Linke: Keine Spur von Zerfall in der »Bastion der Vernunft«

Die Linkspartei in Sachsen gibt sich nach dem Austritt des Wagenknecht-Lagers kämpferisch und bereitet das Wahljahr 2024 vor

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Wäre die sächsische Linke ein börsennotiertes Unternehmen, würden Analysten derzeit sagen: Ihr Kurs tendiert seitwärts. 6108 Mitglieder hatte der bundesweit drittstärkste Landesverband der Partei zuletzt. Seit dem 23. Oktober gab es 20 Austritte. An dem Tag stellte die langjährige Linke-Ikone Sarah Wagenknecht einen nach ihr benannten Verein vor, aus dem eine neue Partei hervorgehen soll. Ihrer bisherigen politischen Heimat kehrt sie den Rücken. Auch in Sachsen wechseln Genossen zu dem Konkurrenzprojekt. Namentlich bekannt sind bisher drei: Sabine Zimmermann, Ex-Bundestagsabgeordnete aus Westsachsen, der 2021 ein sicherer Listenplatz verwehrt blieb, sowie zwei Kommunalpolitiker aus der gleichen Region.

Dennoch kann Sachsens Linke einen positiven Saldo verbuchen: Den 20 Austritten stehen 30 Eintritte gegenüber. Die Befürchtung, dass ganze Kreisverbände von der Fahne gehen könnten, habe sich nicht bestätigt, sagt Ko-Landeschef Stefan Hartmann: »Die strukturelle Integrität ist bis in die Ortsgruppen hinein intakt.« Bei ihm und seinen Genossen sorgt das für Erleichterung. Schließlich hat die Landespartei ein schweres Wahljahr vor der Brust. Am 9. Juni 2024 werden zeitgleich zur Europawahl die Kreistage, Stadt- und Gemeinderäte gewählt, am 1. September ein neuer Landtag. Hartmann und Susanne Schaper, mit der gemeinsam er seit der Landtagswahl 2019 und dem Absturz auf 10,4 Prozent die Landespartei führt, sollen auf einem Parteitag an diesem Wochenende in Chemnitz als Spitzenkandidaten nominiert werden. Es wäre ein denkbar schlechter Start in den Wahlkampf gewesen, wäre dessen Auftakt mit einem personellen Aderlass einher gegangen. Auszuschließen war das nicht: Zimmermann wurde bereits im Juni zum Austritt aufgefordert, nachdem durchgesickert war, dass sie und ihre Mitstreiter Orts- und Kreisverbände abzuwerben versucht hatten. Daraus wurde nichts. Man könne, sagt Hartmann, »stabil und flächendeckend mit den jetzigen Strukturen in den Wahlkampf gehen«.

Nicht zuletzt diese Tatsache sorgt dafür, dass in der Partei nicht Katerstimmung herrscht, sondern verhaltene Zuversicht. Sie sei froh, dass »das Tohuwabohu zu Ende ist«, sagt Schaper unter Verweis auf die monatelange Hängepartie und die Hinhaltetaktik von Wagenknecht. Diese habe es immerhin ermöglicht, sich auf den finalen Bruch vorzubereiten, ergänzt Hartmann. Die Landesspitze in Sachsen habe dazu einen 9-Punkte-Plan beschlossen: »Wir haben uns gewappnet.«

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Nun, da der Bruch vollzogen ist, sieht Schaper die Chance für einen »Neustart« der Partei. Dieser könne, betont sie, in Sachsen mit allen Rathauschefs und Beigeordneten der Linken sowie allen ihren 19 Abgeordneten in Landtag, Bundestag und Europaparlament erfolgen. Letztere hatten bereits im Juni erklärt, im Fall einer Abspaltung in der Partei und deren Fraktionen bleiben zu wollen – ein bemerkenswertes Bekenntnis, wie es danach nur noch Mandatsträger in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt abgaben.

Die personelle Stabilität hat mehrere Gründe. Einer ist moralischer Natur. Vielen Genossen, sagt Schaper, sei »die historische Bedeutung bewusst, was es heißt, die Linke zu spalten«. Ausdruck dessen ist ein Brief, der nach dem endgültigen Abschied von Wagenknecht & Co. an alle sächsischen Mitglieder verschickt wurde und den neben Schaper und Hartmann auch deren Amtsvorgänger Klaus Bartl und Peter Porsch unterzeichneten. Darin heißt es, man wolle »unsere Partei auch jetzt nicht in Zeiten größter Not im Stich lassen«.

Für Zusammenhalt in der aktuellen Krise sorgt nach Überzeugung der beiden Parteichefs aber auch der »sächsische Weg«. So bezeichnen sie die Einbindung aller Strömungen innerhalb der Partei, die der Reformer Hartmann und die Parteilinke Schaper in der 2019 installierten Doppelspitze personifizieren. Damit, sagt Hartmann, sei es gelungen, den Landesverband zu einen: »Bei uns kämpft jeder auf der gleichen Seite der Barrikade.« Das ist umso bemerkenswerter, als PDS und Linke in Sachsen über lange Zeit berüchtigt waren für Zerstrittenheit und Grabenkämpfe. Führende Genossen hatten einst sarkastisch vom »Dreißigjährigen Krieg« in der Landespartei gesprochen. Heute sagt Hartmann im Brustton der Überzeugung: »Dass Verbände wie in Sachsen die ›Bastion der Vernunft‹ in der Partei sind, ist nicht neu.«

Sie sind es auch, die nach dem Bruch und dem bevorstehenden Ende der Bundestagsfraktion den Laden am Laufen und durch Wahlerfolge im kommenden Jahr die Partei am Leben halten müssen. Das Jahr 2024, in dem auch Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen anstehen, wird nach Überzeugung Schapers »ausschlaggebend für den Fortbestand der Partei«. Dass dieser trotz der tiefen aktuellen Krise gesichert werden kann, scheint man in Sachsen aber nicht für ausgeschlossen zu halten.

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