- Berlin
- Friedhof der Märzgefallenen
Neuer Zugang zur Revolution von 1848
Siegerentwurf für ein Besucherzentrum am Friedhof der Märzgefallenen in Berlin-Friedrichshain vorgestellt
Der Friedhof der Märzgefallenen in Friedrichshain, auf dem 255 Todesopfer der Revolution von 1848 bestattet sind, aber auch die ersten Opfer der Novemberrevolution von 1918, soll ein Besucherzentrum erhalten. 63 Bewerbungen von Architekturbüros gingen ein, die dieses Zentrum projektieren wollten. Zwölf Büros wurden ausgewählt, ihre Entwürfe auszuarbeiten und einzureichen. Der gewählte Stil reichte von kompakt und funktional bis modernistisch. Am Montag präsentierte Architekt Matthias Reese den Entwurf, den seine Wettbewerbsjury einstimmig zum Sieger kürte. Er stammt vom Berliner Büro AFF Architekten, das mit dem Landschaftsarchitekturbüro Birgit Hammer zusammenarbeitete.
Als der Juryvorsitzende gegen 12.30 Uhr mitten auf dem Friedhof der Märzgefallenen das rote Tuch von dem dort aufgestellten Glaskasten zog, sahen die Gäste der Präsentation erst einmal nicht viel, sondern nur die Nachbildungen der Bäume im Gelände. Sie schmunzelten und lachten deshalb freundlich. Selbst vom Stuhl aufzustehen, brachte wenig. Die interessierten Betrachter mussten schon näher herantreten, um im Modell das geplante Gebäude zwischen den Bäumen zu erspähen.
Das zeigt: Ein großes Problem beim Umgang mit dem vorhandenen Gelände konnte gelöst werden. Lediglich ein einziger Baum muss für das Besucherzentrum gefällt werden. Bisher verfügt der Paul-Singer-Verein, der den Friedhof seit mehr als 20 Jahren betreut, nur über einen Container. Doch dieses Provisorium eignet sich nicht für die pädagogische Bildungsarbeit, die bislang im Freien stattfinden muss. Das ist bedauerlich, zumal die Witterung an den Jahrestagen der beiden Revolutionen im März sowie im November oft kalt und nass ist. Im künftigen Besucherzentrum soll es endlich die schon lange benötigten Räume geben.
Nur so könne die Bildungsarbeit ausgebaut und die Nachfrage befriedigt werden, sagte Kultursenator Joe Chialo (CDU) am Montag. »Für Freiheit und Fortschritt gab ich alles hin«, zitierte Chialo den 1848er Revolutionär Robert Blum. »Der Kampf um eine freiheilich-demokratische Grundordnung kostete ihn das Leben«, erinnerte der Senator. Heute sei das fast vergessen. Aber die Bedeutung des Friedhofs am Ernst-Zinna-Weg 1 sei nicht zu unterschätzen.
Der Ernst-Zinna-Weg wurde vor 23 Jahren benannt nach dem Schlosserlehrling, der am 18. März 1848 in Berlin die Barrikade an der Jäger-, Ecke Friedrichstraße verteidigte und von zwei Schüssen tödlich getroffen wurde. Am 19. März wurde der preußische König Friedrich Wilhelm IV. gezwungen, Zinna und anderen Opfern an deren offenen Särgen die Ehre zu erweisen. Dem König wurde dann 1849 von einer Delegation der Nationalversammlung, die in der Paulskirche von Frankfurt am Main tagte, die Krone des deutschen Kaisers angetragen. Doch er lehnte ab. Diese Krone habe den »Ludergeruch der Revolution«, äußerte er abfällig.
Auch wenn die Revolution von 1848 scheiterte: Der Friedhof der Märzgefallenen erinnere daran, was man nie vergessen dürfe, erklärte Senator Chialo. »Menschen opferten ihr Leben für eine Staatsform, die wir heute als selbstverständlich hinnehmen.« Doch auch heute müsse man für die Demokratie kämpfen. Chialo sagte weiter: Ein Erinnerungs- und Gedenkort erkläre sich nicht von allein, dafür sorge der Paul-Singer-Verein. »Das verdient meinen Respekt.« Die Demokratiebildung zu fördern und zu stärken, dem sollten sich Bund und Land verpflichtet fühlen. Er könne also nur an den Bund appellieren, sich finanziell zu beteiligen, so Chialo.
Denn nun geht es darum, das Besucherzentrum zu bauen. Die bisher schon angefallenen Kosten des Projekts teilten sich Bund und Land je zur Hälfte. »Es ist eine sehr gute Nachricht, dass jetzt ein überzeugender Siegerentwurf für das künftige Besucherzentrum gekürt wurde«, erklärte Bundeskulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), die nicht zum Termin auf dem Friedhof erschien. Doch aus der Ferne ließ sie wissen: »Ich hoffe sehr und werde mich dafür einsetzen, dass dieser Entwurf so rasch wie möglich als Gedenk- und Lernort für unsere Demokratie realisiert werden kann.«
»Das Besucherzentrum ist ein Quantensprung für die Arbeit des Gedenkortes«, sagte Friedhofsleiterin Susanne Kitschun. »Wir freuen uns unbeschreiblich auf Räume für die Pädagogik, für Ausstellungen und Veranstaltungen. Bisher waren wir komplett vom Wetter abhängig. Nicht ganz einfach bei ganzjährigen Angeboten und wenn die Gedenktage der 18. März und der 9. November sind.« Arbeitsplätze für die Mitarbeiter sollen bei der Gelegenheit auch geschaffen werden.
Für Senator Chialo ist der Friedhof der Märzgefallenen »ein demokratiegeschichtlich einzigartiger Ort in Europa, der Bau des Besucherzentrums dringend notwendig«. Dennoch ist der Friedhof in der Bevölkerung relativ unbekannt. Architekt und Juryvorsitzender Matthias Reese hat bei Freunden und Bekannten herumgefragt und muss bedauernd feststellen: »Es ist wirklich so. Es kennen wenige diesen Ort.« Vielleicht auch deshalb überzeugt ihn am Siegerentwurf besonders die »Niedrigschwelligkeit des Zugangs«. Man könne sich in dem geplanten Gebäude frei bewegen, ohne den großen Fingerzeig gleich am Eingang.
Möglich ist das Bauvorhaben überhaupt nur, weil auf dem Areal des benachbarten Klinikums Friedrichshain ein geeignetes Grundstück identifiziert werden konnte. Schließlich wäre die Baumaßnahme auf dem Friedhof selbst nicht möglich. Der Denkmalschutz verhindert es. Der kommunale Krankenhauskonzern Vivantes ließ sich das Grundstück durch die landeseigene BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH bereits abkaufen. »Es liegt uns am Herzen, im Kostenrahmen zu bleiben«, sagte am Montag BIM-Geschäftsführerin Birgit Möhring. »Ich weiß, das ist nicht ganz einfach.«
Vom Rednerpult sind es nur wenige Schritte bis zu den schlichten Grabsteinen beispielsweise des Tischlergesellen Caspar Knickenberg, des Malergehilfen A. E. Goldmann oder des Lehrlings Herrmann Schulz. Diese Barrikadenkämpfer waren 32 Jahre, 18 und 15 Jahre alt, als sie in der 1848er Revolution ihr Leben einbüßten. Und das vergeblich. Denn die bürgerliche Republik kam erst 1918, als Kaiser Wilhelm II. abdanken musste und die Monarchie in Deutschland ihr Ende fand. Die Novemberrevolution von 1918 wollte gleich einen Schritt weiter zum Sozialismus. Doch auch diese wurde im Blut erstickt.
Die Ereignisse von 1918 lässt CDU-Politiker Chialo in seiner Ansprache unerwähnt. Am Rednerpult steht neben der Jahreszahl 1848 nur ganz klein 1918.
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