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  • Fußball: Israel in der EM-Qualifikation

Israels Fußballer vor Rückkehr in eine Scheinrealität

Die nach den Massakern der Hamas verlegten EM-Qualifikationsspiele Israels sollen nun im Schnelldurchlauf nachgeholt werden

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 6 Min.
Israels arabisch-stämmiger Nationalspieler Mohammed Abu Fani (l.) verurteilt die Hamas. Manchen rechten Nationalisten reicht das nicht.
Israels arabisch-stämmiger Nationalspieler Mohammed Abu Fani (l.) verurteilt die Hamas. Manchen rechten Nationalisten reicht das nicht.

Zwei Mannschaften stehen im Spielertunnel des Bloomfield-Stadions von Tel Aviv. Aus der Ferne ist das Publikum zu hören, Blitzlichter flackern, dazu dramatisch anmutende Musik. Die Spieler in den roten Trikots greifen nach den Händen der Kinder, die sie auf den Rasen begleiten sollen. Die andere Mannschaft, gekleidet im israelischen Blau, steht allein da, ihre Spieler wirken verzweifelt. Diese Szenen gehören zu einem Video, das der israelische Fußballverband nach dem 7. Oktober veröffentlicht hat. Am Ende hört man das Ticken einer Uhr. Und eine Mitteilung: »Unsere Kinder werden vermisst. Die Hamas hat sie entführt – aus ihren Betten und ihren Häusern.«

Welche Rolle kann die beliebteste Sportart für eine Gesellschaft einnehmen, die sich im Krieg befindet und rund 240 Geiseln vermisst? Kann der Fußball einen Funken Trost spenden? Ab Sonntag bestreitet die israelische Nationalmannschaft innerhalb von zehn Tagen ihre vier verbleibenden Qualifikationsspiele für die EM 2024: gegen Kosovo, die Schweiz, Rumänien und Andorra. Die eigentlichen Heimspiele gegen die Schweiz und Rumänien finden nicht in Israel statt, sondern in der ungarischen Kleinstadt Felcsút. Dort hoffen Europas Fußballunion Uefa und der israelische Verband auf ein geeignetes Umfeld für die hohen Sicherheitsvorkehrungen gegen potenzielle Anschläge und eskalierende Demonstrationen.

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Den Auftakt macht jedoch das Auswärtsspiel im muslimisch geprägten Kosovo. Auch in dessen Hauptstadt Pristina hatte es propälastinensische Demonstrationen gegeben, bei denen Israel nicht nur Kriegsverbrechen, sondern auch ethnische Säuberungen und Völkermord an den Palästinensern vorgeworfen wurde. Die kosovarische Polizei bekräftigte nun gegenüber lokalen Medien, dass sie Maßnahmen ergreifen werden, »um die generelle Sicherheit vor, während und nach der Partie« im Fadil-Vokrri-Stadion von Pristina zu gewährleisten. Der offizielle Fanklub von Kosovos Nationalteam rief zudem offenbar aus Angst vor Sanktionen nach möglichen Ausschreitungen die Anhänger dazu auf, »keine Fehler zu begehen«.

In Israel selbst ist seit dem Terrorangriff der Hamas die EM-Qualifikation weit in den Hintergrund gerückt. Die nationalen Wettbewerbe, darunter die Fußballligen, pausieren auf unbestimmte Zeit. Stattdessen beteiligen sich prominente Sportler an Initiativen des Staates und von Nichtregierungsorganisationen, sagt der israelische Journalist Yossi Medina von der Fußball-Internetplattform »Babagol«: »Bekannte Spieler unterstützen Spendenkampagnen und besuchen Verletzte in Krankenhäusern. Sie muntern Kinder auf und treffen sich mit Soldaten.«

Dem Nationalen Olympischen Komitee Israels zufolge sind beim Angriff der Hamas 17 israelische Sportler getötet worden. Der ehemalige Profifußballer Lior Asulin etwa wurde auf dem Musikfestival an der Grenze zum Gazastreifen ermordet, er feierte dort seinen 43. Geburtstag. Asulin hatte 2004 mit dem FC Bnei Sachnin den israelischen Pokal gewonnen. Der Klub aus der muslimisch geprägten Stadt Sachnin, im Norden Israels, galt lange als Symbol für die friedliche Koexistenz von Arabern und Juden im Fußball.

Rund 20 Prozent der israelischen Bevölkerung sind arabischer Herkunft. Nach dem Angriff der Hamas verlangten konservative Medien in Israel insbesondere von den arabischen Nationalspielern Israels ein Bekenntnis zum jüdischen Staat. Einer von ihnen, Mohammed Abu Fani, der für Ferencváros Budapest spielt, verurteilte die Hamas mit deutlichen Worten. Für manch rechtsgerichtete Minderheit war das immer noch nicht ausreichend. Ein anderer, Dia Saba, Stürmer bei Maccabi Haifa, wurde von Fans kritisiert, weil seine Frau mehr Mitleid für Kinder in Gaza einforderte. Er entschuldigte sich, fehlte dann aber beim Spiel seines Klubs in der Europa League gegen Villareal, das am Donnerstag in Zypern ausgetragen wurde. »Alles in allem aber stellt sich die arabische Gemeinschaft im israelischen Fußball gegen die Hamas«, sagt Journalist Medina. »Jeder kennt hier jemanden, der ermordet oder verschleppt wurde.«

Der israelische Fußballverband verbreitete Namen und Fotos von verschleppten Menschen, dazu die Botschaft: »Geiseln können nicht sprechen.« Daneben wurden Porträts von Fußballern platziert: »Der Sport meldet sich zu Wort.« Die bekannteren Nationalspieler Israels, die im Ausland spielen, verbreiten diese Botschaften in sozialen Medien: Manor Solomon von Tottenham Hotspur, Daniel Peretz vom FC Bayern oder Oscar Gloukh von RB Salzburg. Auch der erfolgreichste israelische Trainer, Barak Bakhar, zurzeit bei Roter Stern Belgrad, spricht öffentlich über den Krieg. Zum Beispiel über die 22 Jahre alte Enkelin des ehemaligen Nationaltrainers Shlomo Scharf, die von der Hamas getötet wurde.

In Israel hält die Fußballgemeinde zusammen, doch in Europa stößt sie auf Widerstände. Bei Celtic Glasgow schwenken Ultras seit Jahren palästinensische Fahnen, weil sie angeblich auf der Seite der »Unterdrückten« stehen wollen. Bei einem Spiel am 7. Oktober, als die Lage im Süden Israels noch nicht absehbar war, forderten Celtic-Fans einen »Sieg des Widerstandes«. Darüber zeigte sich der israelische Spieler Liel Abada, der seit 2021 für Celtic spielt, sehr enttäuscht. Nach den israelischen Bombardierungen auf Gaza forderten einige Celtic-Anhänger wiederum die Entlassung Abadas.

Auch in Spanien kochen die Emotionen hoch. Der israelische Stürmer Shon Weissman, der für Granada spielt, soll wegen feindseliger Posts gegen Palästinenser angezeigt worden sein. Weissman erhielt Drohungen. Auf Empfehlung der Sicherheitsbehörden nahm er daraufhin nicht am Spiel in Pamplona gegen Osasuna teil, wo Fans wiederholt palästinensische Flaggen geschwenkt hatten.

Anders ist es in der Türkei, wo sich Präsident Erdoğan scharf von Israel abgrenzt. Auch die Süper Lig bekundete mit Aktionen ihre Solidarität mit den Palästinensern, unter anderem mit Schweigeminuten und Bannern. Weil der Terror der Hamas dabei nicht erwähnt wurde, boykottierten die israelischen Spieler Ramzi Safuri und Sagiv Jehezkel ein Spiel mit ihrem Klub Antalyaspor. »Trotzdem sind sie bei den Fans weiter beliebt«, sagt Reporter Yossi Medina. Was dafür spricht, dass die staatliche Israelkritik in der türkischen Gesellschaft nicht überall Anklang findet.

In Israel werde genau wahrgenommen, wo Solidarität geäußert wird, sagt Historiker Moshe Zimmermann, der sich seit Jahren auch mit Fußball befasst: In England zögerte die Premier League, bis sie mit deutlichen Statements an die Öffentlichkeit ging. Fans des FC Liverpool wurden offenbar daran gehindert, eine Trauerbotschaft für ermordete Israelis im Stadion aufzuhängen. In Deutschland hingegen lud Borussia Dortmund Verwandte israelischer Opfer ins Stadion ein.

Die Nationalspieler, die bei israelischen Klubs unter Vertrag stehen, haben in den vergangenen Wochen keine Pflichtspiele bestritten. Dutzende ihrer Fans wurden beim Angriff der Hamas getötet, daran erinnern die Vereine mit regelmäßigen Videobotschaften. Trotz allem kann sich das israelische Nationalteam nun zum ersten Mal für eine Europameisterschaft qualifizieren. »Seit Beginn des Krieges gibt es keine Normalität mehr«, sagt Moshe Zimmermann. Aber der Fußball kann zumindest eine Illusion von Normalität schaffen.

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