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US-Sport und Olympia: Katar hat längst nicht genug
Ein Jahr nach der WM richtet Katar seine Sportstrategie neu aus – das Emirat ist auf der politischen Bühne so präsent wie kein anderer Kleinstaat
In Lusail gehen die Arbeiten voran. Baukräne ragen in den Himmel, Bürotürme wachsen, Bahngleise werden verlegt. In der Vorstadt im Norden von Doha entstehen neue Geschäftsviertel. Katar, der schwerreiche Kleinstaat am Persischen Golf, erweitert seine Infrastruktur und treibt seine wirtschaftliche Transformation voran. Man könnte den Eindruck gewinnen, die Fußball-Weltmeisterschaft stehe erst noch bevor.
Doch die WM ist Vergangenheit – gerade jährte sich ihr Beginn zum ersten Mal. Ein Spektakel, auf das Katar seit der Vergabe 2010 zwölf Jahre hingearbeitet hatte. Ein Fußballfest, das den Bau von acht Stadien verlangte, aber auch die Errichtung von Straßen, Hotels, Metrolinien. Mehr als 200 Milliarden Dollar sollen diese Maßnahmen gekostet haben. Nie zuvor prägte die Sportindustrie die Entwicklung eines Landes so sehr wie in Katar. Die politischen Konsequenzen werden noch lange nachwirken.
Instrument für den Machterhalt
Das WM-Finale fand 2022 in Lusail statt, jener Vorstadt, die auch ein Jahr später noch nicht fertiggestellt ist. So wird klar, dass die WM ein Höhepunkt dieser Entwicklung war, aber nicht ihr Ende. 2024 finden in Katar die Fußball-Asienmeisterschaft und die Schwimm-WM statt, 2027 folgen die Basketball-WM und 2030 die Asienspiele. Doha gilt als Anwärter für die Olympia 2036, auch die Formel 1 ist regelmäßig zu Gast. Katar hat mehr als 500 große Wettbewerbe ausgetragen, doch was dabei untergeht: Sportereignisse sind nicht das vordergründige Ziel, sondern nur ein Instrument für den Machterhalt der Monarchie.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts prägt die Dynastie Al Thani die katarische Gesellschaft. In den vergangenen Jahrzehnten geriet sie mit anderen Herrscherhäusern der Region immer wieder in Konflikt. Weil Katar Ländern wie Iran, Saudi-Arabien und Irak militärisch unterlegen ist, setzte das Regime auf Soft Power, auf internationale Partnerschaften in Kultur, Wissenschaft, Sport. Mit Bekanntheit und Vernetzung, so die Hoffnung in Doha, wachse die Souveränität gegenüber den mitunter feindseligen Nachbarn. Seit den 2000er Jahren, seit der Bewerbungsphase für die WM 2022, bildete der Fußball einen Rahmen für diese Agenda.
Die katarische Monarchie duldet weder Pressefreiheit noch eine kritische Zivilgesellschaft, sie stellt Homosexualität unter Strafe und blockiert die rechtliche Gleichstellung von Frauen. Vor allem in Westeuropa und Nordamerika kritisierten Medien und NGOs diese autoritäre Politik. Katar reagierte zögerlich auf den Druck, ließ schließlich Reformen zu und führte als erstes Land der Region einen Mindestlohn ein, der heute bei rund 270 Dollar liegt. Die mehr als zwei Millionen Arbeitsmigranten sollen nun schneller ihren Job wechseln und ausbleibende Löhne leichter einklagen können. In der Theorie.
Recherchen von NGOs wie Amnesty International legen nahe, dass die neuen Gesetze nicht angemessen umgesetzt werden. Bereits in den Wochen vor der WM wurden Hunderte Arbeiter kurzfristig ausgewiesen. Von denjenigen, die im Land sind, warten Tausende auf die Zahlung von Gehältern. Die fünf Beschwerdestellen verfügen nicht über genug Personal. Viele Arbeiter aus einkommensschwachen Ländern Südasiens sind mit ihren Familien auf Jobs in Katar angewiesen. Aus Angst vor der Ausweisung trauen sie sich oft nicht, gegen ihre Vorgesetzten vorzugehen.
Die Missstände sind noch immer gravierend, wie Amnesty International in einem aktuellen Report darlegt. Zwar hat Katar in etlichen Herkunftsländern der Arbeitsmigranten Visa-Stellen eingerichtet, doch noch immer begeben sich Tausende von ihnen in die Abhängigkeit von Anwerbeagenturen. Sie zahlen bis zu 4000 Dollar für die Vermittlung eines Jobs in Katar. Viele der Arbeiter bleiben auf Jahre hinaus verschuldet.
Keine Gewerkschaften, aber die ILO
Gewerkschaften existieren am Golf nicht. Aber immerhin darf die International Labour Organization (ILO), die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen, weiterhin mit einem Büro in Katar präsent sein. Sie ist von Förderungen des Emirats abhängig, aber kein anderer Golfstaat lässt in diesem Maß internationale Organisationen im Land arbeiten. Diese Entscheidung ist in der konservativen Stammesgesellschaft Katars umstritten, aber Gegenwehr hat der Emir nicht zu fürchten.
Nun, zum ersten Jahrestag der WM, werden wieder Forderungen an die Fifa laut, einen Entschädigungsfonds für Angehörige gestorbener Gastarbeiter einzurichten. Der Weltverband schweigt allerdings zu kontrovers diskutierten Themen wie diesen. Das gilt auch für die Erzählung von der angeblich »nachhaltigsten WM aller Zeiten«. Etliche Stadien sollten zurückgebaut oder sogar ganz abgetragen werden, um Bauelemente in anderen Ländern erneut nutzen zu können. Genaue Pläne dafür sind bis heute nicht öffentlich. Sieben der acht WM-Arenen sind nun auch Schauplätze der Fußball-Asienmeisterschaft. Danach wird die Aufmerksamkeit weiter schwinden.
In den Jahren seit der WM-Vergabe hat die katarische Monarchie die Kritik aus Westeuropa mal mehr und mal weniger gelassen hingenommen. Hinter den Kulissen hat der Staatsfond Qatar Investment Authority in Dutzenden Ländern mehr als 350 Milliarden Dollar investiert, in Konzerne, Banken und Bauprojekte, gut ein Viertel davon in Großbritannien, den USA und Frankreich. Mit der Beteiligung an Sportklubs wollte Katar das Interesse von Touristen, Investoren und Fachkräften wecken. Und in den VIP-Logen des Sports konnte die Herrscherfamilie ungezwungen mit ihren Partnern ins Gespräch kommen.
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Nun, da die WM-Aufmerksamkeit abgeebbt ist, richtet Katar seine Strategie neu aus. Nach Fan-Protesten ließ Doha die Sponsoren-Partnerschaft beim FC Bayern auslaufen. Bei Paris Saint-Germain, seit 2011 im Besitz von Katar, scheint man mit weniger Nachdruck als früher auf den ersten Sieg in der Champions League hinzuarbeiten. Neymar ist in die Liga des Rivalen am Golf weitergezogen, nach Saudi-Arabien. Lionel Messi ging in die USA, Kylian Mbappé wird wohl zu Real Madrid wechseln.
Neuerdings bei Inter und im US-Sport
Katar orientiert sich neu. Die staatliche Fluglinie Qatar Airways beginnt ein Engagement bei Inter Mailand. Ein Mitglied der Herrscherfamilie war an der Übernahme von Manchester United interessiert, stieg aber aus dem Bieterverfahren aus. In Europa schien die Skepsis gegenüber Katar zu wachsen, seit mutmaßliche Zahlungen von Bestechungsgeldern an einzelne EU-Parlamentarier öffentlich wurden. Doch die Aufregung legte sich schnell.
Zudem will das Emirat größer im US-Sport Fuß fassen, mit einer Beteiligung an einer Unternehmensgruppe, zu der unter anderem die Washington Wizards im Basketball und die Washington Capitals im Eishockey gehören. Insbesondere in der US-Hauptstadt, wo Politiker und Denkfabriken um Einfluss im Nahen Osten ringen, kann die Sportindustrie eine Kommunikation anbahnen. Der Verdacht der Korruption wird mitschwingen.
Die aggressive katarische Lobbyarbeit im Sport dürfte dazu beigetragen haben, dass sich westliche Regierungen mit katarischen Interessen vertraut gemacht haben. Beziehungen, die in politischen Krisen helfen können: Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist Katar als Gaslieferant auch in Europa gefragt. Lange wurde die Herrscherfamilie für ihre Beziehungen zu islamistischen Gruppen, die in etlichen Ländern als Terrororganisationen gelistet sind, scharf kritisiert. Doch inzwischen weiß der Westen diese Kontakte zu schätzen: bei Verhandlungen mit den Huthi-Rebellen im Jemen, mit den Taliban in Afghanistan und aktuell mit der Hamas im Gazastreifen.
Die Gunst westlicher Industrienationen ist wichtig für Doha, aber sie ist nicht entscheidend. Die größten Abnehmer für katarisches Flüssiggas liegen in Ostasien. Im Wettbewerb mit anderen Fluglinien am Golf will Katar sein Streckennetz erweitern. Partnerschaften mit internationalen Serien im Rennsport, Rugby und Triathlon, aber auch mit den »Sydney Swans« im Australien Rules Football sollen dabei helfen.
Engagement in Asien und Nordafrika
Das Wirtschaftswachstum Katars dürfte in diesem Jahr bei 2,4 Prozent liegen, 2022 waren es 4,9 Prozent. Auch nach dem WM-Trubel wirbt Katar um Arbeitskräfte für den Niedriglohnsektor, vor allem in Südasien und in der arabischen Welt. Im Umfeld des Sports kann Katar dafür Öffentlichkeit schaffen, etwa mit Sponsoring beim Kricketteam im indischen Bangalore oder beim Fußballverband in Nepal, zudem mit Stadionfinanzierungen in Nordafrika. Auch der Arab Cup 2021, die Generalprobe ein Jahr vor der WM, hat alte Netzwerke zwischen den Rivalen am Golf neu belebt.
Rund um die erste Fußball-WM in einem muslimisch geprägten Land hat Katar ein Netzwerk geknüpft, das Saudi-Arabien nun in größerer Dimension weiterentwickelt. Aber hat sich Katar in diesem Prozess auch geöffnet? In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt das Emirat Platz 105, im Demokratie-Index des Magazins »Economist« Rang 114. Erst vor wenigen Wochen verurteilte ein katarisches Gericht acht ehemalige Angehörige der indischen Marine wegen Spionagevorwürfen zum Tode.
Katar war, ist und bleibt ein autoritärer Staat. An der Spitze steht Tamim bin Hamad Al Thani, der Lionel Messi vor gut einem Jahr bei der Übergabe des WM-Pokals ein traditionelles Gewand überstreifte. Der Emir war in den vergangenen Monaten ein willkommener Gast in den Regierungssitzen von Washington, London oder Berlin. Selten war ein Staat mit weniger als drei Millionen Einwohnern so präsent auf der Weltbühne wie Katar. Das hat mit Politik zu tun, vielleicht auch mit Fußball. Aber im Fall von Katar ist das ohnehin ein und dasselbe.
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