Der Einsteinturm strahlt wieder

Bedeutsames Objekt der Wissenschafts- und Architekturgeschichte auf Potsdams Telegrafenberg saniert

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Sonne scheint wie bestellt. Ihre Strahlen fallen auf dem Potsdamer Telegrafenberg in einen Spiegel in der Kuppel des Einsteinturms. Der reflektiert die Strahlen zu einem zweiten Spiegel, von dem aus das Licht senkrecht nach unten in den Keller fällt. Das Astrophysikalische Institut Potsdam (AIP) nutzt den historisch in zweierlei Hinsicht bedeutsamen Turm, der vor 99 Jahren in Betrieb genommen wurde, um Sonnenflecken zu beobachten. Das sind Stellen, an denen der Feuerball nicht ganz so extrem heiß glüht. Durch Filter betrachtet sind dunkle Flecken zu sehen.

Der Astrophysiker Jürgen Rendtel steht am Dienstagvormittag im Keller, sein Kollege Alexander Warmuth oben bei den Spiegeln. »Es ist kein reines Museumsstück. Wir benutzen es noch für die Forschung. Außerdem bilden wir Studenten an den Geräten aus«, erläutert Warmuth. Außerdem werden hier neue Geräte getestet, ob sie in ihrer Funktionsweise den gestellten Anforderungen entsprechen, ergänzt Rendtel.

Gebaut wurde das Sonnenobservatorium in den Jahren 1920 bis 1922 nach Vorgaben des Astrophysikers Erwin Finlay-Freundlich (1885–1964), um Vorhersagen der Relativitätstheorie des genialen Physikers Albert Einstein (1879–1955) experimentell nachzuprüfen. Dafür entwarf der Architekt Erich Mendelsohn (1887–1953) den nicht weniger experimentellen Turm. Das unter Denkmalschutz stehende Bauwerk mutet futuristisch an, man könnte genauso gut expressionistisch sagen.

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Mit der Verwendung von Ziegelmauerwerk und dem damals noch neuartigen Stahlbeton mit verputzter Oberfläche gelang Mendelsohn eine Form, mit der er die Baukunst vielleicht ähnlich revolutionierte wie die Relativitätstheorie von Einstein die Physik. Doch bereits der damalige Bauleiter nannte den Turm ein »bauphysikalisches Fiasko«. Denn die nicht ausgereifte Technologie brachte es mit sich, dass er in seiner Geschichte zunächst alle zehn Jahre reparaturbedürftig war. Erstmals nach einer Sanierung in den Jahren 1997 bis 1999 konnte er 22 Jahre ohne Stütze auskommen, bis die Bauarbeiter wieder ans Werk gehen mussten. Die jüngste Instandsetzung ist jetzt abgeschlossen. Mit dem Durchschneiden eines roten Bandes durch Brandenburgs Kulturministerin Manja Schüle und Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (beide SPD) ist der sehenswerte Turm seit Dienstagmittag wiedereröffnet.

1,25 Millionen Euro hat die Sanierung gekostet. Bezahlt hat erneut die Wüstenrot-Stiftung, so wie schon in den 1990er Jahren. AIP-Vorstand Wolfram Rosenbach kann dafür gar nicht genug danken, denn anders als mit dieser großzügigen Unterstützung wäre es nicht zu finanzieren gewesen. »Der Turm strahlt wieder bis zur Kuppel hoch«, schwärmt Rosenbach. »Die Architekten des Büros Kühn-von Kaehne und Lange haben all ihre Erfahrung und ihr Können eingebracht.« Und: »Wenn es möglich wäre, würden wir einen Stern nach der Wüstenrot-Stiftung benennen. Würde auch gut klingen: Wüstenrot-Stern! Aber die Community der Astrophysiker lässt das leider nicht zu.«

Joachim E. Schielke, dem Vorstandsvorsitzenden der Wüstenrot-Stiftung, gefällt die Idee der Namensgebung. »Ich würde dem nicht im Wege stehen«, bemerkt er schmunzelnd. Leitsatz der Stiftung sei: »Kultur bewahren!« Man kümmere sich um Literatur, Musik, bildende Kunst und eben auch Architektur. So finanzierte und finanziert die Stiftung beispielsweise auch die Instandsetzung des zum Weltkulturerbe gehörenden Meisterhauses von Georg Muche und Oskar Schlemmer sowie des Meisterhauses von Wassily Kandinsky und Paul Klee unweit der Bauhaus-Schule in Dessau.

Dass die Sanierung des Potsdamer Einsteinturms vom Ende der 1990er Jahre so ungewöhnlich lange vorgehalten hat, freut Schielke. Aber: »Auch die beste Instandsetzung hält nicht ewig.« Offen sei nun noch der Pflegeplan, »mit dem der Einsteinturm gut durch die kommenden Jahre gebracht wird«.

Die jüngste Instandsetzung, die im Jahr 2021 startete, hatte einen langen Vorlauf. Um sie vorzubereiten, sahen sich verschiedene Experten den Turm ganz genau an. Helge Pitz, der bereits für die Sanierung Ende der 1990er Jahre verantwortlich zeichnete, stellte 2017 Risse fest – im Putz insbesondere auf der Westseite, aber auch im Beton auf der Nord- und Südseite. Die Technische Universität Dresden erstellte computergestützte Simulationen und führte bauphysikalische Untersuchungen durch. »In erster Linie ging es dabei darum, die Auswirkungen von Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen auf die Bausubstanz des Einsteinturms zu analysieren«, heißt es. Das sollte nicht nur die Reparatur vorbereiten. Es seien auch Erkenntnisse gewonnen worden, wie zum Beispiel durch bestimmte Heiz- und Lüftungsintervalle der Erhalt des Gebäudes wesentlich unterstützt werden könne. Das Büro Kühn-von Kaehne und Lange habe 2021 ein Sanierungskonzept erarbeitet und den Turm dafür noch einmal Zentimeter für Zentimeter von innen und außen begutachtet.

So absurd es klingen mag, geht es bei dem denkmalgerechten Umgang mit dem Turm auch darum, ihn mit den auf Erich Mendelsohn zurückgehenden Mängeln zu bewahren, weil diese nun einmal zur Originalität des Bauwerks gehören. Das bedeutet, am Einsteinturm wird man sich auch in Zukunft öfter zu schaffen machen müssen als an anderen Observatorien. Vorerst gilt nun aber, was Kulturministerin Schüle am Mittwoch sagt: »Der Turm steht wieder stabil und mit einem frischen Anstrich.« Das wird locker reichen bis 2024, wenn der 100. Jahrestag der Inbetriebnahme gefeiert wird.

Manja Schüle weicht am Dienstag vom üblichen Protokoll ab und spricht die augenzwinkernde Begrüßungsformel: »Liebe Anwesende und Abwesende!« Albert Einstein habe so einstmals die Gäste einer Funkausstellung willkommen geheißen, sagt Schüle. Sie verwendet die Formulierung nun als »Hommage an einen außergewöhnlichen Mann, einen außergewöhnlichen Wissenschaftler, einen außergewöhnlichen Menschen«.

In dem nach ihm benannten Turm auf dem Telegrafenberg hat Albert Einstein zwar nicht selbst gearbeitet. Mit der Gegend ist sein Schicksal aber doch verknüpft. Im etwa sechs Kilometer Luftlinie entfernten Caputh ließ sich der Physiker 1929 ein Sommerhaus aus Holz bauen – von Konrad Wachsmann (1901–1980), einem Pionier des industriellen Bauens. Hier hat sich Einstein nicht nur erholt. Es gab für ihn auch ein Arbeitszimmer. Freude an dem Sommerhaus hatte er aber nur relativ kurz. Denn 1933 kamen die Faschisten an die Macht und Einstein blieb in den USA, wo er gerade weilte. Auch Turm-Architekt Erich Mendelsohn flüchtete dorthin. Beide seien nie nach Deutschland zurückgekehrt, erinnert Kulturministerin Schüle.

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