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Kolonialismus in Berlin: Erinnerungskultur ohne Gegenwart
Eine neue Stele erinnert an den historischen Sitz der Deutschen Kolonialgesellschaft
Die strahlende Sonne an diesem Mittwoch im September erinnert an die Worte Bernhard Bülows in der Reichstagsdebatte von 1897. Die Parole »Platz an der Sonne« wurde zu einem Sinnbild für die expansive Kolonialpolitik des Deutschen Kaiserreichs und wird von antirassistischen Rappern wie Megaloh auch heute noch als Begriff für eine neokoloniale Politik verwendet. Am Park am Karlsbad, wo einst das »Afrika-Haus«, Sitz der Deutschen Kolonialgesellschaft, stand, scheint die Sonne auf einen neuen Platz: Hier steht nun eine Erinnerungsstele zur Berliner Kolonialgeschichte.
Die Errichtung der Mahnstele sei ein »Beitrag zur Dekolonisierung Berlins«, sagt Oumar Diallo, Gründer des gemeinnützigen Vereins Farafina Afrika-Haus. Noch immer sei die deutsche Gesellschaft von »Unwissenheit und Vorurteilen« gegenüber ihrer eigenen Geschichte mit Afrika geprägt. Diallo begrüßt etwa 30 Gäste zur Einweihung der Erinnerungsstele. Mit dabei sind etwa der Historiker Joachim Zeller, Bezirksstadträtin Almut Neumann (Grüne) und Kultursenator Joe Chialo (CDU).
Auf jahrelangen zivilgesellschaftlichen Druck hin wurde der Gedenkort durch die Finanzierung der Kulturverwaltung unter Chialo verwirklicht. Dieser ist es auch, der den sonnengelben, afrikanischen Stoff von der Stele zieht und damit den öffentlichen Erinnerungsort einweiht. Die circa zwei Meter hohe Stele trägt eine Gedenktafel mit Informationen zur Geschichte des Hauses und der Deutschen Kolonialgesellschaft. 1887 in Berlin gegründet, hatte die zivilgesellschaftliche Gruppe das Ziel, den »kolonialen Gedanken« in der deutschen Gesellschaft zu verbreiten. Ganz konkret hieß das: Stimmungsmache für koloniale Expansionspolitik und Lobbyismus für deutsche Auswanderer. Zudem finanzierte die Deutsche Kolonialgesellschaft die Aufrüstung der Marine unter Kaiser Wilhelm II. mit.
An die koloniale Vergangenheit des Ortes erinnert heutzutage lediglich die stereotype Darstellung afrikanischer Köpfe im Gesimms des oberen Stockwerks. Was von unten nicht erkennbar ist, soll künftig durch die Gedenktafel vermittelt werden. »Wer die eigene Vergangenheit nicht kennt, kann keine gute Zukunft gestalten«, sagt Chialo und betont die Verantwortung Deutschlands für seine Geschichte. Er spricht von einer ganzen Reihe an zukünftigen erinnerungspolitischen Maßnahmen im öffentlichen Raum und erinnert an die im Koalitionsvertrag verankerte Bestrebung, den Austausch mit afrikanischen Künstler*innen zu intensivieren.
Jacob Ladipoh von der German-Sierra-Leone Society spricht gegenüber »nd« von der Idee, »von der Geschichte aus nach vorne zu schauen« im Hinblick auf die Verantwortung Deutschlands für die Kolonialgeschichte. Man müsse »falsche Träume über Europa« entlarven und statt einer Migrationspolitik der offenen Arme »Bedingungen schaffen, damit Afrikaner*innen ihr Land nicht verlassen müssen«. Angesichts der derzeitigen Klimakatastrophen in Nordafrika wirkt das deplatziert.
Auch die Politik von CDU und Grünen scheint sich einer historischen Verantwortung zu entziehen. Auf Bundesebene fordert Grünen-Parteichefin Ricarda Lang schnellere Abschiebungen, im Land sieht etwa der Haushaltsplan des Berliner Senats drastische Kürzungen im Bereich Flucht und Migration vor. Öffentliche Orte des Erinnerns an die Kolonialpolitik der Kaiser- und Nazi-Zeit sind unerlässlich für eine demokratische Erinnerungskultur. An diesem Mittwoch fallen oft die Worte des »Lernens aus der Geschichte«. Wer ernsthaft daran Interesse hat, muss im Hier und Jetzt auch eine ihr angemessene Politik folgen lassen.
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