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Erinnerung beim Ballern
Gar nicht so absurd: Im Computerspiel »Fortnite« soll ein Holocaust-Museum eröffnet werden
Was ist, was kann Erinnerung im Angesicht des Holocaust bedeuten – beziehungsweise gesellschaftlich leisten? Über diese Frage wird seit Jahrzehnten debattiert. »Die Erinnerung ist wie das Wasser: Sie ist lebensnotwendig und sie sucht sich ihre eigenen Wege in neue Räume und zu anderen Menschen«, erklärte der in Łódź geborene Auschwitz-Überlebende Noach Flug anlässlich seiner Rede zum zehnjährigen Bestehen der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« 2010 über das Vergangene in der Gegenwart.
Neue Räume für ein verantwortungsvolles Erinnern möchte der in Los Angeles lebende jüdische Filmemacher Luc Bernard erschließen. Seine Idee: ein Holocaust-Museum im »Battle Royale«-Shooter »Fortnite« zu eröffnen, in einem Computerspiel, das sich weltweit einen Namen als Ballerspiel für Kinder und Jugendliche gemacht hat. Was auf den ersten Blick absurd wirkt, ein auf das Töten des gegnerischen Spielers ausgelegtes Game mit dem Gedenken an den Massenmord der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten zu verbinden, ist gar nicht so dumm.
Das Spiel hat sich in den letzten Jahren zu einem digitalen Raum mit multimedialen Realitäten entwickelt. In »Fornite« fanden schon virtuelle Konzerte mit Millionen von Zuschauern statt, kaum ein Spiel findet innerhalb der jungen Zielgruppe mehr Zuspruch. Allein die Ankündigung des Projektes von Bernard sorgte für Schlagzeilen in der internationalen Presse. Die technischen Voraussetzungen sind auch nicht zu vernachlässigen: In »Fortnite« können Spieler eigene Welten erschaffen, in denen dann auch ihre Regeln gelten. Es ist also möglich, einen Raum ohne Waffen und Ballerei zu erschaffen. Um an solche Erweiterung zu gelangen, muss man einen Code eingeben und die jeweiligen Inhalte herunterladen. Einfach so stolpert aber niemand während des Spielerlebnisses in das geplante Museum.
Hier fangen also schon die ersten Probleme an. Zusatzinhalte, die extra vom Spieler selbst installiert werden müssen, schränken den Zugang ein. Auf diese Inhalte werden nur jene zugreifen, die von sich aus das Bedürfnis verspüren, eine solche Auseinandersetzung mit dem Holocaust führen zu wollen. Bernard argumentiert, dass viele US-Amerikaner noch nie in ihrem Leben in einem Museum gewesen seien. Ein virtuelles Museum wäre also eine Chance, die bisherigen Barrieren zumindest etwas niedriger anzusetzen. Und warum sollte der Holocaust nur in Filmen erzählt werden, nicht aber in einem Game?
Genau darin liegt der Trugschluss. Kein popkulturelles Produkt, dessen Anliegen es war, an die unvorstellbaren Gräuel des Holocausts zu erinnern, und zu dessen Vorführungen die Menschen in Massen kamen, hat irgendetwas am Massenbewusstsein geändert. Die alljährlichen Statistiken zum Thema Antisemitismus beweisen dies nur zu deutlich. Erinnerungsarbeit, die popkulturelle noch dazu, diente bisher nur zur Beruhigung des eigenen Gewissens, als sozialpädagogische Maßnahme, dessen Evaluation ausbleiben muss, da sonst das Ausmaß des Scheiterns zu Tage treten würde sowie als Prestigeprojekt von Einzelpersonen oder Firmen.
»Es geht nicht um Erinnerung, es geht um das Bewusstsein einer Gefährdung«, beschrieb der Sozial- und Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma einmal das Dilemma. Eine Ausstellung über die jüdischen Opfer des Naziregimes und seiner Verbündeten, wie sie Bernard plant, macht eben nicht wirklich deutlich, dass »es eine Illusion war, zu meinen, der Zivilisationsprozess sei unumkehrbar«, wie Reemtsma es ausformuliert. Diese Meinung hat der Gründer des Hamburger Instituts für Sozialforschung aber exklusiv. Denn »so ist der Mensch«, wie der Schriftsteller Harry Mulisch einst konstatierte: »Es ist möglich, in ihm alles mit allem zu paaren«, wie zum Bespiel den »Völkermord mit Cocktailparties« oder »Frauenmord mit Madonnenverehrung«. Denn »außerhalb der Regeln der Moral gibt es nirgends eine moralische Wirklichkeit; sie existiert nicht in der menschlichen Natur«.
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass bald in einem Ballerspiel dem Holocaust gedacht wird, während der Antisemitismus außerhalb des Spiels stärker wird.
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