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Hörspiel »DESIRE«: »Schreiben, was fehlt«
Tia Morgen über ihr Hörspiel zu queeren Sexarbeiter*innen und darüber, was sie in dem Prozess gelernt hat
Sie haben ein Hörspiel über queere Sexarbeiter*innen geschrieben und produziert. Was war Ihre Motivation?
Ich war wütend, weil sich der öffentliche Diskurs und die medialen Darstellungen immer noch fast nur in zwei Extremen bewegen: entweder die selbstbestimmte Sexarbeiterin, die unfassbar reich wird; auf der anderen Seite steht die arme, hilflose, ausgebeutete Prostituierte, die gerettet werden muss. Ich wollte die Nuancen dazwischen aufzeigen. Und queere Sexarbeiter*innen, die einen so großen Anteil unter Sexarbeiter*innen ausmachen, sind meistens gänzlich unsichtbar. Oder sie werden besonders klischeehaft dargestellt. Deshalb war für mich von Anfang an klar, dass ich mich auf die Perspektiven von LGBTQIA+- Sexarbeiter*innen konzentriere. Auch weil sich aus diesem Doppelt-am-Rande-Stehen ein sehr spezifischer Blick auf unsere Gesellschaft, auf Gender, Begehren, zwischenmenschliche Beziehungen, Macht und Ungleichheit ergibt.
Warum haben Sie sich für ein Hörspiel als Darstellungsform entschieden?
Einmal aus praktischen Gründen: Es ist weniger Budget notwendig und der Zugang ist niedrigschwelliger im Vergleich zum Film. Es war eine spannende Herausforderung, nur durch Audio eigene Bilder in den Köpfen entstehen zu lassen. Ich wollte, dass es sich für die Hörer*innen wirklich so anfühlt, als wären sie dabei, in den Gedanken von den drei Protagonist*innen Sam, Lilli und Robin. Die mediale Darstellung von Sexarbeit hört häufig auf, bevor es tatsächlich zum Sex kommt, zur Dienstleistung, um die es hier geht. Ich wollte das Geschehen entmystifizieren, ohne einfach nur einen voyeuristischen Blick zu befriedigen.
Sie haben mit 31 Sexarbeiter*innen aus 14 Ländern geredet und dann ihre Geschichten fiktionalisiert. Wieso?
Wir hören und sehen immer wieder die gleichen Gesichter, wenn es um Sexarbeit geht. Und tendenziell sind das natürlich eher Menschen mit mehr Privilegien, kinderlose, weiße, cis Sexarbeiterinnen mit deutschem Pass und Uni-Abschluss, deren Familien ihren Beruf akzeptieren und die öffentlich über ihre Erfahrungen sprechen können. Doch die allermeisten Sexarbeiter*innen sind immer noch auf Anonymität angewiesen, um sich und ihre Familien, Kinder und Partner*innen zu schützen. Die Fiktionalisierung hat es mir ermöglicht, mit vielen zu sprechen, deren Stimmen sonst häufig nicht gehört werden. Ein weiterer Punkt ist, dass die Fiktionalisierung eine emotionale Nähe zwischen den Hörer*innen und den Figuren schafft – eine Verbindung, die mit verpixelten Bildern und verzerrten Stimmen nicht möglich ist.
Welchen Gesprächsthemen wird in dem Hörspiel noch Raum gegeben?
Gerade für mehrfach marginalisierte und stigmatisierte Gruppen kann es besonders schwer sein, auch über Zweifel, Ängste und innere Widersprüche zu sprechen. Wenn du die ganze Zeit deine Entscheidung, Sexarbeit zu machen, rechtfertigen musst, kann es schwer sein, am Abend deiner Freundin zu erzählen, dass du einen miesen Tag auf der Arbeit hattest; dass du dich vor einem Kunden geekelt hast oder dass du ohne Geld von einer Schicht nach Hause gehst. Und gerade was queere Sexarbeiter*innen angeht, gibt es so viele Fehlannahmen: Während Sex zwischen zwei Frauen fetischisiert wird, ist es für viele unvorstellbar, wie eine lesbische Frau in einem Bordell mit männlichen Kunden arbeiten kann, obwohl sie Männer nicht begehrt. Und genauso gibt es viele nicht-binäre und transmaskuline Sexarbeiter*innen, die sich entscheiden, als cis Frau zu arbeiten, wenn das Passing (Anm. d. Red.: die Situation, in der eine trans Person von ihrer Umwelt als das Geschlecht wahrgenommen wird, mit dem sie sich selbst identifiziert) es zulässt. Die Erfahrungen sind einfach sehr unterschiedlich und manchmal eben auch widersprüchlich und schambesetzt.
Wie sind die Interviews zustande gekommen?
Ich habe mich bei Hydra gemeldet – das ist ein Verein, der sich für die Belange von Sexarbeiter*innen einsetzt – und von meiner Idee erzählt. Hydra und viele andere Gruppen wie Trans Sexworks oder das Black Sex Worker Collective haben mir geholfen, Interviewpartner*innen zu finden und haben das Projekt von Beginn an unterstützt. Mit den Sexarbeiter*innen habe ich mich dann entweder in einem Café, bei mir oder ihnen zu Hause getroffen oder sie am Arbeitsplatz besucht. Wir haben dann ein bis drei Stunden gesprochen und auch Polaroidfotos gemacht. Daraus ist eine Fotostrecke und eine Soundinstallation entstanden, die in mehreren Galerien in Berlin Anfang des Jahres ausgestellt wurde.
Welche Geschichte wollten Sie erzählen?
Sexarbeiter*innen haben durch ihre Arbeit extrem viel Wissen, weil sie sehr viel Kontakt zu Menschen unterschiedlichster gesellschaftlicher Schichten haben. Aber das Stigma verhindert meist, dass Menschen außerhalb der Sexarbeit davon erfahren.
Für wen ist das Hörspiel?
Mir ist es wichtig, Menschen einen Zugang zu dem Thema zu schaffen, die nicht in der Sexarbeit tätig oder queer sind. Gleichzeitig war mein Grundgedanke: Ich schreibe für Sexarbeiter*innen und queere Menschen. Ich schreibe etwas, das mir selbst fehlt. Damit geht einher, dass ich nicht immer alles erklären will. Als queere Person ist es unendlich langweilig, ständig das Gefühl zu haben, dein Leben sei erklärungsbedürftig. Doch sobald wir Geschichten außerhalb der dominanten Perspektive erzählen, heißt es schnell: »Das ist zu kompliziert.« Aber für wen ist es zu kompliziert? Es ist doch eher anders herum: Die meisten Geschichten, die erzählt werden, bilden nur die Realität von sehr wenigen Menschen in Deutschland ab.
Das heißt aber auch, dass Sie ein bestimmtes Wissen bei den Hörer*innen voraussetzen.
Ja. Das war auch ein schmaler Grat, weil ich wollte, dass die Serie niedrigschwellig bleibt. Aber als Künstlerin setze ich die Norm. Ich wünsche mir in deutschen Medien, Filmen und Literatur viel mehr Mut, mit der dominanten Perspektive zu brechen.
Was haben Sie aus dem Arbeitsprozess für sich gelernt?
Ich hatte Selbstzweifel: Kann ich das überhaupt? Ist das, was ich mache, gut genug? »DESIRE« war das erste Hörspiel, das ich geschrieben und dann auch produziert habe. Ich habe in diesem Projekt also sehr viele Dinge zum ersten Mal gemacht. Das war sehr stressig. Aber von Anfang bis Ende waren viele wahnsinnig tolle Menschen an meiner Seite und Teil des Teams. So ein Projekt ist immer ein Werk von vielen. Die große Mehrheit der Beteiligten an »DESIRE« waren queer und einige selbst Sexarbeiter*innen. Das hat gerade auch bei den Aufnahmen im Studio für eine sehr besondere Stimmung gesorgt. Ich hatte das Gefühl, dass alle sehr viel von sich in dieses Projekt gesteckt haben.
Jetzt, wo die Serie draußen in der Welt ist, bin ich froh, dass ich es gemacht und durchgehalten habe. Also das Wichtigste, das ich gelernt habe, ist, dass es sich lohnt, eigene Ängste und Scham zu überwinden.
Wie war das Feedback zum Hörspiel bisher?
Als das Stück veröffentlicht wurde, habe ich so gutes Feedback bekommen, sowohl was die mediale Rezension anging, als auch aus der Community. Mir haben auch viele Menschen auf Instagram geschrieben, dass sie die Geschichten bewegt hätten und sie gerne wissen wollten, wie es mit den Figuren weitergehe. Außerdem wurde »DESIRE« von der Akademie der darstellenden Künste als Hörspiel des Monats ausgezeichnet. Dieser Preis hat mich sehr motiviert, auch weil ich mich in der Jury-Begründung total gesehen gefühlt habe, mit dem, was ich vorhatte.
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