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Sipri-Bericht: Kurze Pause im Rüstungswettlauf
Die größten Waffenhersteller der Welt machten 2022 weniger Umsatz. Doch die Auftragsbücher sind voll
Das Internationale Friedensforschungsinstitut Sipri in Stockholm hat am Montag seinen jährlichen Bericht zur Entwicklung der Rüstungsbranche veröffentlicht. Dieser umfasst die 100 größten Rüstungskonzerne weltweit und die Entwicklung ihrer Geschäftszahlen. Das Institut erhebt die Daten seit 1989. Laut den Stockholmer Forschern gab es 2022 einen leichten Rückgang, inflationsbereinigt sank der Umsatz der großen Rüstungsunternehmen um 3,5 Prozent auf 597 Milliarden US-Dollar.
Allerdings lag dies nicht an einer nachlassenden Nachfrage für Waffensysteme, im Gegenteil: Laut Sipri ist diese ungebrochen. Der Umsatzrückgang lasse sich primär auf die Bilanzen der US-Rüstungsbranche zurückführen, die 2022 weniger Waffen ausgeliefert habe. Nicht aufgrund rückgängiger Bestellungen, sondern, weil gestörte Lieferketten die Produktion behindert hätten. Doch diese Entwicklung dürfte nur von kurzer Dauer sein: Sipri geht davon aus, dass die »Flut« an neuen Bestellungen die weltweite Rüstungsbranche 2023 Rekordumsätze erzielen lassen wird. 2022 habe die Produktion in Ostasien und im Nahen Osten bereits deutlich zugenommen.
Als Hauttreiber der gestiegenen Nachfrage sieht Sipri den russischen Angriff auf die Ukraine vom Februar 2022. Dieser habe bei US-amerikanischen und europäischen Waffenherstellern für volle Auftragsbücher gesorgt, die allerdings wegen Personalmangel, Kostensteigerungen und Teilemangels nicht zeitnah erfüllt werden konnten. Auch seien zahlreiche neue Aufträge erst gegen Jahresende eingegangen. In den USA gingen die Umsätze der Branche um 7,9 Prozent zurück – US-Firmen dominieren mit 51 Prozent Marktanteil die Liste der 100 größten Rüstungsproduzenten aber weiterhin. Die größten fünf Rüstungskonzerne der Welt sitzen laut Sipri in den USA. An ihrer Vormachtstellung hat sich durch den Umsatzrückgang wenig verändert.
Rüstungsfirmen in anderen Ländern wie Israel oder Südkorea seien hingegen eher auf kurzfristig steigenden Bedarf vorbereitet, da sie permanente Reservekapazitäten vorhielten, so der Bericht. Auch die kürzeren Lieferketten dieser Hersteller versetzten sie in die Lage, den gestiegenen Bedarf schneller zu decken. 2022 sei bereits das zweite Jahr in Folge, in dem der Marktanteil asiatischer Firmen in der Liste der 100 Waffenproduzenten den europäischen übersteige.
Der Bericht zeigt, dass sich die Branche zunehmend geografisch diversifiziert und weniger als in vergangenen Jahrzehnten von den USA und Russland dominiert ist. Der Militärblogger Thomas Wiegold nennt als Beispiel das türkische Unternehmen Baykar, Hersteller der bewaffneten Drohne Bayraktar TB-2, die verstärkt vom ukrainischen Militär eingesetzt wird. 2022 verdoppelte sich der Umsatz von Baykar fast, das Unternehmen gehört damit erstmals zu den 100 größten Rüstungsproduzenten der Welt. Nicht nur die Kriegsführung verändert sich, auch die Waffenbranche selbst ist im Wandel begriffen. Mit dem Raketenhersteller Roketsan wanderte ein weiteres türkisches Unternehmen zum ersten Mal auf die Sipri-Liste.
Im Hinblick auf die russische Rüstungsindustrie verweisen die Stockholmer Forscher auf die unklare Datenlage und zunehmende Intransparenz. Lediglich zwei Firmen aus Russland seien in die Liste aufgenommen worden, deren Umsätze um insgesamt 12 Prozent gefallen seien. Die russischen Rüstungsexporte, die schon länger rückläufig seien, fielen laut Bericht zwischen 2021 und dem Folgejahr noch einmal deutlich, von 15 auf 8 Milliarden US-Dollar. Auch Teilemangel aufgrund westlicher Wirtschaftssanktionen habe hierbei eine Rolle gespielt. Der staatliche ukrainische Rüstungskonzern UkrOboronProm verzeichnete trotz nominell hörer Einnahmen wegen der hohen Inflation im Land einen realen Umsatzrückgang um zehn Prozent. Auf chinesische Rüstungskonzerne entfielen 18 Prozent der Umsätze, der zweitgrößte nationale Anteil nach den USA. Ihre Einnahmen stiegen um 2,7 Prozent auf 108 Milliarden US-Dollar.
Die vier deutschen Firmen auf der Sipri-Liste – Rheinmetall, ThyssenKrupp, Hensoldt und Diehl – meldeten ein Einnahmeplus von 9,1 Milliarden Dollar, was im Durchschnitt 1,1 Prozent Zuwachs bedeutet. Als wichtigstes Unternehmen wurde Rheinmetall genannt, das mit Einnahmen von 4,55 Milliarden Dollar von Platz 31 auf Platz 28 vorrückte. Das Unternehmen gab am Montag einen Großauftrag aus der Ukraine für Artilleriegranaten im Umfang von 142 Millionen Euro bekannt. Geliefert werden soll im übernächsten Jahr.
Rheinmetall stellt 155-Millimeter-Granaten her und hatte auch vor der jüngsten ukrainischen Bestellung bereits einen umfangreichen Auftragsbestand. Erst im Oktober hatte die Bundesregierung mehr als 100 000 solcher Geschosse bestellt. Jetzt kommt erneut eine fünfstellige Stückzahl hinzu. Das Unternehmen erklärte, es plane, im kommenden Jahr nach dem massiven Ausbau seiner Kapazitäten rund 700 000 Artilleriegeschosse in Deutschland, Spanien, Südafrika und Australien herzustellen.
Zuwächse verzeichneten auch Hensoldt und Diehl, während ThyssenKrupp als einziges deutsches Unternehmen auf der Sipri-Liste ein Minus von 16 Prozent verzeichnete. Mit Agenturen
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