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Gaza: Einigung trotz Uneinigkeit
Der Europäische Rat fordert nach langem Ringen »humanitäre Pausen« im Nahost-Krieg
Die Sympathien der Demonstranten vor dem EU-Ratsgebäude am Brüsseler Schuman-Platz waren am Donnerstag auf Seiten der Palästinenser. Lautstark forderten sie ein Ende der israelischen Bombardierungen und »Freiheit für Palästina«. Im Ratsgebäude hingegen rang man lange um eine gemeinsame Position im von der Hamas neu entfachten Nahost-Konflikt. Erst am Donnerstagabend kam ein Kommuniqué zustande. Die Verhandlungen gestalteten sich zäh, zu unterschiedlich waren und sind die Positionen innerhalb der Union. Insofern grenzt es an ein kleines Wunder, dass man sich auf eine gemeinsame Erklärung verständigen konnte.
Im Entwurf zum Gipfel-Kommuniqué von EU-Ratspräsident Charles Michel hieß es noch: »Der Europäische Rat unterstützt die Forderung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, nach einer humanitären Pause, um einen sicheren Zugang für humanitäre Hilfe zu ermöglichen.« Doch diese Formulierung wollten nicht alle EU-Staaten mittragen. Insbesondere Deutschland und Österreich hatten sich vorab gegen jede Festlegung auf eine Feuerpause ausgesprochen. Dabei war Michel den Deutschen entgegengekommen und hatte die Forderung des UN-Generalsekretärs nach einer Waffenruhe abgeschwächt und durch das Wort Pause ersetzt. Doch der Bundesregierung reichte das nicht. Sie befürchtete, eine solche Erklärung könne das israelische Recht auf Selbstverteidigung infrage stellen. »Jetzt geht es darum zu zeigen, dass wir Israel unterstützen«, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz vor Beginn des Gipfels klargestellt. Auch Tschechien, Lettland und Ungarn teilten die deutsche Sicht. Auf der anderen Seite Spanien, Belgien und Irland, die immer wieder auf das Leid palästinensischer Zivilisten verwiesen und für eine Waffenruhe warben.
Zwischen den humanitären Pausen wird bombardiert
Im zähen Ringen um eine gemeinsame Erklärung wurde um jede sprachliche Nuance gestritten. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez, der gegenwärtig auch die EU-Ratspräsidentschaft innehat, bestand darauf, dass die EU eine »humanitäre Pause« fordern sollte. Deutschland ging das zu weit. Letztendlich einigte man sich auf den Plural und plädiert nun für »humanitäre Pausen«. Damit setzte sich Berlin durch. Denn die »humanitären Pausen« erinnern stark an die Formulierung »humanitäre Fenster«, die Außenministerin Annalena Baerbock vor einer Sitzung des Weltsicherheitsrats am Dienstag bemühte.
Im vollständigen Wortlaut heißt es im Kommuniqué des Europäisches Rats, dass »der humanitäre Zugang und die Hilfe für die Bedürftigen durch alle notwendigen Maßnahmen, einschließlich humanitärer Korridore und Pausen für humanitäre Bedürfnisse, fortgesetzt, schnell, sicher und ungehindert gewährleistet werden«. Der Gedanke dahinter: Zwischen den Pausen darf Israel den Gazastreifen weiter bombardieren.
Der Streit um die Interpretation der blutigen Ereignisse im Nahen Osten spaltet nicht nur die EU-Staaten. Auch in Brüssel gibt es keine gemeinsame Position. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, als sie Israel die »bedingungslose Unterstützung« der EU zusagte. Viele EU-Staaten hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon deutlich differenzierter positioniert. Empörte EU-Bedienstete verfassten sogar einen offenen Brief, in dem sie sich von der eigenen Chefin distanzierten, die die Position »einer der beiden Parteien« vertrete.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell war und ist um eine ausgewogenere Position bemüht. So verurteilte er die terroristischen Attacken der Hamas und bezeichnete sie als »dschihadistisches Pogrom«. Jedoch fügte er mit Blick auf das israelische Vorgehen hinzu: »Die Unterbrechung der Wasser- und Stromversorgung und der Druck auf die Zivilbevölkerung, ihre Häuser zu verlassen, verstoßen gegen das Völkerrecht.« Doch dieser offenen Kritik wollte sich der EU-Rat mehrheitlich nicht anschließen. Im Kommuniqué heißt es stattdessen verklausuliert: Die EU unterstreiche »nachdrücklich das Recht Israels, sich im Einklang mit dem Völkerrecht und dem humanitären Völkerrecht zu verteidigen«.
Selensky wirbt um Aufmerksamkeit
Während alle Augen auf den Nahen Osten gerichtet sind, fürchtet der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, die Welt könne den in seinem Land tobenden Krieg vergessen. Er appellierte am Donnerstag per Videoschalte an die Gipfelteilnehmer, sich nicht ablenken zu lassen, und sprach gar von einer »zweiten Front«, die die Feinde der Freiheit eröffnet hätten. Doch die Heimatfront bröckelt. Der frisch gewählte slowakische Ministerpräsident Robert Fico hatte vor dem Gipfel verkündet, dass sein Land keine Waffen mehr an die Ukraine liefern werde. Zudem macht sich Kriegsmüdigkeit breit. Die Nato-Mitglieder unter den EU-Staaten haben ihre Waffenlager für die Ukraine geleert und große Probleme, die durch den Export gerissenen Lücken wieder zu füllen.
Die Lage an der Front ist unklar. Der Krieg ist unglaublich blutig, und Kiew hat alle Reserven an die Front geworfen. Selbst wenn die ukrainischen Truppen die russischen Verteidigungslinien durchbrechen sollten, fehlen größere Truppenverbände, die dann nachrücken könnten. Die Rat- und Strategielosigkeit der EU war an diesem Donnerstag wieder deutlich zu spüren. Man hat kein Szenario für den Worst Case. Was, wenn Russland gewinnt? Stattdessen forderte Selenskij grünes Licht für Beitrittsverhandlungen. Man antwortete dem müde wirkenden Präsidenten mit rituellen Beschwichtigungsformeln. Dass die vom Krieg zerstörte Ukraine in absehbarer Zeit EU-Mitglied werden könnte, glaubt wohl nicht einmal Selenskij selbst.
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