Die EU macht Planspiele für die Zukunft des Gazastreifens

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell hat einen »Rahmenentwurf« ausgearbeitet

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Europäische Union ringt noch immer um eine gemeinsame Position zum Gaza-Krieg und tut sich schwer, die Differenzen aus dem Weg zu räumen. Während die meisten Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, der Solidarität mit Israel oberste Priorität einräumen und auch die massiven Bombardements auf den Gazastreifen verteidigen, äußern andere europäische Staaten auch deutliche Kritik an der israelischen Kriegsführung.

So hatte eine nicht mehr im Amt befindliche spanische Ministerin in einem Interview mit dem TV-Sender Al-Jazeera Anfang November von einem »Genozid« gesprochen und den israelischen Regierungschef als »Kriegsverbrecher« bezeichnet. Sie forderte sogar Sanktionen gegen Israel und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Ähnlich äußerte sich damals die stellvertretende belgische Premierministerin Petra De Sutter: »Es ist an der Zeit, Israel zu boykottieren.«

Dabei haben die EU-Außenminister bei einem Treffen am 13. November einen ersten Anlauf gestartet, Pläne zu skizzieren für die Zukunft des Gazastreifens, berichtete das paneuropäische Mediennetzwerk Euractiv. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach demnach von einer »mittel- und längerfristigen Lösung«, die »eine dauerhafte Stabilität« garantiere, um irgendwann »Frieden zwischen Palästinensern und Israelis und in der gesamten Region zu schaffen«.

Borrells »Rahmenentwurf« ist ein Konzept für die Zeit nach dem Krieg. Die ersten Diskussionen darüber haben innerhalb der EU stattgefunden, Borrell will aber auch die USA und die arabischen Staaten einbeziehen. Die Regierung in Washington hat sich schon vor einiger Zeit dafür ausgesprochen, dass die Palästinenser in Gestalt der Autonomiebehörde die Regierungsgewalt in Gaza übernehmen. Wie das umzusetzen ist, bleibt offen, zumal Israel das nicht will.

Einige Prämissen des Borrell’schen Konzepts liegen bereits fest: Zunächst einmal ist sowohl für die EU als auch für die Vereinigten Staaten klar, dass Israel den Gazastreifen nicht wieder besetzen kann, sobald der Krieg mit der Hamas beendet ist. Dies betonte Borrell kurz vor seiner Reise nach Israel Mitte November. Dazu gehört für ihn auch, die Hamas von jeder Zukunftslösung auszuschließen. Die Palästinenser dürften nicht vertrieben und der Gazastreifen nicht isoliert werden von einer Gesamtlösung der Palästina-Frage. Einig ist man sich in der sogenannten Zweistaatenlösung als Fernziel.

Zur Realisierung eines Zukunftskonzepts sollen Akteure gefunden werden, die beim Aufbau von Institutionen helfen können; Borrell will auch die arabischen Länder einbeziehen, und – man höre – auch die EU solle sich stärker beteiligen: »Wir waren viel zu abwesend, wir haben diese Lösung an die USA delegiert, aber jetzt muss sich die EU stärker engagieren«, sagte Borrell.

Die schwerste Aufgabe wird es sein, jemanden zu finden, der die Verwaltung in einem durch wochenlangen Bombenkrieg verwüsteten Gazastreifen übernehmen kann. »Eine palästinensische Behörde muss nach Gaza zurückkehren«, so Borrell, der explizit betonte, dass er sich auf »eine palästinensische Behörde, nicht auf die Palästinensische Autonomiebehörde« beziehe. Was das genau bedeuten soll, ist nicht klar. Für die EU und die USA bleibt die Autonomiebehörde zwar weiter ein Ansprechpartner, aber sie brauche interne Reformen, größere Kapazitäten und eine breitere internationale Unterstützung. US-Außenminister Antony Blinken hat von einer »effektiven und wiederbelebten palästinensischen Behörde« gesprochen.

Beim Treffen der Union für den Mittelmeerraum am Montag in Barcelona haben sich die 27 EU-Außenminister mit ihren arabischen Kollegen über den Gaza-Krieg beraten. Israel war dem Treffen bewusst ferngeblieben. Der Ruf nach politischen Lösungen stand an erster Stelle. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock wollte die derzeitige Feuerpause als Brücke zu einem politischen Prozess für eine dauerhafte Lösung des Konflikts nutzen. »Israelis können nur in Sicherheit leben, wenn Palästinenser in Sicherheit leben«, sagte sie zu Beginn des Treffens. Gerade weil Deutschland klar an der Seite Israel stehe und Vertrauen bei arabischen Ländern genieße, »können wir und, ich glaube, müssen wir als Brückenbauer fungieren«, sagte sie. Ähnlich äußerte sich auch Josep Borrell: »Es wird keinen Frieden oder Sicherheit für Israel ohne einen Palästinenser-Staat geben.«

Die Äußerungen Baerbocks und Borrells, die auf mutige politische Initiativen hoffen lassen, kontrastieren jedoch mit dem expliziten Vorhaben, die Bekämpfung der Hamas auf EU-Ebene und weltweit zu verschärfen. Ein dem »nd« vorliegendes internes EU-Dokument, offenbar ausgearbeitet von Deutschland, Frankreich und Italien und gerichtet an den EU-Militärstab und den Europäischen Auswärtigen Dienst, spricht davon, die finanziellen Quellen der Hamas zu kappen, Einzelpersonen mit Sanktionen zu belegen und Unterstützergruppen zu verbieten; explizit wird das deutsche Verbot gegen Hamas und Samidoun erwähnt.

Das Dokument räumt auch der politischen Deligitimierung der Hamas-Propaganda einen wichtigen Platz ein, »das politische und öffentliche Ansehen« solle ihr entzogen werden, vor allem in der Region. Dabei ist gerade in diesen Tagen die Sympathie für die Hamas im Westjordanland gestiegen, abzulesen am Dank der Familien dafür, dass sie ihre Kinder wiederhaben, die in israelischen Gefängnissen einsaßen. Der SPD-Politiker Michael Roth warnte, es gebe Anzeichen dafür, dass die Macht der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland kippe. Da erscheint das EU-Dokument zur Bekämpfung der Hamas wie ein hilfloser Versuch, mangels neuer Ideen bereits bestehende Sanktionsmaßnahmen auszuweiten. Mutige politische Initiativen, die zum Beispiel die Stärkung der Autonomiebehörde in den Blick nehmen könnten – zum Nachteil der Hamas –, sehen anders aus.

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