Was ist die Brandmauer?

Die Rechten werden konstant stärker. Warum hält sie niemand auf?

  • Ioannis Dimopulos
  • Lesedauer: 5 Min.

Spätestens die Ergebnisse der Landtagswahlen in Hessen und Bayern zeigen, dass die politische Rechte sich nicht mehr so einfach bekämpfen lässt. Es hat schon etwas Merkwürdiges an sich. Obwohl parteiübergreifend die Existenz einer sogenannten Brandmauer gegen rechts bei jeder medial sich bietenden Gelegenheit beschworen wird, scheint das die AfD nicht zu interessieren. Stattdessen wird diese Partei konstant stärker – auch in den westlichen Bundesländern.

Glaubt man den gegenwärtigen Umfragen für die kommenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, könnte die AfD nächstes Jahr diese beiden Landesregierungen stellen – wenn die CDU sie mit ihnen bildet. In Thüringen bereiten sich die Christdemokraten offensichtlich darauf vor, dies als demokratischen Akt zu verkaufen. Entweder werden sie ihn als politische Bildungsmission für Rechtsradikale deklarieren oder als Verantwortungsethik aus Respekt vor dem Wählerwillen.

Wer glaubt, dass dies an einer rechtskonservativen Kohorte alter weißer Männer liegt, irrt. Die AfD ist bei jungen Wählern äußerst beliebt. In den Altersgruppen zwischen 18 und 34 Jahren kann sie mit etwa 20 Prozent der Stimmen rechnen, und zwar unabhängig von den Differenzen zwischen West und Ost. Wer als Erklärungsmuster für die Erfolge der AfD deren Rolle als »Kümmererpartei« für angeblich abgehängte Bevölkerungsgruppen bemüht, irrt ebenfalls. Der Wahlkampf der AfD zeigt vielmehr eine andere Tendenz: die bisherigen Regierungen in Ruhe scheitern lassen und das propagandistisch ausschlachten. Oder auch nur behaupten, sie würden scheitern.

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Die Ampel-Koalition unterstützt diese Tendenz. Erst die Konzeptlosigkeit der gegenwärtigen Bundesregierung lässt die Inhaltsleere der rechten Parteien als politische Alternative erscheinen. Die Privatisierung politischer Probleme zu Individualentscheidungen (Heizkosten, Energiewende, Rente) bringt die Legitimität demokratischer Parteien so sehr ins Wanken, dass autoritäre Parteien dies nur pöbelnd denunzieren müssen, ohne jemals sachlich zu werden. Wenn die Ampel sich trotz ihrer institutionellen Möglichkeiten gegen die politische Praxis entscheidet (von politischer Theorie ganz zu schweigen) und sich lieber in rückgratlosen Debatten verfängt, wer denn jetzt mehr an der Dauerkrise der Regierung schuld sei, muss sich niemand schlaglichtartig bei jeder Landtagswahl wundern, wenn die Berliner Regierungsparteien tatsächlich scheitern.

Das einfachste und vielleicht effektivste Mittel gegen autoritär-faschistische Triumphzüge in den deutschen Parlamenten wäre vielleicht eine Bundesregierung, die tatsächlich Interesse am Regieren hat und dem Gerede von der Brandmauer auch Maßnahmen der Brandbekämpfung folgen lässt. Solange die bürgerliche Demokratie nicht versteht, dass sie immer das Potenzial besitzt, in den Faschismus zu kippen, und dass sie aktiv etwas dagegen tun müsste, dürfte sich der antifaschistische Kampf in Deutschland als ineffektiv erweisen.

In Bayern haben die Freien Wähler ihr Ergebnis auf fast 16 Prozent verbessern können. Der Skandal um antisemitische Flugblätter und die peinliche Verteidigungshaltung ihres Vorsitzenden Hubert Aiwanger haben das Gegenteil von dem bewirkt, was man im Feuilleton vermutet hat: weder Rücktritt noch Entlassung. Das verwundert nur auf den ersten Blick. Beim zweiten Hinschauen muss man Aiwanger vielmehr dankbar sein, dass er das Gerede von der Brandmauer gegen rechts, auf der sich konstant ausgeruht wird, ad absurdum geführt hat.

Anders als zu früherer Zeit folgt aus einem eindeutig antisemitischen Flugblatt nicht mehr das Ende der politischen Karriere. Stattdessen werden die Freien Wähler mit der Fortsetzung der Regierungskoalition belohnt. Mit rechtspopulistischen Schreihälsen zu koalieren – nicht nur in Bayern – gefällt der CSU anscheinend besser, als mit den programmatisch inhaltsleer auftretenden Realpolitikern der Grünen zu verhandeln, wie es die CDU in Hessen seit Langem praktiziert.

Der bloße Glaube, die ständige Wiederholung des Begriffs »Brandmauer« wäre ausreichende antifaschistische Praxis, zeigt darüber hinaus jedoch eines: Rechte Positionen, im schlimmsten Falle antisemitische und rassistische Ausfälle, aufzudecken, hat den investigativen Charakter verloren. Die gehaltlose Empörung vor immer regelmäßiger auftretenden Skandalen sorgt nicht mehr dafür, dass entsprechende Leute sanktioniert oder aus ihren politischen Ämtern entlassen werden. Vielmehr scheint aus der Entlarvung der Ideologen und Steigbügelhalter eine erfolgreiche Werbung für rechte Parteien geworden zu sein. In der Konsequenz scheint sich die Aufklärungsarbeit antifaschistischer Gruppen in ihr Gegenteil zu verkehren. Jemanden als ideologisch gefährlichen Politiker zu benennen, führt mittlerweile dazu, dass sich die Ergebnisse autoritärer Parteien weiterhin verbessern und konsolidieren.

Das hängt damit zusammen, dass in Zeiten der viel beschworenen Polykrise die Attraktivität für einfache und verkürzte Erklärungsmodelle besonders wächst. Dagegen lässt sich nicht ankämpfen, indem man einzelne Personen skandalisiert. Vielmehr macht die Identifikation der Masse mit autoritären Figuren jeden Vorwurf politischer Hetze zu einem Vorwurf an die manipulierte Masse. Die Privatisierung des Politischen, die Menschen mit ihren Problemen allein zu lassen und diese zu Individualentscheidungen zu verkürzen, bereitet dafür den Boden. Dass das gesamtdeutsche Bewusstsein sich damit offenbar abgefunden hat, könnte in den nächsten Jahren dazu führen, dass rechtsgerichtete Parteien es sich im Geiste vermeintlich politischer Verantwortung in Regierungen gemütlich machen.

Die aggressive Grundstimmung gegen Juden, Migranten, aber auch gegen geistige Arbeit und Intellektuelle ist das Wesen autoritärer Politik. Diese Politik fängt schon vor der Brandmauer an. Es ist durchaus vorstellbar, dass die CDU eines Tages behaupten wird, sie müsste die Brandmauer innerhalb einer Regierung errichten, um damit bei ihrem potentiellen Koalitionspartner AfD das Schlimmste zu verhindern – ähnlich hatte Alfred Hugenberg 1933 auch argumentiert.

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