Werbung

Titten, Thesen, Temperamente

Wir können den Nahost-Konflikt nicht lösen, aber wir können es lassen, Rassismus zu verbreiten und Geschichte umzuschreiben.

  • Jana Talke
  • Lesedauer: 3 Min.
Ist es viel schwerer geworden, Freunde zu finden als früher?
Ist es viel schwerer geworden, Freunde zu finden als früher?

Howdy aus Texas, liebe Leser*innen,

was ist Ihre Friedenslösung für den Nahost-Konflikt? Nur keinen Stress, ich warte. Ich überlege auch noch. Und während wir zusammen überlegen: Bin ich’s nur, oder ist es viel schwerer geworden, Freunde zu finden als früher? Und nicht nur sie zu finden, sondern auch sie zu behalten?

In der Jugend genügte es einst, sich aufgrund eines gemeinsamen Interesses aneinander zu ketten – Musik oder Marihuana, Computerspiele oder Comics, Tennis oder Titten. Bei Ausbleiben eines solchen konnte man gar auf eine bloße Gemeinsamkeit wie Beliebt- oder Unbeliebtheit, einen Migrationshintergrund oder generationsübergreifenden Wohlstand zurückgreifen. Im Erwachsenenalter hingegen muss man plötzlich alles auf die Waag- und Präsentierschale legen. Werden sich die Partner verstehen? Und die Kinder? Die Hunde? Essen die neuen Bekannten Fleisch? Wenn nicht, essen ihre Hunde Fleisch? Glauben sie daran, dass Corona eine echte Krankheit ist? Daran, dass die Ukraine von Russland angegriffen wurde und nicht andersherum? Haben sie am 6. Januar 2021 gejubelt oder wütend getwittert? Werden sie versuchen, uns zu überreden, eine verdammte Disney-Kreuzfahrt zu machen? Sammeln sie Waffen? Waren sie je in einer Sekte und wenn ja, sind sie ausgetreten?

Talke talks

News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

Neue Familien in Texas kennenzulernen, ist für uns eine Art Speeddating. Ich mag die Mutter, mein Mann den Vater, unsere Tochter aber nicht die Tochter? Next! Mann mag Mann, Frau mag Frau, aber Frau hasst unseren Hund? Next! Tochter mag Hunde, aber die Kinder mögen mich nicht? Sowas von next! Da es selten als Gruppe klappt, haben wir alle glücklicherweise noch individuelle Freunde. Man soll sich ja nicht über seine Familie definieren! Aber die archaische Sehsucht nach der »Festung Familie« scheint mir manchmal doch berechtigt: Man kann sich bei familiären Dinnerpartys stundenlang mit Plattitüden über Stundenpläne, Rasenmäher oder Hundekrankheiten aufhalten und sich so vor Konflikten schützen. Fallen jene Themen mit intimeren Freunden unter vier Augen weg, so wird es sehr schnell politisch. Und was tut man, wenn plötzlich alle um einen herum die Dummheit statt den Swag aufdrehen? Eine gebildete russische Freundin behauptet, russische Soldaten würden keine Kriegsverbrechen begehen, das machten nur die Tschetschenen. Klar doch: Russische Soldaten genossen schon immer einen vorzüglichen Ruf! Eine amerikanische Republikanerin und Entrepreneurin meint, eine weibliche Präsidentin dürfe es in Amerika nicht geben, denn niemand würde die USA ernst nehmen! Klar doch: Nur 59 andere Länder haben oder hatten bereits eine weibliche Regierungsführung, warum sollten die USA so etwas wagen? Politikexperten sagen, es sei unheimlich wichtig, sich mit Menschen auszutauschen, die eine andere Meinung haben als man selbst. Mein Blutdruckmessgerät sagt etwas anderes.

Hinzu kommen dann noch all diejenigen Bekanntschaften, aus denen etwas hätte werden können – wäre da nicht die Terrororganisation Hamas gewesen, die Babys enthauptete, Frauen vergewaltigte und unschuldige Geiseln nahm und die nun von meinen oberflächlichen, aber doch so netten Bekannten auf ihren sozialen Netzwerken hofiert wird, angefacht vom widerlichen Antisemitismus vieler Celebrities. Zuerst schickte ich noch den Artikel aus der »Encyclopedia Britannica« zur Gründung und Geschichte Israels herum, gab dann aber auf. Ain’t nobody got time for that!

Ich liebe Stars und Sternchen zwar auch, aber ich kann mir von Ex-Pornostar Mia Khalifa doch nicht die politische Einstellung diktieren lassen. Im Gegensatz zu ihr habe ich in einem Museum für Menschenrechte gearbeitet und kenne die Definitionen von »Apartheid«, »Genozid« und »Kolonialisierung« genau. Sie und ich, liebe Leser*innen, wir können den Nahost-Konflikt nicht lösen, aber wir können es lassen, Rassismus zu verbreiten und Geschichte umzuschreiben. Historische und politische Fakten sind so breit zugänglich für die Massen wie noch nie, daher haben wir keine Entschuldigung mehr. Und wer zu dumm dafür ist, sollte wieder mehr über Sport oder Titten sprechen. Apropos, wussten Sie, dass Mia Khalifas Brustimplantat mal beim Eishockeyspielen geplatzt ist?

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -