Aus der Not heraus für den Gazastreifen

In Paris treffen sich Geberstaaten mit Vertretern der Uno und von Hilfsorganisationen, um die Hilfe für Gaza zu koordinieren

  • Mirco Keilberth, Paris
  • Lesedauer: 5 Min.

Auf Einladung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron haben sich am Donnerstag Diplomaten aus 80 Ländern und Vertreter mehrerer Hilfsorganisationen getroffen, um die katastrophale Situation der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu erörtern. Die EU wurde von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratsvorsitzendem Charles Michel prominent vertreten. Der 27-Nationen-Block leistet mit 78 Millionen Euro bisher die weltweit größte finanzielle Hilfe an die Palästinenser in Gaza und im Westjordanland. Neben Palästinenserpräsident Mahmud Abbas waren auch die Regierungschefs von Griechenland, Irland, Luxemburg und Zypern angereist.

Nach Angaben der Gesundheitsministeriums in Gaza sind durch die israelischen Bombardierungen bisher über 10 000 Menschen ums Leben gekommen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen spricht von über 1,2 Millionen Palästinensern, die sich im südlichen Teil des Gazastreifens vor den israelischen Luftangriffen in Sicherheit gebracht haben. »Ein Ziel der Konferenz besteht darin, sich über eine möglichst objektive Einschätzung der Lage vor Ort auszutauschen«, erklärte der Élysée-Palast vor Beginn der Gespräche.

Die zentrale Rolle zur Verbesserung der humanitären Lage kommt dem Leiter der UN-Mission für Gaza (UNWRA), Philipp Lazzarini, dem stellvertretenden Generalsekretär der Vereinten Nationen, Martin Griffiths und der Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Mirjana Spoljaric Egger, zu. Da Israel den Gazastreifen offenbar auch nach Ende seiner Offensive militärisch kontrollieren will, sollen die drei Organisationen die Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung sichern. 95 Mitarbeiter der Mitarbeiter der Vereinten Nationen seien bereits in den letzten vier Wochen ums Leben gekommen, so UNWRA-Leiter Lazzarini. Der Einsatz von UN-Truppen zur Absicherung der derzeitig über den ägyptischen Grenzübergang Rafah gelieferten Hilfsgüter wird unter Diplomaten schon wegen der unberechenbaren Gefahrenlage ausgeschlossen.

Israels Premier machte am Mittwoch klar, dass er die nötige Ausweitung der bisher spärlich fließenden humanitären Hilfe an Bedingungen knüpft. Der dringend benötigte Treibstoff werde nicht ohne vorherige Freilassung der israelischen Geiseln nach Gaza geliefert, drohte Benjamin Netanjahu, der mit Emmanuel Macron telefoniert hatte. Israel wurde nicht nach Paris geladen, um die anwesenden arabischen Staaten nicht in Verlegenheit zu bringen. Während die Regierenden in der Region offenbar eine Ausweitung des Konfliktes verhindern wollen, steigt der Druck auf der Straße weiter. Für Freitagmittag sind in vielen Hauptstädten arabischer Länder Demonstrationen gegen die israelischen Angriffe auf Gaza geplant.

Wie gedämpft die Erwartungen an konkrete Ergebnisse an die Konferenz sind, zeigt schon die Dauer von nur drei Stunden. Das Gaza-Treffen sei nur angesetzt worden, um den am Freitag beginnenden jährlichen »Paris Peace Summit« nicht bloßzustellen, kommentiert der Vertreter einer UN-Hilfsorganisation am Rande der Veranstaltung. Nur wenige humanitäre Helfer wollen in Paris ihre Frustration über die katastrophale Lage der Zivilbevölkerung in Gaza öffentlich aussprechen. Einig sind sich die Konferenzteilnehmer darüber, dass die Zahl der Lastwagen mit Hilfsgütern für Gaza wieder auf 100 am Tag steigen muss. Insgesamt seien seit Wiederöffnung des Grenzübergangs Rafah nach Ägypten am 21. Oktober 756 Lastwagen in dem Küstengebiet eingetroffen.

Israel will alle eintreffenden Hilfskonvois aus Furcht vor möglicherweise eingeschmuggelten Waffenlieferungen an die Hamas selber kontrollieren. Die bisher von der ägyptischen Armee durchgeführten Untersuchungen am Grenzübergang Rafah waren nach Angaben israelischer Medien oft nur sporadisch. Eine Lösung könnte ein von dem zypriotischen Präsidenten Nikos Christodoulides vorgeschlagener Seekorridor zwischen Gaza und Limassol sein. Die Hilfsgüter könnten von israelischen Offiziellen vor der Abfahrt auf Zypern in das 410 Kilometer entfernte Gaza überprüft und von Marineschiffen der Nato begleitet werden. Präsident Christodoulides erklärte, die Initiative ziele darauf ab, einen »anhaltenden, sicheren und umfangreichen Strom humanitärer Hilfe für den Gazastreifen auf kurze, mittlere und lange Sicht« zu gewährleisten.

Christodoulides sagte, die Regierung arbeite mit den Nachbarländern Israel, Ägypten, Jordanien und der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie mit den USA, Frankreich, der EU und den Vereinten Nationen zusammen, um die Initiative auf den Weg zu bringen. Christodoulides hatte am Sonntag auf dem Flughafen von Larnaka US-Außenminister Antony Blinken getroffen, der die Initiative guthieß.

Frankreich hat den Hubschrauberträger Tonnerre in die Region entsandt, der die Überwachung der Schiffe übernehmen könnte. Das französische Militär rüstet einen zweiten Hubschrauberträger mit modernen medizinischen Einrichtungen aus, der in den nächsten zehn Tagen vor der Küste von Gaza eintreffen soll. Konferenzteilnehmern zufolge sollen die Details der neuen Lebensader nach Gaza am Wochenende weiter ausgearbeitet werden. Deutschland stockt die für die UNRWA-Mission vorgesehenen 71 Millionen Euro um weitere 20 Millionen Euro auf.

Die palästinensischen Behörden warnen derweil vor einem akuten Zusammenbruch der medizinischen Versorgung und einem akuten Mangel an Lebensmitteln in Gaza. Der Journalist Mohammad Mhawisch aus Gaza-Stadt berichtet am Telefon, dass viele der aus dem Norden der Enklave geflohenen Familien seit Tagen nur Zugang zu kontaminiertem Wasser und Brot hätten. Nur noch eine von drei Wasserleitungen aus Israel nach Gaza ist derzeit noch in Betrieb.

Am Rande der Konferenz war trotz der unverändert desaströsen humanitären Lage ein kleines Zeichen der Hoffnung zu hören. Benjamin Netanjahu lehnte bisher auch einen zeitlich begrenzten Waffenstillstand ohne die vorherige Freilassung aller von der Hamas entführten Geiseln ab. Vermittler aus Katar sollen nun erreicht haben, dass im Austausch für die Freilassung von bis zu 15 israelische Geiseln die Waffen für eine mehrtägige »humanitären Pause« schweigen könnten.

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