Flüchtlinge wissen nicht, wohin im Gazastreifen

Israelische Armee: Ziele im Norden des Gazastreifens fast erreicht

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Warnungen kommen per SMS und über soziale Netzwerke: Die Menschen im Gazastreifen sollten sich an diesen oder jenen Ort begeben, so die Mitteilung des israelischen Militärs. Aber wie viele die Nachrichten noch bekommen, ist völlig offen. »Das Internet hier funktioniert nur noch sporadisch«, sagt Ahmed Khalili, der für die Vereinten Nationen im Süden des Gazastreifens arbeitet – oder vielmehr versucht, den Mangel zu verwalten.

Während der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas konnten mehrere Hundert Lastwagenladungen mit Hilfsgütern und Treibstoff von Ägypten aus in den Gazastreifen eingeführt werden, »viel zu wenig für mehr als eine Million Menschen«, so Khalili. Die Lage sei katastrophal: Hunderttausende Menschen bringe man nicht einfach so unter; viele leben auf der Straße, zusammengepfercht in Einrichtungen der Uno oder in zusammengezimmerten Hütten. Denn anders als in Kriegsgebieten wie dem Jemen spielen sich Krieg und Flucht auf engstem Raum ab.

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Jordanien hat demonstrativ Truppen an der Grenze zu Israel zusammengezogen: Man werde »um jeden Preis« verhindern, dass Palästinenser aus den besetzten Gebieten in die Nachbarländer vertrieben werden, sagte Jordaniens Regierungschef Bischer Khawasneh der Zeitung »Jordan Times«. »Sollte das geschehen, wird der Friedensvertrag mit Israel nichtig. Ein solcher Schritt würde unsere nationale Sicherheit bedrohen.«

Viele, aber nicht alle der Geiseln in der Hand von Hamas und Islamischem Dschihad sind wieder frei. Die Waffenruhe ist nun vorbei. Offiziell halten Israels Regierung und Militärführung am erklärten Ziel fest, die Hamas zu zerschlagen. Doch lässt sich das wirklich erreichen? Und zu welchem Preis? Darüber wird nun auch in Israel verstärkt gesprochen. Denn dort zu gewinnen, kann auch bedeuten, an anderer Stelle zu verlieren. Der Krieg im Gazastreifen hat dazu geführt, dass das Verhältnis zu den strategischen Partnern in der arabischen Welt eiskalt ist.

Dabei blickt man in Jordanien wie auch in Ägypten vor allem auf die Regierungsbeteiligung des rechtsradikalen Parteienbündnisses Religiöser Zionismus in Israel. Dessen Spitzenpolitiker propagieren bereits seit Langem einen »Bevölkerungstransfer« aus den besetzten Gebieten in die Nachbarländer. Bei der Regierungsbildung hat man sich Schlüsselpositionen in den Sicherheitsorganen und der Verwaltung des Westjordanlandes gesichert. Nach Kriegsbeginn im Gazastreifen wurde in Israel, aber auch von Politikern im Ausland die Möglichkeit ins Gespräch gebracht, die Sinai-Halbinsel könne zum »sicheren Hafen« für die flüchtende Bevölkerung werden. Ägyptens Regierung wies das jedoch scharf zurück.

Israels Militär geht nach wie vor davon aus, dass das Massaker am 7. Oktober, die Kriegsführung von Hamas und Islamischem Dschihad mit Unterstützung aus dem Iran orchestriert wurden. Und das Problem aus israelischer Sicht ist, dass die iranischen Revolutionsgarden ein sehr vielschichtiger Feind sind: Würde die Hamas tatsächlich aus der Gleichung verschwinden, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Revolutionsgarden die nun gegen Israel aufgepeitschte Stimmung in der arabischen Welt für den nächsten Angriff nutzen und wichtige Partnerschaften wie jene mit Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder die vertraglich noch nicht in Stein gemeißelten Beziehungen zu Saudi-Arabien dann nicht mehr zur Verfügung stehen.

Fast zwei Monate nach Kriegsbeginn gibt es auch immer noch keinen Plan für die Zeit danach. Viele der Gebäude im Gazastreifen waren schon vor dem 7. Oktober durch vorangegangene Konfrontationen beschädigt. Dass sie nie repariert wurden, liegt allerdings auch daran, dass die Hamas die Baumaterialien bevorzugt für die Aufrüstung einsetzte. An diesem Beispiel zeigt sich auch, wie extrem schwierig die Suche nach einer Lösung für Gaza ist: Selbst äußert ausgefeilte Mechanismen konnten nicht verhindern, dass die Hamas ziemlich frei über die Einfuhren verfügte, zulasten der Bevölkerung, die seit mehr als zehn Jahren unter den Israel-Zerstörungsfantasien der Hamas leidet. Immer wieder hatte es Proteste gegeben, niedergeschlagen von den Qassam-Brigaden, dem militärischen Arm der Hamas: Ihr Wort war und ist Gesetz, sagen viele, die Gaza besucht haben. Und nun liegen ganze Stadtteile in Trümmern.

Die Ziele im Norden des Gazastreifens seien fast erreicht, sagte Brigadegeneral Hischam Ibrahim am Montag. Gut 800 Tunnelschächte seien gefunden worden, gab das Militär außerdem bekannt. Zudem seien Hunderte Hamas-Funktionäre verhaftet worden. Allerdings: Von der Hamas-Führung in Gaza scheint jede Spur zu fehlen. Ägyptische Diplomaten äußern die Vermutung, dass sich die Führung längst ins Ausland abgesetzt haben könnte. Denn auch unter der Grenze nach Ägypten verlaufen Tunnel, die überwiegend für den Schmuggel eingesetzt werden. Und im unwegsamen Inland der Sinai-Halbinsel agieren radikale Gruppen, zu denen die Hamas gute Beziehungen pflegt. Trotz jahrelanger Einsätze des ägyptischen Militärs hat dieses es nie geschafft, die Situation dort unter Kontrolle zu bekommen.

Dementsprechend baut man auch in Kairo zumindest auf eine Schwächung der Hamas. Auf diesem Wege, so die Hoffnung, die Regierungsvertreter äußern, werde sich auch die Lage im Sinai besser kontrollieren lassen. Denn der florierende Schmuggel der Hamas hat den Banden dort auch Geld zugespült, das für Waffen und Ausrüstung verwendet wird.

In Ägypten setzt man für die Zukunft vollständig auf die Palästinensische Autonomiebehörde – aber ohne Präsident Mahmud Abbas und sein Umfeld. Er spielt kaum noch eine Rolle. Stattdessen liebäugelt man mit seinem Rivalen Mohammad Dahlan. In den 90er Jahren war er Sicherheitschef der PLO in Gaza, verschwand dann später nach Korruptionsvorwürfen weitgehend aus der Öffentlichkeit. Nun ist er zurück.

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