Anzeige gegen Polizistin wegen Falschaussage vor der Justiz

In Göttingen lügt die Polizei in einem Gerichtsverfahren, das könnte nun Konsequenzen haben

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch die Polizei in Hannover kommuniziert nicht immer die Wahrheit (Symbolbild).
Auch die Polizei in Hannover kommuniziert nicht immer die Wahrheit (Symbolbild).

Am 6. Oktober 2022 blockieren Mannschaftswagen der Polizei mehrere Straßen in der Göttinger Innenstadt. Ziel des Einsatzes ist die ehemalige Justizvollzugsanstalt. Aktivisten haben das seit Jahren leer stehende Gebäude besetzt. Die Stadt will es an einen Investor verkaufen, eine Bürgerinitiative möchte darin aber ein Soziales Zentrum einrichten.

Zahlreiche Unterstützer halten sich auf dem an dem früheren Knast vorbeiführenden Gehweg auf. Die Demonstranten sollen auf die andere Straßenseite, weil die Polizei in die Ex-JVA hinein will, folgen der Aufforderung aber nicht. Beamte räumen daraufhin den Eingangsbereich, wenden dabei teilweise Schmerzgriffe an, nehmen Personalien auf.

Gegen mindestens sieben der überwiegend jungen Demonstranten werden später Verfahren eingeleitet. Ihnen wird vorgeworfen, einer Beschränkung nach dem niedersächsischen Versammlungsgesetz nicht nachgekommen zu sein und damit eine Ordnungswidrigkeit begangen zu haben. Zunächst erhalten die Betroffenen Bußgeldbescheide von der Stadt Göttingen. Zur Begründung heißt es darin, ihnen gegenüber sei durch eine vor der JVA eingesetzte Hannoveraner Polizeieinheit mehrfach eine sogenannte räumliche Beschränkung ausgesprochen worden, der sie nicht nachgekommen seien. Weil die sieben Beschuldigten Widerspruch gegen die Bescheide einlegen, wird der Vorgang später vor dem örtlichen Amtsgericht verhandelt.

Der Göttiner Anwalt Sven Adam, der mehrere Beschuldigte vertritt, berichtet, die Hannoveraner Polizeieinheit habe in den Verfahren ein Wortprotokoll ihrer Lautsprecherdurchsagen vorgelegt. Der Datenträger, auf dem die Durchsagen im Original gespeichert worden seien, sei angeblich nicht mehr vorhanden.

Adam zufolge enthält das ersatzweise von der Polizei vorgelegte Wortprotokoll an mehreren Stellen die vermeintliche Durchsage einer beschränkenden Verfügung. In einer mündlichen Hauptverhandlung über einen der Widersprüche habe eine Polizeibeamtin aus Hannover, die die Durchsagen selbst gemacht haben will, diese Aussage in einer Befragung nochmals bestätigt.

Doch das ist ganz offensichtlich die Unwahrheit. Rechtsanwalt Adam bringt Videomaterial der Göttinger Bürgerrechtsinitiative »BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz« in eines der Verfahren ein, das sämtliche Durchsagen der Polizei während des in Rede stehenden Einsatzes in Bild und Ton dokumentiert. Die besagten »beschränkenden Verfügungen« sind in den Durchsagen allerdings nicht enthalten. »Die vermeintliche Mitschrift der Originalaufnahme ist damit falsch«, konstatiert Adam. Das bedeute, dass ein Strafvorwurf gegenüber seinen Mandanten nicht mehr zu halten sei.

Das sieht das Amtsgericht genauso. Es spricht den Beschuldigten frei. »Ein Tatnachweis konnte nicht geführt werden«, heißt es in dem »nd« vorliegenden Urteil. »Der Verteidiger des Betroffenen hat ein Video vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass eine Beschränkung der Versammlung nicht ausgesprochen wurde.« Auch die Verfahren gegen die anderen Beschuldigten werden eingestellt.

Für Anwalt Adam ist die Sache allerdings noch nicht beendet. »Die Verfälschung eines Wortprotokolls und die Wiederholung unwahrer Behauptungen in einer mündlichen Verhandlung sollte straf- und dienstrechtliche Konsequenzen für die Polizeibeamtin haben, die in der Verhandlung am 19. Juni 2023 die vermeintliche Echtheit der Lautsprecherdurchsagen bestätigt hat«, sagt er.

Deshalb stellt Adam eine Strafanzeige gegen die Beamtin wegen des Verdachts der Falschaussage vor Gericht: »Ohne das Video der Göttinger Gruppe ›BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz‹ wären sieben Personen wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt worden, die sie nicht begangen haben.«

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