»Der Markt richtet keine Demografie«

Sachsen braucht jährlich 20 000 Fachkräfte. Linke drängt Regierung zum Handeln

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Sachsen ist leerer geworden. Seit 1990 hat der Freistaat ein knappes Fünftel seiner Einwohner verloren, zum nicht unerheblichen Teil durch Abwanderung. Gegangen sind oft jüngere Menschen, die jetzt »am Anfang oder mitten in ihrem Erwerbsleben stehen würden«, sagt Nico Brünler, wirtschaftspolitischer Sprecher der Linken im Landtag. Diese Menschen fehlen in Sachsens Betrieben, aber auch im öffentlichen Dienst. Der Arbeits- und Fachkräftemangel sei überall in Deutschland ein Problem, sagt Brünler, »aber in Sachsen ist er wegen der demografischen Verwerfungen besonders stark ausgeprägt«. Die Linksfraktion hat der Regierung einen umfangreichen Fragenkatalog zum Thema vorgelegt und jetzt Erkenntnisse aus den 2500 Seiten umfassenden Antworten präsentiert.

Weil zu wenige junge Menschen in die Belegschaften nachrücken, ist deren Durchschnittsalter demnach zuletzt auf 43,8 Jahre gestiegen. Älter als 50 Jahre seien 36,8 Prozent der Beschäftigten, was bundesweit einen Spitzenwert darstelle, betont Brünler. Zwar steigt auch das Renteneintrittsalter leicht an. Dennoch bräuchte es bis zum Jahr 2035 jährlich 20 000 zusätzliche Arbeitskräfte, um die Lücken durch Altersabgänge zu schließen.

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Diese treffen längst nicht nur die kleinen und größeren Unternehmen im Freistaat. Auch im öffentlichen Dienst des Landes können viele Stellen nicht besetzt werden. Zwar trotzten die Koalitionspartner SPD und Grüne der seit 1990 regierenden CDU einen Kurswechsel in der Personalpolitik ab. Nicht zuletzt an Schulen und bei der Polizei wurden zahlreiche neue Stellen geschaffen. Doch von den Polizeistellen sind zurzeit 465 unbesetzt, an Gymnasien sind es 510, an Oberschulen 227. Auch auf die Gesundheitsvesorgung hat der wachsende Fachkräftemangel schon erhebliche Auswirkungen. So sind knapp 800 der etwas über 2500 Hausärzte in Sachsen älter als 60 Jahre und dürften innerhalb der nächsten fünf Jahre in den Ruhestand gehen. Ähnlich hoch ist der Anteil bei Fachärzten. Bisher helfen vielerorts Mediziner aus dem Ausland, nicht zuletzt aus Tschechien, die Lücken zu schließen. Doch vor allem im ländlichen Raum finden Praxisinhaber zunehmend auch gar keine Nachfolger mehr.

Im Kern ist das Problem seit langem bekannt. Bereits vor 15 Jahren hatte der sächsische Landtag eine Enquetekommission zum demografischen Wandel eingesetzt, die Empfehlungen für verschiedene politische Handlungsfelder abgab. Viele davon wurden aber nicht umgesetzt. »Man hat die Dinge ihrem Lauf überlassen und gehofft, es werde schon nicht so schlimm kommen«, sagt Brünler. Vor allem die CDU setze bis heute darauf, dass »der Markt es richten wird«, kritisiert der Linksabgeordnete. Aber, fügt er hinzu, »der Markt richtet keine Demografie«.

Die Linke sieht die Lösung nicht darin, Menschen länger arbeiten zu lassen oder sie, wie das Land es im Fall der Lehrer erwägt, von Teilzeit- in Vollzeitjobs zu drängen. Vielmehr sollten andere Potenziale besser genutzt werden. So müsste die Zahl der Ausbildungsabbrüche gesenkt werden, die zuletzt auf über 6000 pro Jahr gestiegen war. Brünler rät zu fundierterer Berufsberatung und besseren Ausbildungsvergütungen. Auffällig sei, dass diese besonders in Mangelberufen besonders niedrig seien. Aber auch für etwaige Rückkehrer, um die in der Vergangenheit teils mit landesfinanzierten Programmen geworben wurde, ist Sachsen jenseits weniger industrieller Leuchttürme wenig attraktiv. Die Zahl der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen liege mindestens zehn Prozent unter dem Bundesdurchschnitt, sagt Brünler. Selbst für landeseigene Betriebe gebe es teils keinen Tarifvertrag. Dabei solle der Freistaat eigentlich Vorbild sein und etwa mit einem Vergabegesetz dafür sorgen, dass öffentliche Aufträge nach Tarif entlohnt werden.

Die Linke plädiert auch dafür, Potenziale von Zuwanderern besser zu nutzen. Das Bundesrecht solle so geändert werden, dass Flüchtlinge schneller arbeiten dürfen. Das, sagt Brünler, wäre eine »Win-win-Situation« für diese selbst, die Betriebe und die Steuerzahler. Er nannte es zudem einen absurden Zustand, dass Sachsen einerseits Talente-Scouts ins Ausland schicke und Fachkräfte etwa in Vietnam anwerbe, andererseits aber Menschen abschiebe, die in Sachsen einer Arbeit nachgingen.

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