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Netanjahu zeigt auf andere
Israels Premier macht Sicherheitsdiensten Vorwürfe
Zitierfähig ist es nicht, was Mitarbeiter von Israels Oppositionsführer Benny Gantz am Sonntagmorgen ihren Medienkontakten zu sagen hatten. Kurz darauf formulierte es der Politiker, der dem dreiköpfigen Kriegskabinett angehört, diplomatischer: »Im Krieg muss die Führung Verantwortung zeigen und die Truppen unterstützen. Alles andere schadet der Widerstandskraft des Volkes.« Regierungschef Benjamin Netanjahu müsse seine Äußerungen sofort widerrufen, forderte Gantz.
In der Nacht zuvor hatte Netanjahu auf X (Twitter) gepostet, dass ihm weder der Inlandsgeheimdienst Schin Beth noch der Militärgeheimdienst vor Kriegsbeginn Hinweise auf die Absichten der Hamas geliefert habe. Ein Ministerpräsident, der mitten im Krieg die eigenen Sicherheitsdienste angreift – das hat es in der Geschichte Israels so auch noch nicht gegeben. Bei Fehlentscheidungen und Versagen war es bisher stets Konsens, dass man die Konsequenzen nach dem Krieg erörtert.
Und während die Menschen im Raketenhagel ausharren, die Opfer des Massakers am 7. Oktober betrauern und sich um die mindestens 229 Geiseln sorgen, die von Hamas und Islamischem Dschihad im Gazastreifen festgehalten werden, versuchen viele, die Frage zu verdrängen, wie das passieren konnte. Wie niemand mitbekommen konnte, dass die Hamas Motorräder und Material für den Waffenbau in großer Zahl in den eigentlich streng kontrollierten Gazastreifen schmuggelte.
Im Gazastreifen hat derweil die Zahl der israelischen Bodeneinsätze stark zugenommen. Ausgeweitet wurden auch die Luftangriffe. Der Krieg sei damit in eine neue Phase eingetreten, erklären Israels Regierung und Militär. Der offizielle Beginn der Bodenoffensive stehe kurz bevor, kündigte Verteidigungsminister Joaw Gallant an.
Doch trotz des immensen Militäreinsatzes werden weiterhin sehr viele Raketen auf den Süden und das Zentrum Israels abgeschossen. Grund dafür ist: Hamas und Islamischer Dschihad haben ihre Infrastruktur überwiegend in ein Tunnelnetz unter dem nördlichen Gazastreifen verlagert. Da dieses Gebiet normalerweise dicht bevölkert ist, ist die Zerstörung der Anlagen besonders schwer. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bis zu 800 000 Menschen aus diesem Landstrich in den Süden geflohen.
Am Freitag teilte das israelische Militär unter Berufung auf einen Telefonmitschnitt mit, die Kommandozentrale der Hamas liege direkt unter dem Schifa-Krankenhaus, der größten Gesundheitseinrichtung. Tatsächlich wurde schon seit einigen Jahren im Gazastreifen erzählt, dass sich das Hauptquartier in dieser Gegend befindet; ein Beleg ist das aber nicht. Die Vereinten Nationen und der Rote Halbmond befürchten nun, dass dies als Rechtfertigung für einen Angriff auf das Krankenhaus genutzt werden könnte.
Die Hamas habe auch, so das israelische Militär, über eine Million Liter Benzin und andere Güter – genug für vier Monate – gehortet, zum Nachteil der eigenen Bevölkerung. Hier gibt es eine Vielzahl von Hinweisen, dass tatsächlich über einen längeren Zeitraum bestimmte Güter abgezweigt wurden. In den vergangenen Jahren berichteten Mitarbeiter der Vereinten Nationen mehrfach, dass sich Angehörige der Kassam-Brigaden recht frei an eingeführten Hilfsgütern bedienten. Viel dagegen tun konnten die unbewaffneten Uno-Mitarbeiter nicht. Bislang ging man aber davon aus, dass diese Güter auf dem Schwarzmarkt landeten.
Laut Welternährungsprogramm werden derzeit täglich 40 Lastwagenladungen mit Hilfsgütern nach Gaza eingeführt; für zwei Millionen Menschen wären einhundert nötig.
Nun scheint auch die Führung der Hamas unter Druck zu geraten. Mehrere tausend Menschen stürmten am Wochenende Lager der Uno, um an lebenswichtige Güter wie Nahrungsmittel zu kommen. Die Polizei der Hamas, irgendwer, der für Ordnung sorgen könnte, sei nirgendwo mehr in Sicht, berichtet eine Uno-Mitarbeiterin. Ihre Vermutung: Hamas und Islamischer Dschihad hätten die Männer in den Norden beordert, um dort gegen die israelischen Bodentruppen zu kämpfen.
Im Hintergrund versucht die Regierung Katars, zwischen Israel und der Hamas zu vermitteln. Aber die Diplomaten gestehen auch ein: So schwierig war es noch nie. Katar steht selbst in der Kritik, weil sich die Führung in Doha öffentlich in die Nähe der Hamas gerückt und jahrelang Geld an deren Führung in Gaza gezahlt hat – mit Zustimmung Netanjahus. Offiziell sollte das Geld in den Aufbau der zivilen Infrastruktur fließen.
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