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Gaza: Künstliche Intelligenz im Fronteinsatz

Israel Armee kämpft jetzt auch im Süden von Gaza und will das Hamas-Tunnelsystem fluten

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit dem Überfall von Hamas-Trupps am 7. Oktober ist Israel im Mehrfrontenkrieg. Neben den Kämpfen in Gaza kommt es täglich zu Schusswechseln an der Grenze zu Syrien. Auch mit den in Libanon stationierten Hisbollah-Einheiten liefert man sich Scharmützel. Von Jemen aus unternehmen Huthi-Rebellen Terrorangriffe. Hinter allem steht der Iran, dessen aktuelle Absichten schwer einzuschätzen sind.

»Dies ist das erste Mal, dass Israel mit einem so vielschichtigen Mehrfrontenkrieg konfrontiert ist«, sagt Prof. Kobi Michael, ein leitender Forscher am Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv. Er sieht jederzeit die Möglichkeit, dass sich die Kämpfe auszuweiten. Der Mann, der auch als Gastprofessor in London und Peking arbeitete, kümmert sich eigentlich um Konfliktlösung, doch derzeit gebe es dafür kaum Ansatzpunkte, denn: »Der Kampf gegen eine Terrororganisation, die sich in der Zivilbevölkerung in einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt einnistet, ist sehr, sehr komplex.«

Krieg geht in »dritte Phase«

Vorrangiges Ziel der israelischen Streitkräfte, so wiederholt es Premier Benjamin Netanjahu immer wieder, sei die Zerschlagung der Hamas. Laut Generalstabschef Herzi Halevi sei gerade die »dritte Phase« der Bodenoperationen angelaufen. Nachdem man den Norden des Gazastreifens weitgehend unter Kontrolle hat, dringe man in den Süden vor, weil sich dort Hamas-Führer verstecken und zahlreiche israelische Geiseln festgehalten werden, sagt die Armee und behauptet, Khan Yunis, die wichtigste Stadt im Süden, habe man bereits im Griff. Man gehe »professionell« vor, evakuiere die Bevölkerung aus Kampfgebieten und greife die Hamas mit kombinierten Angriffen aus der Luft, zu Wasser und zu Land an.

Die Aussagen von Israels Militär sind offenbar richtig – bis auf eine. Dass man versucht, die Zivilbevölkerung aus den Kämpfen herauszuhalten und mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen, ist nicht zu beobachten. Und so sind auch von Verbündeten schärfere Töne wider die Art und Weise der israelischen Kriegsführung zu hören. In Washington äußerten sich bereits mehrere Mitglieder der Biden-Regierung besorgt. Verteidigungsminister Lloyd Austin betonte, dass das Versagen beim Schutz der Zivilbevölkerung auch für Israel gefährliche Folgen haben könnte. Wenn man die Palästinenser »in die Arme des Feindes treibt, ersetzt man einen taktischen Sieg durch eine strategische Niederlage«.

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KI verfolgt Hamas-Kämpfer

In Tel Aviv ist man derzeit sehr bemüht darzustellen, wie schonend man voranschreite. Dabei helfe Künstliche Intelligenz (KI). Auf der Armee-Website ist von einem Habsora-System die Rede. Auf der Plattform laufen alle vorhandenen Daten über terroristische Gruppen im Gazastreifen zusammen. Gespeichert sind 40 000 mutmaßliche Hamas-Kämpfer samt Bewegungsprofilen und möglichen Aufenthaltsorten. Die »Jerusalem Post« berichtet über »Berge von Rohdaten, die durchkämmt werden müssen, um die für die Durchführung eines Angriffs erforderlichen Schlüsselstücke zu finden«. Damit beschäftigt sei eine Target Factory (Zielfabrik), liest man in der »Times of Israel«. Und das US-Portal »Politico« berichtet in diesem Zusammenhang von einer erhöhten Nachfrage nach hochmoderner Verteidigungstechnologie aus den USA.

Während die israelische Tageszeitung »Jediot Achronot« betont, dass die für KI zuständige Spezialeinheit »so weit wie möglich sicherstellt, dass keine unbeteiligten Zivilisten zu Schaden kommen«, sprechen die Bilder aus dem Kampfgebiet eine andere Sprache. Auch führt KI-Unterstützung keineswegs dazu, dass man mit weniger Angriffen mehr erreicht. Allein in den ersten 35 Kriegstagen bezifferten die israelischen Streitkräfte deren Anzahl mit rund 15 000. Zum Vergleich: Beim letzten Waffengang gegen die Hamas im Jahr 2014 waren es zwischen 5000 und 6000 Angriffe – in 51 Tagen.

Israel will Hamas-Tunnel fluten

Neben der High-Tech-Kriegsführung, die von Militärs in aller Welt interessiert beobachtet wird, setzt Israel zumeist auf herkömmliche Taktiken. Aber auch auf sehr spezielle Methoden. Bereits im vergangenen Monat informierten Militärs ihre US-Ratgeber vor Ort, dass man das immense Tunnelsystem der Hamas fluten wolle. Nördlich des Flüchtlingslagers Al-Schati wurden dafür fünf große Pumpen montiert, die rund um die Uhr Tausende Kubikmeter Meerwasser in die Tunnel leiten können. Bislang setzt man Hunde und Roboter ein, um Hamas-Tunnel zu räumen. Meerwasser wäre aus Sicht der Armee weniger gefährlich, billiger und würde auch bislang nicht erkannte Systeme unbrauchbar machen.

Doch der Plan zur dauerhaften Schädigung des Hamas-Logistik-Netzes ist nicht unumstritten. Fachleute befürchtet, das salzige Wasser könne die gesamte Bodenstruktur in der Region verändern. Man hat Erfahrungen, denn Ägypten wandte diese Methode bereits 2015 gegen unterirdische Hamas-Nachschublinien an und erntete den Protest zahlreicher Bauern, deren Erträge extrem zurückgingen. Dass Israels geheime Flutpläne nun vom »Wall Street Journal« offengelegt wurden, zeigt vermutlich die ablehnende Haltung Washingtons.

Bislang, so Zahlen des Gesundheitsministeriums in Gaza, seien fast 16 000 Palästinenser getötet und mehr als 41 000 verletzt worden. Zudem wurden durch Israels Attacken über 46 000 Wohneinheiten zerstört und mehr als 1,87 Millionen Palästinenser vertrieben. Israel beklagt bislang 1200 Tote und mehr als 5400 Verletzte. Eine erneute Waffenpause scheint nicht in Sicht.

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