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- Stiller Streik
Ein Lob auf die Faulheit
Olivier David über Sabatoage im kapitalistischen Arbeitsalltag
Es gibt eine Art des Streiks, der für viele nicht erkennbar ist, obgleich er massenhaft angewandt wird: der stille Streik. Ein stiller Streik in meiner Definition ist ein permanenter Boykott von jeglicher Art der Mehrarbeit, die Chef*innen sich für ihre Mitarbeitenden ausdenken. Es ist mehr noch ein Akt der Würde zu sagen: Mit mir nicht! Dass Arbeiter*innen dies oft still für sich ausmachen und nicht offen kommunizieren, ist natürlich logisch, sonst würden sie ihre Arbeit verlieren.
In meinen zehn Jahren, in denen ich vor allem mit Lohnarbeit und dem Überleben in der Unterklasse beschäftigt war, war ich beinahe permanent im stillen Streik. Bei H&M, als ich drei Tage die Woche am Fließband oder im Warenlager stand, lautete mein Motto genauso »Halbe Kraft voraus!« wie zu der Zeit, als ich mehr als dreißig Stunden die Woche in einem Supermarkt hinter der Käsetheke stand. Die Chefs gaben mir eine Aufgabe, ich zog im Kopf die Hälfte davon ab und erledigte einigermaßen gewissenhaft, aber in eigenem Tempo die mir aufgetragenen Arbeiten. Nur eben nicht voll und ganz.
Wenn ich an der Kasse saß und jeden einzelnen Kunden mit der Frage nach Paypack-Punkten nerven sollte, ging mir die Frage immer genau einmal am Tag über die Lippen – wenn meine Chefin Feierabend hatte und sich bei mir an die Kasse in die Schlange stellte. Payback my Ass! Vier Paletten am Tag in die Regale räumen? My ass! Vierzigtonner beladen bei H&M mit zwei Kollegen in vier Stunden? My ass!
Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien sein erstes Buch »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen reflektiert. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. David studiert in Hildesheim literarisches Schreiben. Für »nd« schreibt er in der 14-täglichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen.
Das hatte natürlich Konsequenzen. Oft musste man den eigenen Unwillen, Vollgas zu geben, verschleiern. Nicht immer hat das geklappt. In meinem Verständnis hat sich dabei aber meist das eigentlich offensichtliche gezeigt: Dass hinter der Fassade des nett vorgetragenen »Kannst du mal eben bitte« vom Chef reiner Zwang zum Vorschein kam. Mein und der stille Streik meiner ehemaligen Kolleg*innen funktionierte als eine Art Entzauberungsmaschine, die den absoluten Widerspruch zwischen Vorgesetzten und Untergebenen zum Vorschein brachte.
Das, was ich hier schreibe, könnte man als unpolitische, oder besser: vorpolitische individuelle Verweigerungshaltung weglächeln. Das würde aber dem Umstand nicht gerecht, dass ich mit meiner Einstellung bei weitem nicht alleine war. Ich kann mich an keinen Job erinnern, in dem nicht viele Kolleg*innen ähnlich handelten. Es war eher so, dass ich mich oftmals meinen Kolleg*innen anpasste.
Von den älteren lernen, das hieß in vielen Fällen faul sein lernen – und ich habe jede Lektion geliebt. Von den Müttern mit Knieproblemen, die vom Vorarbeiter einmal am Tag auf die Mütze bekamen, weil sie das Soll nicht erfüllten. Von den Kollegen, die die Mittagspause Amphetamin konsumierend auf Klo verbrachten – nicht, dass ich mich daran beteiligt hätte, aber die Einstellung war klar: Arbeiten steht einem im Weg, während man eigentlich etwas Besseres zu tun hat. Von denjenigen, die aus Prinzip einmal im Monat eine Woche krankfeierten.
Betrachtet man die Dinge philosophisch, dann stellt sich die Frage des Naturzustandes des Menschen. Ich glaube daran, dass es ein in den Körpern und Köpfen der Menschen verankertes Wissen darüber gibt, was zu tun ist – und ab wann Zustände unaufhaltbar werden. Überstunden gehören dazu. Man muss auf der Arbeit schon einem gehörigen Maß an Unterdrückung oder Entfremdung ausgesetzt sein, wenn man bereit ist, Überstunden zu machen.
Das Interesse der Bosse, soviel Geld wie möglich zu machen, wird durch diesen Akt des stillen Streiks, der eigentlich eine Selbstverteidigung darstellt, sabotiert. Diese Verweigerungshaltung, sich von den Plänen der Chefs nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen, sondern den Zwang zu Höchstleistungen still zu boykottieren, verdient eine Würdigung!
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