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Bidens Strategie für Nahost: Irgendwann Frieden
Das Weiße Haus betont, man arbeite an einer langfristigen Lösung für den Nahost-Konflikt. Doch in Washington wachsen die Zweifel
Joe Biden wird nicht müde zu betonen, dass er für den Nahen Osten eine langfristige Strategie verfolgt. Doch an der Frage, ob die Taten des US-Präsidenten seinen Worten entsprechen, scheiden sich auch in Washington die Geister. Offiziell bekräftigt Biden die Notwendigkeit einer humanitären Feuerpause und ruft die israelische Armee zur Zurückhaltung auf. Die Angriffe auf palästinensische Zivilisten im Westjordanland verurteilte er in der vergangenen Woche ungewöhnlich scharf. Das Weiße Haus unterstreicht, man wirke hinter den Kulissen auf Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seine Regierung ein. Doch nach mehr als drei Wochen Krieg im Gazastreifen wachsen die Zweifel an dieser Herangehensweise – auch im US-Staatsapparat.
Vor allem im Außenministerium rumort es. Wie die »Huffington Post« berichtet, fühlen sich viele Mitglieder des diplomatischen Korps in der Nahostpolitik übergangen. Auf einer Mitarbeiterversammlung am 26. Oktober sollen Beschäftigte der Menschenrechtsabteilung die Sorge geäußert haben, ihre Bedenken spielten für die Nahostpolitik der Regierung keine Rolle mehr. Eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Verhinderung von Kriegsverbrechen beschäftigt, soll erst zwei Wochen nach dem Angriff auf Israel zusammengetroffen sein. Das Weiße Haus, und insbesondere der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan, hätten andere Prioritäten, so anonyme Quellen im Außenministerium. »Es fühlt sich so an, als seien wir externe Anwälte oder die Zivilgesellschaft, die gegen die Türen der Regierung hämmert. Das ist nicht unsere Rolle«, macht ein Beamter seinem Ärger Luft. Außenminister Antony Blinken, der am Freitag erneut nach Israel reiste, ignoriere seinen eigenen Mitarbeiterstab, so der Vorwurf.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Aus den offiziellen Verlautbarungen von Biden und Sullivan geht hervor, dass sie an einer langfristigen Lösung interessiert sind. »Wenn diese Krise vorbei ist, muss es eine Vision geben, was als Nächstes kommt, und unserer Meinung nach muss es eine Zweistaatenlösung sein«, sagte Biden vor kurzem in einer Ansprache. Doch im Moment geht Israel wohl von einem monatelangen Krieg aus, bevor sich der Raum für eine politische Lösung eröffnen würde. Ob Israel tatsächlich die militärischen Mittel hat, alle Strukturen der Hamas im Gazastreifen zu zerstören, ist umstritten. Abgehen von verbalen Appellen unternimmt die US-Regierung jedenfalls wenig, um den Konflikt zu deeskalieren. Manche unterstellen dem Weißen Haus gar, inoffiziell eine andere Agenda zu verfolgen.
In dem Hilfspaket für Israel, das Biden beim Kongress beantragt hat, sind auch Mittel für die Versorgung von Geflüchteten aus Gaza in Drittländern vorgesehen. Verschiedene Beobachter äußerten die Sorge, dies komme einer impliziten Zustimmung zu einem Bevölkerungstransfer gleich. »Es fällt schwer, darin etwas anderes zu sehen als ein grünes Licht der Biden-Regierung (für die israelische Regierung) ein Resultat anzustreben, dass direkten ethnischen Säuberungen gleichkommt«, so die Vorsitzende der propalästinensischen Friedensorganisation Foundation for Middle East Peace, Lara Friedman. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, betonte hingegen, eine Umsiedlung der Bevölkerung aus Gaza lehne man ab.
Auch im Kongress mehren sich die kritischen Stimmen. Neben einer Reihe von Abgeordneten im Repräsentantenhaus sprach sich am Donnerstag Dick Durbin aus Illinois als erster Senator für einen Waffenstillstand aus, unter der Bedingung der Freilassung aller Geiseln durch die Hamas. Andere, wie Bernie Sanders aus Vermont, bekräftigen Bidens Ruf nach einem temporären Stopp der Kampfhandlungen: »Eine sofortige humanitäre Feuerpause ist von zentraler Wichtigkeit. Ebenso wichtig ist aber, dass Israel eine politische Strategie entwickelt. Israel kann sich den Weg zu einer langfristigen Lösung nicht freibomben«, so Sanders in einem Beitrag für den britischen »Guardian«. Die Vereinigten Staaten, die Israel jährlich 3,8 Milliarden Dollar an Militärhilfe zur Verfügung stellten, sollten deutlich machen, dass dies die Bedingungen für ihre Solidarität sei. »Wir wollen auch Gerechtigkeit und Würde für das palästinensische Volk«, schrieb der Senator. »Das wird nicht geschehen, wenn die Hamas den Gazastreifen regiert. Es wird auch nicht geschehen, wenn Israel weiterhin das Leben der Palästinenser beherrscht.«
Insbesondere innerhalb der Demokratischen Partei und auf der US-amerikanischen Linken wird der Ton rauer – der Nahost-Konflikt sorgt dafür, dass sich Liberale und Linke, die während Bidens Präsidentschaft bisher in den meisten Fragen recht geräuschlos zusammenarbeiteten, sich öffentlich anfeinden wie seit Jahren nicht mehr. Die Rufe nach einem Waffenstillstand aus seiner Partei seien »wahrhaftig verstörend«, so John Fetterman, demokratischer Senator aus Pennsylvania. »Warum würden wir dem Wort einer Gruppe, die gerade unschuldige israelische Zivilisten massakriert hat, mehr Glauben schenken als unserem wichtigsten Verbündeten?«, kritisiert der Senator. »Ich werde immer an der Seite Israels stehen.« Bei den Republikanern ist die Unterstützung Israels hingegen wenig umstritten – das Repräsentantenhaus verabschiedete am Donnerstag ein Hilfspaket um Umfang von 14,3 Milliarden Dollar. Doch der neugewählte republikanische Parlamentssprecher Mike Johnson will die Gelder im Gegenzug bei der Finanzbehörde IRS einsparen – ein rotes Tuch für die Demokraten. Weitere Verhandlungen mit dem Senat werden wohl folgen.
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