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Uri Hirsch aus Israel: »Ich komme hier nicht weg«

Der in Berlin lebende Deutsch-Israeli Uri Hirsch hat die Angriffe der Hamas miterlebt und sitzt in Israel fest

  • Interview: Benjamin Beutler
  • Lesedauer: 6 Min.

Sie waren am Tag der Hamas-Angriffe in Beer Schewa im Süden Israels, mit rund 200000 Einwohner*innen eine der größten Städte des Landes, knapp 50 Kilometer vom Gaza-Streifen entfernt. Nun sind Sie immer noch dort und wollen zurück nach Deutschland?

Am Tag der Angriffe wollte ich nach Berlin zurückfliegen. Alle Flüge wurden gestrichen. Ich habe meine Eltern besucht, jetzt sitze ich hier fest und komme nicht weg. Und das seit einer Woche. Ich bin Israeli mit deutschen Wurzeln. Ich lebe seit 15 Jahren in Deutschland. Ich arbeite in Deutschland, zahle in Deutschland Steuern. Ich bin hier nur zu Besuch. Und jetzt kann ich nicht zurück. Von der deutschen Regierung habe ich erwartet, dass sie mich schnell zurückbringen. Aber alle meine Flüge sind gestrichen. Es ist fast unmöglich, das Land zu verlassen.

Sie haben sich bei Elefand registriert, dem Evakuierungssystem des Außenministeriums für deutsche Staatsbürger. Die Bundesregierung hatte zu diesem Zeitpunkt acht Flüge für ausreisewillige Deutsche mit der Lufthansa angekündigt.

Genau. Einen Tag nach der Registrierung bekam ich eine E-Mail mit einer Hotline-Nummer. Die Mail kam um 17 Uhr mit der Info, dass in einer Stunde eine Hotline eröffnet wird und ich dort anrufen soll. Ich kenne drei andere deutsche Staatsbürger, die Israel schnellstmöglich verlassen wollten. Keiner von uns hat es geschafft, jemanden über diese Hotline ans Telefon zu kriegen, nicht einer von uns. Ein Bekannter hat jetzt selbst einen Flug organisiert. Eine andere Bekannte hat ihre Familie in Deutschland kontaktiert, die von dort aus das Auswärtige Amt erreicht und einen Rückflug für sie bekommen hat. Für mich hat dann auch ein Bekannter von Deutschland aus beim Auswärtigen Amt angerufen. Da geht ein Anrufbeantworter ran mit der Info, dass alle Rückholflüge ausgebucht sind und auf weitere Informationen gewartet werden soll.

Und das haben Sie gemacht?

Ja. Am frühen Nachmittag kam eine E-Mail, ich solle in einer Stunde in Haifa sein, von dort lege ein Schiff nach Zypern ab, wofür ich 400 Euro zahlen solle. Ich könne mit, wenn ich in einer Stunde da bin. Von Beer Schewa sind es mindestens zwei Stunden im Auto bis nach Haifa, das am anderen Ende Israels im Norden liegt. Völliger Unsinn.

Wie haben Sie den Tag des Angriffs erlebt?

Freitagnacht war ich aus und bin spät schlafen gegangen. Um halb sieben morgens werde ich von einer Sirene wach. Keine Ahnung, was los ist. Meine Mutter sagt: Bombenalarm, wir müssen in den Bunker. Wir haben einen kleinen Schutzraum, der ist nicht ganz sicher, das Haus ist über 50 Jahre alt. Mutter, Vater und ich waren in diesem kleinen Raum. Wir hörten Explosionen, später sind wir raus. Im Fernsehen nichts. Dann ein neuer Alarm, und noch einer. Von morgens bis mittags Daueralarm, das haben wir nicht verstanden. Das gab es in Beer Schewa noch nie. Später sahen wir im Fernsehen, dass Hamas in Sderot ist, knapp eine halbe Autostunde von uns weg: sechs bewaffnete Kämpfer auf einem Pickup-Truck, auf einer Straße mitten in Sderot, die auf jeden schießen. Dass ganz Israel angegriffen wird, das haben wir nicht verstanden. Erst über Tiktok und Telegram, als dort die Videos mit den Massakern kamen und nachmittags die Opferzahlen, erst 50, dann 100, jetzt 1300 Opfer an einem Tag, die meisten Zivilisten, da haben wir verstanden, was passiert.

Was fühlen Sie?

Alle stehen unter Schock. Wir sind enttäuscht von Israels Regierung, von der »stärksten Armee im Nahen Osten«. Statt Gelder richtig einzusetzen, hat Ministerpräsident Netanjahu nur seinen Machterhalt im Blick und dafür mit radikalen Leuten eine Regierung gebildet, die die Siedler unterstützen. Für den Schutz der Siedlungen wurde Geld und Militär abgezogen. Dafür, was jetzt passiert ist, dafür wird Netanjahu niemals Verantwortung übernehmen. Die Menschen in den überfallenen Dörfern sagen: »Wir sind Linke. Bis vor kurzem noch hat uns Netanjahu als Verräter bezeichnet.« Im Fernsehen weinen diese Menschen: »Wir sind Verräter? Sie haben uns alle getötet und wir sind Verräter?«

Sind Sie direkt betroffen?

Jeder kennt jemanden, der gestorben ist. Ein Freund von mir aus Schulzeiten, er und seine Frau, sie wurden beide abgeschlachtet in den Dörfern nahe Gaza. Ihrem 16-jährigen Sohn wurde in den Magen geschossen, er hat überlebt. Ihre zwei Jahre alte Tochter wurde gerettet. Die Tochter einer meiner Freunde, 21 Jahre alt, ging auf das Outdoor-Festival nahe dem Kibbuz Reim. Sie ist in einem Sarg zurückgekommen, sie ist tot, auf der Party ermordet. Ein anderer Freund von meiner Grundschule wird vermisst. Die Schwester eines Freundes wurde nach Gaza verschleppt, gekidnappt. Ein Arzt erzählte mir, dass sogar die Rettungskräfte geschockt sind: geschändete Leichen, abgeschlagene Körperteile, das haben selbst sie zuvor nie gesehen.

Haben Sie Angst?

Jetzt fühlen sich die Menschen in Israel nicht mehr sicher, sie haben verstanden, dass sie nicht sicher sind. Ob rechts oder links, alle sagen: Wir wollen die Bedrohung durch Hamas beenden. Mit Hamas muss Schluss gemacht werden. Die palästinensische Bevölkerung muss gegen die Hamas revoltieren. Oder die israelische Armee wird Hamas beenden. Ein Leben mit der Hamas neben uns, das ist nicht mehr möglich. Jedes Mal, wenn der Krieg vorbei ist, bewaffnen sie sich neu. Dieses Mal sind 1300 Menschen tot. Wir wissen nicht, wie viel es beim nächsten Mal sind.

Wie geht es weiter?

Wir sind alle betroffen. Die ganze Stadt ist zu, nur noch Lebensmittelläden haben offen. Die Menschen sind zur Armee. Mein Leben in Berlin fühlt sich nicht sicher an. Ich muss aber zurück, ich wohne in Berlin-Neukölln. Und ich höre von Leuten, die auf der Straße angespuckt werden, weil sie Hebräisch sprechen. Ich habe wirklich Angst. Die Nachbarschaft kennt mich und weiß, dass ich Israeli bin. Ich wohne da seit 15 Jahren, aber ich habe das Gefühl, dass ich niemandem vertrauen kann. Ich weiß nicht, ob sie mich jetzt oder eines Tages verletzen wollen. Alles scheint möglich.

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