Gastgewerbe ohne Fachpersonal

Gewerkschaftsstudie zeigt Trend zu mehr Minijobs und weniger Auszubildenden auf

  • Moritz Aschemeyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Beschäftigungslücke im Gastgewerbe wird vor allem mit Ungelernten und Minijobbern gefüllt. Zu diesem Schluss kommt eine Analyse im Auftrag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, welche die Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Erhöhung des Mindestlohns auf die Branche untersucht hat.

Laut der Studie arbeiteten im Jahr 2022 rund 100 000 Menschen weniger in den drei Teilbranchen Gastronomie, Beherbergung und Catering als vor der Pandemie, als diese insgesamt 2,3 Millionen Beschäftigte verzeichneten. Viele Beschäftigte seien während der Pandemie abgewandert, etwa in den Einzelhandel oder die Logistik. Zwar seien seit dem pandemiebedingten Tiefstand aus dem Jahr 2021 in der Branche 224 000 Beschäftigte hinzugekommen, an Entwarnung dachte bei der Vorstellung der Studie am Dienstag in Berlin allerdings niemand. So berichteten mehr als drei Viertel der 4000 für die Studie befragten Beschäftigten von einem belastenden Personalmangel. Auch in einer im September vom Branchenverband Dehoga veröffentlichten Studie benannten 65 Prozent der Betriebe akuten Arbeitskräftemangel als Problem. Das Jobcenter listete im August 25 000 offene Stellen in der Branche, die Dunkelziffer dürfte laut den Studienautoren deutlich höher sein.

Auch dass sich der Personalmangel weiter verschärfen könnte, zeigen die Umfragedaten: 34 Prozent der Beschäftigten sehen keine Zukunft für sich im Gastgewerbe. Als Hauptgrund dafür wird die niedrige Bezahlung genannt. Das Gastgewerbe ist die Niedriglohnbranche schlechthin: Vor der Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro im vergangenen Jahr arbeiteten zwei Drittel der dort Beschäftigten zu einem Lohn von unter 12,50 Euro. Zwar hätten mehr als die Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und fast 90 Prozent der Minijobber von der Mindestlohnerhöhung profitiert, die Zugewinne seien aber durch die Inflation teils wieder aufgezehrt worden, so die Studie. Auch viele Tarifverträge starten in der Branche mit Einstiegslöhnen nur knapp über dem Mindestlohn.

Der NGG-Vorsitzende Guido Zeitler sprach angesichts der Befunde von einer existenziellen Situation für die Branche, die Pandemie habe dabei noch als Katalysator gewirkt. Zwar sei die finanzielle Situation mancher Betriebe angespannt, die Personalnot jedoch hausgemacht. So habe auch die Ermöglichung einer Mitgliedschaft in der Dehoga ohne Tarifvertrag dazu beigetragen, dass die Tarifbindung in der Branche zwischen 2010 und 2022 von 37 Prozent der Betriebe auf 20 Prozent zurückgegangen sei. Auch erreichten Tarifverträge insbesondere in der von Kleinbetrieben geprägten Gastronomie nur wenige Beschäftigte. Daher sieht Zeitler auch die Politik gefragt, durch Tariftreueregelungen bei öffentlichen Aufgaben, durch Arbeitsschutzkontrollen und den Schutz des Achtstundentages vor Lockerungen. Letzteres fordert die Dehoga, um einem weiteren Attraktivitätsverlust der Branche entgegenzuwirken.

Laut aktuellen Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) gehe die derzeitige Erholung der Beschäftigung weiter, erklärte die Studienautorin Katrin Schmid. »Es wird mehr Beschäftigte geben als vor der Pandemie, allerdings mit einer veränderten Beschäftigungsstruktur«, sagte die Sozialökonomin. So gehe die BA von einem Zuwachs von 2,8 Prozent bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in 2023 aus. Mit 9,8 Prozent liege der erwartete Aufwuchs bei Minijobs jedoch deutlich darüber. Auch der bisherige Zuwachs geht laut der Studie zu etwa zwei Dritteln auf die Ausweitung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse zurück. Zudem sei mit 35 Prozent ein hoher Anteil an Ungelernten am jüngsten Personalaufwuchs zu verzeichnen. »Wenn sich dieser Trend fortsetzt, haben wir in der Zukunft noch weniger Fachkräfte«, so Schmid.

Die mangelnde Attraktivität der Branche äußert sich auch in fehlendem Nachwuchs. Der Studie nach hat sich die Anzahl der Auszubildenden zwischen 2007 und 2022 um zwei Drittel auf etwa 37 000 reduziert. Lediglich 16 Prozent der Betriebe bildeten 2022 noch aus, viele Stellen blieben unbesetzt. Beim Ranking des DGB-Ausbildungsreports landen Berufe aus dem Gastgewerbe auf den hinteren Rängen, die Abbrecherquoten lagen bei Köchinnen und Köchen zuletzt bei 46 Prozent, in der Systemgastronomie beendeten mehr als die Hälfte der Auszubildenden ihre Lehre nicht. Viele beklagten häufige Überstunden und ausbildungsfremde Tätigkeiten, also den Einsatz als günstige Arbeitskräfte.

Dass die Gewerkschaft den von Zeitler geforderten Startlohn von 3000 Euro brutto für Fachkräfte in Vollzeit zeitnah durchsetzen kann, erscheint unwahrscheinlich. Bereits jetzt klagen viele Betriebe laut Dehoga-Umfrage über gestiegene Personalkosten und Umsatzeinbrüche angesichts gestiegener Preise. Auch der NGG-Chef glaubt nicht an eine schnelle Lösung, doch er hält einen Neustart in der Branche für unumgänglich: »Die Löhne müssen rauf, die Arbeitszeiten runter. Tarifverträge müssen endlich für alle gelten. Die Zeiten der Ausbeutung sind vorbei – wenn dieses Signal ausbleibt, werden wir wegen Personalmangel in Zukunft noch öfter vor geschlossenen Türen stehen.«

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