Am Grab des ersten Rabbiners der Stadt

Stargeiger Daniel Hope besucht als Nachfahre den jüdischen Friedhof von Potsdam

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Acht Jahre ist es her, da gab der Starviolinist Daniel Hope im Potsdamer Nikolaisaal ein Konzert. Vor den Zugaben verriet er in einer Ansage, dass zu seinen Vorfahren Michel Hirsch gehöre – der erste Rabbiner der Stadt, von dem er aber sonst nicht viel wisse. Vier Wochen später erhielt er eine E-Mail von einem Mann, der im Publikum gesessen hatte. Hirsch sei auf dem 1743 noch zu seinen Lebzeiten eröffneten jüdischen Friedhof von Potsdam beigesetzt. Wenig später besichtigte Hope den Grabstein von Hirsch, der über die Jahrhunderte erhalten blieb. »Ich war sehr bewegt«, erinnert sich der Musiker. Bis dahin hatte er kaum mehr als den Namen des Verwandten gewusst.

»Ich wohne nicht einmal 35 Minuten von hier«, erklärt Hope am Donnerstag in der Trauerhalle des Friedhofs an der Puschkinallee. »Ich sehe, wie schön sie ist und wie schön sie sein könnte.« Seine Mutter habe bereits Geld für die Restaurierung der Halle gespendet und er werde das heute auch noch tun.

Daniel Hope hat den Friedhof auch seinem Vater, dem Schriftsteller Christopher Hope, gezeigt, einem katholischen Südafrikaner irischer Abstammung. Der Großvater sei als Pilot im Zweiten Weltkrieg gefallen und im heutigen Israel bestattet worden, erzählt Daniel Hope. Deswegen sei auch Christopher Hope sehr bewegt gewesen, als er das Grab des Rabbiners Hirsch aufsuchte, der ein Vorfahre seiner Frau ist, berichtet der Sohn Daniel Hope. Seine Großeltern mütterlicherseits hatten in Berlin gelebt und flohen vor den Faschisten nach Südafrika.

»Ich bin heute hier, um meine Solidarität mit der jüdischen Bevölkerung in Deutschland zu zeigen«, erklärt Daniel Hope am Donnerstag. Anlass der Friedhofsbegehung ist der 85. Jahrestag der Pogromnacht von 1938, als SA-Horden jüdische Geschäfte demolierten, die Inhaber verprügelten oder sogar ermordeten und Synagogen in Brand setzten. Die alte Potsdamer Synagoge wurde damals nicht abgefackelt, aber geschändet. Es gibt sie heute nicht mehr. Aber im kommenden Jahr soll eine neue Synagoge fertig werden. Die vor allem durch Zuwanderung aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion angewachsene jüdische Gemeinde der Stadt wartet schon lange darauf.

Neben Deutsch wird vor allem Russisch gesprochen bei der Friedhofsbegehung am Donnerstag und dann noch Hebräisch, als Rabbiner Ariel Kirzon am Gedenkstein für die in der Nazizeit verfolgten und ermordeten Juden aus Potsdam und Umgebung betet. Auf dem sanft ansteigenden Gelände befindet sich der Gedenkstein knapp unterhalb des kleineren Friedhofsteils mit den 532 historischen Grabsteinen, die zum Weltkulturerbe gehören. Unten sind die modernen Grabsteine zu finden, die ab den 1990er Jahren aufgestellt worden sind.

Der jüdische Friedhof an der Puschkinallee sei der größte seiner Art in Brandenburg und der am besten erhaltene, erläutert Susanne Krause-Hinrichs vom unlängst gegründeten Förderverein. Er stehe unter Denkmalschutz, aber es finden nach wie vor Bestattungen nach dem kompletten jüdischen Ritus statt, was es anderswo im Bundesland so nicht gebe. Langsam stoße der Friedhof an seine Kapazitätsgrenze. Die Begehung zum Jahrestag des Pogroms von 1938 sei im September geplant worden, doch inzwischen werde der historische Anlass überschattet vom Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Die Welt sei dadurch eine andere geworden, sagt Krause-Hinrichs.

Auch für Evgeni Kutikow, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Potsdam, hat sich das Leben fundamental verändert. Er sei vor 13 Jahren mit seiner Familie in die Bundesrepublik gekommen und froh gewesen, in einem Staat aufgenommen zu werden, »in dem Juden wirklich sehr sicher sind«, berichtet er. »Das ist leider vorbei.« Kutikow hätte vor 13 Jahren nicht gedacht, »dass wir unsere Gemeinde hinter Stacheldraht und Betonklötzen verbergen müssen«. Das Gemeindezentrum sehe aus wie eine Strafvollzugsanstalt, und Eltern haben Kutikow zufolge inzwischen Furcht, dass sich ihre Kinder in der Schule als Juden zu erkennen geben. »Wo sind wir hingekommen?« Auch wenn vordergründig Israel kritisiert werde: »Wir wissen, dass alle Jüdinnen und Juden gemeint sind.« Cousinen von Kutikow leben in Israel. Er macht sich Sorgen um sie. Auch andere Juden in Deutschland haben dort Verwandte.

»Ich bin dankbar, dass Jüdinnen und Juden in das wiedervereinigte Deutschland, in das Land der Täter, zurückgekehrt sind«, bekennt Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) mit Blick auf den 9. November 1938. Dann leitet er über zum 7. Oktober 2023. An diesem Tag habe die palästinensische Hamas »in barbarischer Weise« Israel überfallen. »Die Landeshauptstadt Potsdam erklärt ihre uneingeschränkte Solidarität mit dem Staat Israel«, versichert der Oberbürgermeister.

Kulturministerin Manja Schüle (SPD) hat nichts dagegen, die Lage 1938 und heute miteinander zu vergleichen – zu vergleichen allerdings und dabei auch die Unterschiede zu erkennen. Damals seien die von der SA verübten Verbrechen staatlich angeordnet und organisiert gewesen, selbst wenn die Nazis den Gewaltausbruch als spontanen Volkszorn ausgaben. Nachbarn und Kollegen der Juden hätten dann mitgemacht. Und heute? »Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölkerung aus der Geschichte gelernt hat«, meint die Ministerin. Aber es gebe eine laute Minderheit.

Bei trübem Himmel liegt Laub auf dem Boden. Die von den Bäumen gefallenen Blätter sind nicht mehr herbstlich bunt, sondern schon überwiegend braun.

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