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Rechtsruck: »Wir sind in einer sehr brisanten Situation«
Der Anwalt Matthias Lehnert über Rechte Geflüchteter und politischen Druck der Rechten
Herr Lehnert, Sie sind als Anwalt seit über zehn Jahren mit den Rechten Schutzsuchender beschäftigt. Was hat Sie motiviert?
Ich habe Jura mit politischem Interesse studiert. Wenn man sich mit Recht und Gesetzen beschäftigt, wird schnell klar: Das Recht produziert und reproduziert gesellschaftliche Machtverhältnisse. In dem Kontext habe ich mich viel mit der Frage beschäftigt: Was macht das Recht mit stigmatisierten, ausgegrenzten Menschen?
Neben Ihrer Arbeit als Rechtsanwalt schulen Sie Berater*innen und machen Fortbildungen, unter anderem bei der Refugee Law Clinic in Leipzig, der Diakonie und der AWO. Warum sind Beratungsstellen für die Rechte Geflüchteter so wichtig?
Die praktische Rechtsdurchsetzung und faire Asylverfahren hängen davon ab, dass Menschen ihre Rechte kennen und erklärt bekommen. Beratungsstellen sind ein sehr wichtiger Pfeiler als erste Anlaufstellen, denn für viele ist es auch psychologisch einfacher, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Zudem scheitert die Möglichkeit, im Asylverfahren eine*n Anwält*in zu nehmen, oft am Geld. Ich arbeite fast ausschließlich auf Ratenzahlung, weil es sonst für die meisten meiner Mandant*innen schlicht unmöglich ist, mich zu bezahlen.
Matthias Lehnert ist Rechtsanwalt für Aufenthaltsrecht in Leipzig. Als Mitglied des erweiterten Vorstands des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e.V. und als Kooperationsanwalt der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) streitet er für die Rechte Geflüchteter.
Gibt es keine staatliche Unterstützung?
Es gibt zwar in einzelnen Fällen Prozesskostenhilfe, jedoch keine Beihilfe für meine Tätigkeit in Asylverfahren gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Bei Klagen gegen den abgelehnten Asylbescheid muss mein Mandant in Vorleistung gehen. Etwa die Hälfte der Bescheide des BAMF werden vor Gericht aufgehoben und für rechtswidrig erklärt. Sehr viele Menschen können ihre Rechte also erst vor Gericht geltend machen. Um dorthin zu kommen, braucht es Unterstützung und Beratungsstellen als Scharniere. Die nun von der Bundesregierung im Rahmen der Haushaltsberatung geplante massive Kürzung der Mittel für Asylberatungsstellen und psychosoziale Zentren um die Hälfte ist daher extrem fatal. Das wird ganz praktisch dazu führen, dass Menschen ihre Rechte weniger wahrnehmen und durchsetzen können.
Und die Zivilgesellschaft soll es dann richten?
Es ist wichtig, dass es eine funktionierende Zivilgesellschaft gibt, eine gesellschaftliche Atmosphäre, die eine Willkommenskultur stützt, dass es ehrenamtliche Helfer*innen gibt. Doch es darf nicht dazu kommen, dass die Zivilgesellschaft Dinge übernimmt, die eigentlich der Staat übernehmen und garantieren müsste: Geld, Unterkunft, Sprachkurse, Teilhabe, Unterstützung und so weiter.
Wie ist es zurzeit um die rechtliche Situation Schutzsuchender bestellt?
Das Recht auf Schutz und Asyl war schon immer umkämpft, vor allem in Phasen, in denen es sich bewähren musste. Denken wir an die 90er Jahre, als die Zahl der Schutzsuchenden vor allem wegen des Jugoslawienkriegs stark angestiegen ist – und die deutsche Politik vor den rassistischen Pogromen eingeknickt ist und das Asylrecht aus dem Grundgesetz massiv eingeschränkt hat. Seit 2015 – dem »Sommer der Migration« – wird das Asylrecht in der politischen Diskussion erneut frontal angegriffen. Und das zeigt sich auch praktisch: Durch zahlreiche Einschränkungen der Verfahrensrechte in Deutschland in den vergangenen Jahren, und aktuell durch die Pläne auf europäischer Ebene, Asylverfahren an die Außengrenzen auszulagern. Wir sind derzeit mit einer sehr brisanten Situation konfrontiert infolge des weitreichenden Erstarkens der politischen Rechten in Europa, die das Asylrecht komplett in Frage stellt und andere Parteien vor sich hertreibt. Diese politische Diskussion wirkt zugleich gesellschaftlich und führt zu einer Zunahme von Rassismus und auch rassistischer Gewalt.
Berichten Ihre Mandant*innen häufig von Erfahrungen mit Rassismus?
Rassistische Ressentiments und Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte gibt es leider an vielen Orten. Dennoch ist die Situation in Berlin oder Leipzig eine andere als beispielsweise in Sachsen auf dem Land. Das Problem ist: Menschen im Asylverfahren können sich nicht aussuchen, wo sie leben. Für Geflüchtete und besonders für Kinder kann es unvorstellbar schlimm sein, in einem Klima der Ablehnung zu leben oder aufzuwachsen. Ein anderes alltägliches Problem ist die Atmosphäre in Behörden, die von Misstrauen geprägt ist. Das gesellschaftliche Klima spürt man auch in den Verfahren. Die gesellschaftliche Verschiebung nach rechts macht sich auf allen Ebenen bemerkbar, nicht zuletzt auch auf Ebene der Gesetzgebung. Der in den letzten Jahren sehr laute Ruf nach Verschärfungen passiert nicht im luftleeren Raum. Wenn nun beispielsweise gefordert wird, Abschiebungen in noch mehr Fällen ohne Ankündigungen durchzuführen oder den Ausreisegewahrsam zu verlängern, geschieht das vor einer politischen Folie.
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Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein fordert: »Migration ist nicht mehr nur aus einer nationalstaatlichen Perspektive zu betrachten, sondern die Interessen und subjektiven Rechte der Migrierenden selbst müssen zum entscheidenden Faktor werden.« Welche konkreten Forderungen gehen damit einher?
Diese Forderung betont den universalistischen Anspruch der Rechte Geflüchteter, wie sie in den Menschenrechten und im Völkerrecht verbrieft sind. Der Umgang mit Geflüchteten darf nicht mit einer nationalen Brille betrachtet werden. Menschenrechte gelten für alle, sie sind unabdingbar, und zwar ohne Abstufungen zwischen Deutschen und Menschen anderer Nationen. Mit Blick auf Deutschland und Europa stellt man derweil fest, dass Flüchtlingspolitik in erster Linie als Politik der inneren und damit nationalen Sicherheit verstanden wird. Nicht ohne Grund ist das BAMF dem Bundesinnenministerium unterstellt. Die Behörde ist Teil der Sicherheits- und Gefahrenabwehrpolitik. Das heißt nicht, dass Menschenrechte keine Rolle spielen, aber das Paradigma, unter dem Geflüchtete betrachtet werden, ist jedenfalls auch eines der inneren Sicherheit. Entsprechend ist das Klima, mit dem in den Behörden Menschen im Asylverfahren begegnet wird. Es ist mindestens atmosphärisch verstörend, wie mit Traumatisierten umgegangen wird und wenn Menschen mit einer schlimmen Fluchtgeschichte schildern müssen, was sie in ihrem Heimatland erlebt haben. Hier geht es allzu häufig nicht darum, dass den Menschen erst einmal zugehört wird und sie verstanden werden, sondern dass von Beginn an bezweifelt wird, was sie erzählen, und dass mit allen Mitteln der Konfrontation nach Widersprüchen gesucht wird.
Wie gehen Sie emotional mit der Ohnmacht um?
Ich selbst kann nach einem Arbeitstag die Akten zumachen und ohne existenzielle Sorgen nach Hause gehen. Das ist einerseits ein riesiges Privileg und gibt mir Raum, mich von der Arbeit abzugrenzen, bringt anderseits die gesellschaftlichen Verhältnisse aber auch auf den Punkt und kann dann auch eine Belastung sein: Meine Mandant*innen haben häufig ihre Familie jahrelang nicht gesehen, weil die Verfahren so lange dauern. Andere leben zum Teil jahrelang unter äußerst prekären Umständen und ohne Perspektive, weil sie aus der Duldung nicht herauskommen. Das sind Menschen, die für ihr Leben gezeichnet sind. Es sind Kinder darunter, die ihr ganzes Leben hier verbracht haben und in Länder abgeschoben werden können, in denen sie noch nie waren. In vielen Fällen kann ich etwas erreichen, in vielen anderen Fällen muss ich aber meinen Mandant*innen auch erklären, dass das Recht nicht unbedingt gerecht ist. Ich finde es wichtig zu erkennen, dass all dies Ausdruck einer rassistischen Struktur ist, die politisch und gesellschaftlich gewollt ist. Sich dieser politischen Dimension bewusst zu werden, Stellung zu beziehen und sich politisch einzumischen, ist wahrscheinlich das beste Instrument, diese Ohnmacht zu bekämpfen.
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