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Polen: Erfolg trotz unterschiedlicher Positionen
Polenexperte Holger Politt über die Ergebnisse der Parlamentswahl
Herr Politt, die nationalkonservative PiS hat die Parlamentswahl in Polen gewonnen und dennoch verloren. Wie kam es dazu?
Die PiS hat fast denselben Stimmanteil wie 2015, als sie damit die absolute Mehrheit bekam. Die Wahlstrategen der Nationalkonservativen haben auf Ergebnissicherung gesetzt. Man ist davon ausgegangen, dass man mit den Zahlen sicher gewinnt. Überrascht wurde die PiS davon, wie es der demokratische Oppositionsbogen geschafft hat, sein eigenes Wählerpotenzial zu mobilisieren. Das ist die große Leistung von Donald Tusk. Die gewaltige Demonstration gegen die Regierung am 4. Juni war ein ordentlicher Schlag für die Nationalkonservativen, der gesessen hat. Dasselbe gilt für die Demonstration am 1. Oktober. Das hat sich ausgezählt. Die Opposition hat frühere Nichtwähler für sich mobilisieren können, vor allem bei den 40- bis 50-Jährigen. Das war vorher auch nicht so. Und diese Gruppe hat den Ausschlag gegeben. Hinzu kommt, dass die PiS bei den jungen Menschen im Bereich von 18 bis 29 Jahren keinen Zuspruch bekommen hat. Von allen Parteien, die in den Sejm einziehen, hat sie den schlechtesten Wert. Das ist tödlich, wenn man regieren will.
In Deutschland wurde das Ergebnis wohlwollend aufgenommen. Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Holger Politt ist Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung und lebt in Warschau. Politt gilt als ausgewiesener Polen-Kenner.
Der große Wahlverlierer ist Viktor Orbán. Der ungarische Ministerpräsident verliert auf der europäischen Bühne seinen besten Bündnispartner und die gemeinsame Rückversicherung. Beide schützen sich gegenseitig vor Interventionen. Orbán kann sich zwar mit Robert Fico in der Slowakei trösten. Aber das ist kein Ersatz.
Was macht die neue Regierung aus?
Das wird spannend. Die bisherige Opposition ist ein Bogen von gemäßigt konservativ über liberal und sozialdemokratisch bis linksalternativ. Wirklich auch als Bogen, die Hauptkräfte liegen dann in der Mitte. Zu einem Bündnis wurden sie erst durch die Wähler, die ihnen die Koalition aufgetragen haben. Man muss sehen, wie das wird. Lange Zeit war umstritten, ob man wie in Ungarn eine gemeinsame Liste macht, man hat sich dann aber dagegen entschieden. Eine richtige Entscheidung, wenn man das Ergebnis sieht. Zudem hat man seit 2019 die Mehrheit im Senat und wird sie behalten. Dadurch hat man ein Fundament an Vertrauen aufgebaut, mit dem man gut arbeiten kann.
Welche politischen Gruppen sind in der zukünftigen Koalition?
Die Bürgerkoalition ist im Kern liberal, hat aber dazugelernt. Heute sind dort auch Grüne, Konservative, Frauenrechtlerinnen vertreten. Die Bürgerkoalition macht etwa zwei Drittel aus. Auf der »rechten« Seite gibt es gemäßigte Konservative und Agrarier. Auf der anderen Seite reicht das Spektrum bis zur linken Razem. Die alle müssen zusammenkommen. Es gibt eine Reihe von Fragen zu klären, so unterscheiden sich etwa die sozialpolitischen Auffassungen. Knackpunkt könnte die Liberalisierung des Abtreibungsrechts werden. Da spielt Tusk in der Mitte eine zentrale und moderierende Rolle. Näheres kann man erst sagen, wenn die Regierung steht und die Ministerien aufgeteilt sind. Aber Polen ist ein Beweis, dass man mit einem relativ klaren Ziel zusammengehen kann, auch wenn man politisch ganz unterschiedliche Positionen hat. Das ist besser gelungen als 2019. Durch die »Schule der Demokratie« im Widerstand gegen Jarosław Kaczyński haben sich völlig unterschiedliche Kräfte auf ein Ziel geeinigt, ihre Widersprüche und Unterschiede ausgehalten, sich nicht geschadet und die Aufgabe so erfüllt, dass der Wähler weiß, der Regierungsauftrag liegt in guten Händen. Interessant ist die Stellung der Linken. Man hat eine Fraktion mit zwei Parteien, die zusammen angetreten sind, um die fünf Prozent zu schaffen. Und sie hat es geschafft, sich nicht zu zerstreiten. Das ist das umgekehrte Modell von Deutschland. Bei uns würde das heißen, die Linksfraktion hält zusammen, egal was da unten an der Basis passiert. Deswegen konnte man auch konstruktiv mit dem liberalen und dem gemäßigt-konservativen Partner zusammenarbeiten.
Der Staatsapparat und viele Medien sind mit PiS-Gefolgsleuten durchsetzt. Kann man gegen sie regieren?
Das wird ganz schwer. Die neue Regierung hat die Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Und dann kommt Präsident Andrzej Duda, der aus dem nationalkonservativen Spektrum stammt. Der Präsident kann sein Veto einlegen, dass der Sejm wiederum mit einer Zweidrittelmehrheit überstimmen kann. Die gibt es aber nicht. Tusk ist sehr erfahren und wird den Präsidenten bei seinen Vorhaben immer mitdenken. Das wird ein komplizierter Prozess. Die nächste Präsidentschaftswahl ist 2025, bis dahin muss man das aushalten. Bei den Medien und in anderen Bereichen muss man sehen, wie lange es braucht, alles zurückzuspulen, was die PiS über Jahre aufgebaut hat. Das wird langsam, Schritt für Schritt geschehen und dagegen wird es Widerstand geben. Das ist ja hier keine Revolution gewesen, sondern eine demokratische Wahl.
Im Netz war am Wahlabend wiederholt zu lesen, das Ende der PiS sei noch nie so nah gewesen. Ist das übertrieben?
Da gibt es unterschiedliche Bewertungen. Der Politologe Rafał Fedoruk meint, dass die Partei nicht auseinanderfallen wird. Unruhe ja, Auseinanderbrechen nein. Die PiS kann als Oppositionspartei nicht den wilden Max spielen. Im Frühjahr wird auf kommunaler und lokaler Ebene gewählt, hier war die bisherige Opposition immer sehr stark. Die Nationalkonservativen müssen erst einmal sehen, dass sie diese Wahlen relativ ungeschoren überstehen. Dann kommt die Europawahl und dann schon die Präsidentschaftswahl. Und sie müssen mit ihren Ressourcen haushalten, die sind nicht unendlich. Eine offene Frage ist die zukünftige Rolle von Kaczyński. Er ist alt geworden und kaum noch wiederzuerkennen. Die Rolle als Oppositionsführer wird er nicht stemmen können. Und einen Nachfolger hat er nicht aufgebaut, das ist seine Schwäche. Mateusz Morawiecki wird es vermutlich nicht.
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