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TVO-Pläne in Berlin: Weichen stellen für den Osten
In der Diskussion um die Tangentiale Verbindung Ost (TVO) werden die Forderungen nach einer Nahverkehrstangente für den Bahnverkehr lauter
Schon wieder das Projekt mit dem sperrigen Namen: Vor drei Wochen startete das Planfeststellungsverfahren zur Tangentialverbindung Ost (TVO), um die Verkehrswende im Osten Berlins voranzutreiben. Der derzeitige Entwurf des CDU-geführten Senats schafft Fakten: 15,2 Hektar Wald sollen gerodet werden, mindestens 351 Millionen Euro soll es kosten, mindestens sieben Jahre dauern. Und das Sahnehäubchen obendrauf: Der jetzige Entwurf will die seit den 60er Jahren frei gehaltene Bahntrasse zubauen. Damit droht eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte im Osten zu einer reinen Schnellstraße für Autos zu werden.
Einen »Entwurf von gestern« nennt Jonas Knorr, Pressesprecher von Fridays for Future Marzahn-Hellersdorf die derzeitige Planung zur TVO. »Das bringt den Betroffenen frühestens in zehn Jahren etwas«, sagt er zu »nd«. Der Senat brüste sich in seiner Schnellstraßenplanung mit demokratischen Zielen. Man wolle Mensch und Umwelt von Lärm, Stau und Dreck befreien.
Knorr hat sich das genauer angesehen und für seine Abiturprüfung zum Projekt geforscht. 100 Anwohner*innen in Biesdorf-Süd hat er zur TVO befragt. Deutlich wurde, wie wichtig ihnen diese ist; diffuser waren die Aussagen zum Thema Nachhaltigkeit und Nahverkehrstangente (NVT). Anzumerken sei hierbei, dass die Anwohner*innen aus Biesdorf-Süd im Gegensatz zu denen aus Marzahn-Nord derzeit keine Umwege fahren müssen, um den Süden Berlins zu erreichen.
Die Bezirksorganisationen von Fridays for Future aus Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick haben gestern in einer gemeinsamen Pressemitteilung die Bedeutung einer Nahverkehrstangente betont. »Wie wollen wir zu 100 Prozent erneuerbaren Energien kommen, wenn weiter jede*r auf das eigene Auto setzt?«, ergänzt Knorr. Sie planen weiterhin Aufklärungsarbeit, Gespräche und Demonstrationen, »verstärkt, wenn die Planungen zur TVO voranschreiten«.
Auch Das Bündnis Schiene Berlin-Brandenburg (BSBB) meldete sich in einer Pressemeldung Ende November zu TVO und NVT zu Wort. Der Zusammenschluss verschiedenster nahmhafter Nahverkehrs- und Naturschutzinitiaven sieht in der TVO keine Lösung für die Verkehrsprobleme im Nord- und Südosten der Stadt. »Wir fordern den Senat auf, die im Nahverkehrsplan verankerte, für zwei zusätzliche Gleise vorgesehene Trasse weiterhin für diesen Zweck frei zu halten und nicht eisenbahnfremd zu verbauen«, heißt es. Von der Deutschen Bahn erwarten sie, dass ein »mehrgleisiger Ausbau des östlichen Berliner Außenrings problemlos möglich bleibt«.
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Probleme sieht das BSBB vor allem in der jetzigen Tendenz der Senatsverkehrsverwaltung zu einer Gleichstrom-S-Bahn. »Gleichstrom bedeutet das S-Bahn-Stromsystem (seitliche Stromschiene), und Wechselstrom bedeutet das im Regional- und Fernverkehr genutzte Bahnstromsystem mit Fahrdraht über dem Gleis«, erklärt Thomas Schirmer, Pressesprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn Berlin-Brandenburg, das Teil des BSBB ist, gegenüber »nd«. Für Fahrgäste würde dies bedeuten, dass sie eine weniger flexible Bahntrasse hätten, auf der keine Regional- oder Güterzüge fahren.
Heinz Joachim Bona, Sprecher der Verkehrswende Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg, die ebenfalls Teil des BSBB ist, verweist auf weitere Irrfahrten der Verkehrssenatorin Schreiner. Sie hatte jüngst einen Plan zur Verlängerung der U-Bahnen im Nordosten vorgestellt. »Diese Planungen sind irrsinnig! Das ist zu teuer, zu ineffizient und dauert zu lange«, beurteilt er Schreiners Vorhaben, das mindestens 17 bis 20 Jahre dauern würde, gegenüber »nd«. Die Schienen seien nämlich bereits da, wie Bona im Falle der NVT im Osten erklärt. »Prioritär« müsse der »Ausbau der vorhandenen Schienenstrecken unter Nutzung des Karower Kreuzes und der vorhandenen Bahnanlagen an der Wuhlheide« sein. So könne man sowohl eine Nahverkehrstangente entlang des Berliner Außenrings als auch das Nordkreuz mit dem Bahnhof Gesundbrunnen erweitern.
Die Senatsverkehrsverwaltung teilt »nd« nun mit, dass die Nahverkehrstangente und die Tangentialverbindung Ost »nebeneinander realisierbar« seien. Bis Ende des Jahres solle ein Systementscheid zur NVT kommen, der »klärt, ob die Strecke für den Schienenpersonennahverkehr als S-Bahn oder als Regionalverkehrslösung ausgeführt wird«. Derzeit befinde man sich noch in einer »Phase der Grundlagenermittlung« zur NVT. Letztlich liege die Entscheidung aber beim Berliner Senat.
Holprig klingt der Ausbau des Ost-Nahverkehrs laut Senat. Der Fahrgastverband Pro Bahn macht es konkret: »Umfangreiche Erdbewegungen, Umbau von Verbindungskurven, Brücken, Signal-, Bahnstrom- und Entwässerungsanlagen sowie von Lärmschutzwänden« wären nötig. Die Eisenbahn müsste alle Umbaukosten allein finanzieren. Problematisch könne auch die »Verlegung von Gleisen an das Naturschutzgebiet Biesenhorster Sand« sein. Eine klimagerechte und kosteneffiziente NVT und TVO, das klingt laut den Plänen des Senats unwahrscheinlich.
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