis der europäischen Rüstungsindustrie zu stärken«, wie die Plattform »Euractiv« vor wenigen Tagen meldete. Demnach soll sich die vorgeschlagene Regelung am US-amerikanischen Kriegswirtschaftsgesetz (Defense Production Act) orientieren, »wonach der US-Präsident die Lieferung von Materialien und Dienstleistungen aus der US-Industrie, die zur Förderung der nationalen Verteidigung benötigt werden, beschleunigen und erweitern kann«, so »Euractiv«. Aus der Friedensunion wird nun also eine Aufrüstungsunion. Die europäischen Rüstungskonzerne wird es freuen.

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