Al-Ahli-Krankenhaus: Ein unaufgeklärtes Verbrechen

Zur Frage, wer für den Angriff auf das Al-Ahli-Krankenhaus verantwortlich ist, gibt es viele Indizien, aber keine Beweise

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt nach der Explosion.
Das Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt nach der Explosion.

Die Detonation hinterließ grausame Szenen. Ein Video der Nachrichtenagentur AP aus dem Krankenhaus zeigt brennende Flure, Rauch und allgemeine Zerstörung. Auf dem Krankenhausgelände liegen überall zerfetzte Körper, man erkennt kleine Kinder. Decken, Schulrucksäcke und andere Habseligkeiten liegen herum. Kein Zweifel, dass es sich um ein Kriegsverbrechen handelt– selbst dann, wenn das Krankenhaus versehentlich getroffen worden sein sollte. Das Kriegsvölkerrecht ist in dieser Frage eindeutig.

Die Hamas, die vor gut einer Woche die Kämpfe mit Israel ausgelöst hat, sprach von einem »schrecklichen Massaker«. Mindestens 500 Opfer gebe es, sagte das Gesundheitsministerium in Gaza und machte die israelische Luftwaffe für das Verbrechen verantwortlich.

Das israelische Militär bestreitet die Täterschaft. Vor der Presse sagte Konteradmiral Daniel Hagari, man sei sicher, dass zum Zeitpunkt der Explosion diese Gegend von israelischer Seite weder aus der Luft, noch vom Boden oder von See angegriffen worden sei. Hagari beschuldigte stattdessen den Islamischen Dschihad. Dabei handelt es sich um eine kleinere, radikal-militante palästinensische Gruppe, die auf Seiten der Hamas gegen Israel kämpft. Sie habe in der Nähe des Krankenhauses Raketen abgefeuert. Radar- und Videoaufzeichnungen sowie weitere Geheimdienstinformationen deuteten darauf hin, dass eine Dschihad-Rakete zum Irrläufer wurde. Der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus erklärte gegenüber dem US-Sender CNN, das Militär habe ein entsprechendes Gespräch zwischen Hamas-Terroristen abgehört. Das Verteidigungsministerium in Tel Aviv zeigte zudem Luftaufnahmen vom Krankenhausparkplatz, dem Ausgangspunkt des Infernos, und behauptete, dass die Detonation nicht mit der Wirkung der von Israel eingesetzten Waffen übereinstimme. Ungewöhnlich war auch die direkte Reaktion des israelischen Verteidigungsministeriums gegenüber Al Jazeera. Der arabische Nachrichtensender hatte Israel als Täter ausgemacht und bekam via Twitter die Anweisung: »Überprüfen Sie Ihr eigenes Filmmaterial, bevor Sie Israel beschuldigen.« Um 18:59 sei eine auf Israel gerichtete Rakete explodiert, zeitgleich wurde das Krankenhaus in Gaza getroffen.

Der Islamische Dschihad wiederum wies alle Schuld von sich. Israel versuche, »sich der Verantwortung für das brutale Massaker zu entziehen«. Im Telegram-Kanal war zu lesen: Das schreckliche Massaker, das von der zionistischen Besatzung verübt wurde, sei Völkermord und zeige »einmal mehr das hässliche Gesicht dieses kriminellen Feindes und seiner faschistischen und terroristischen Regierung«. Zugleich werde so »auch die amerikanische und westliche Unterstützung« belegt. Der Islamische Dschihad verwies auf Israels Anordnung zur Evakuierung des Gebietes, zu dem auch der Krankenhauskomplex gehört. Er sei bereits öfter Ziel von Bombenangriffen gewesen. Das Ausmaß der Explosion, der Winkel des Bombeneinschlags und das Ausmaß der Zerstörung deuteten eindeutig auf eine israelische Urheberschaft hin.

Von palästinensischer Seite wird auch darauf verwiesen, dass Israel bei der Auswahl seiner Ziele und beim Einsatz seiner militärischen Mittel nicht zurückhaltend ist. Und das, obwohl die eigentliche Bodenoffensive noch gar nicht begonnen hat. So feuerten jüngst israelische Panzer auf eine UN-Schule im Zentrum des Gazastreifens, in der 4000 Palästinenser Zuflucht gesucht hatten, sechs Menschen kamen um, wie das palästinensische Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen mitteilte. Insgesamt seien in der vergangenen Woche mindestens 24 UN-Einrichtungen getroffen worden. Israel bestreitet solche Meldungen nicht, verweist aber darauf, dass die Hamas-Terroristen sich immer öfter unter die Flüchtlinge mischen, ihre Stellungen vorzugsweise in bewohnten Gebieten errichtet haben und von dort aus Orte jenseits der Grenze beschießen.

Es gibt eine Reihe von Indizien, die gegen eine israelische Verantwortung sprechen. Das gewichtigste ist politischer Natur. Es wäre hochgradig kontraproduktiv, wenn Israel ein palästinensisches Krankenhaus ausgerechnet zu einem Zeitpunkt angreift, zu welchem US-Präsident Joe Biden auf dem Weg ins Land ist, um seine Solidarität zu zeigen. Dennoch gilt, dass in jedem Krieg Fehler und Pannen in der Befehlskette keine Seltenheit sind.

Ein technisches Versagen ist bei den aus Gaza abgeschossenen Raketen gut möglich. Deren Komponenten werden über große Entfernungen geschmuggelt oder aus verfügbaren Materialien zusammengesetzt. Die Handhabung der Raketen durch die Hamas und andere Gruppen entspricht keinen international üblichen Sicherheitsvorgaben. Das betrifft auch die Lagerung von Munition in Tunneln und Bunkern. Überdies tummeln sich verschiedenste Gruppen und militärisch nur mäßig ausgebildete Hasardeure im Kriegsgebiet. Sie haben ihre eigenen, oft kaum erkennbaren Ziele. Eine unabhängige Untersuchung vor Ort, bei der Waffenteile sichergestellt, Einschlagwinkel vermessen und chemische Untersuchungen vorgenommen werden könnten, könnte Klarheit schaffen. Doch die wird es wohl nicht geben.

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