- Berlin
- Verkehr
ÖPNV in Berlin: Geringer Stellenwert in der Politik
Planung künftiger Magnetschwebebahn statt Förderung des Bus- und Straßenbahnverkehrs
Kabeldiebstahl, S-Bahn-Streik und jetzt auch noch ein ausgedünnter Busfahrplan. Fahrgäste des Berliner ÖPNV müssen in den Wintermonaten mit langen Wartezeiten in der Kälte und anschließendem Gedränge im übervollen Nahverkehr rechnen. Der Senat will zwar das Angebot öffentlicher Verkehrsmittel in Berlin erweitern: Im Gespräch sind langfristig eine Pilotstrecke für eine Magnetschwebebahn und verlängerte U-Bahnlinien in die Außenbezirke. Derzeit drängende Probleme wie der Personalmangel bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) sind damit jedoch nicht gelöst.
Ab dem 10. Dezember tritt der ausgedünnte Busfahrplan in Kraft. Grund dafür ist, dass die BVG den Personalmangel nicht rechtzeitig beheben konnte. Ihr Maßnahmenpaket zum Personalmangel vermindert die Busdienstleistungen um insgesamt sechs Prozent. Auf nd-Anfrage schreibt die BVG, dass die Personalsituation die gesamte Branche betreffe und das Recruiting auf Hochtouren laufe.
Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt verweist auf eine hohe Fluktuation und den erhöhten Krankenstand bei der BVG. Die Senatsverwaltung schreibt, dass »ein weiterer Abbau der Leistungsfähigkeit des Unternehmens für das Land und diesen Senat nicht hinnehmbar« sei. Die Senatorin Manja Schreiner (CDU) habe eine prioritäre Behandlung für die Lösung der Situation eingefordert.
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
Mit einer höheren politischen Priorisierung durch die Senatsverwaltung wäre die Lage bereits heute eine andere, so der Berliner Fahrgastverband Igeb. Jens Wieseke vom Igeb rechnet damit, dass Leute auf andere Verkehrsmittel wie Autos umsteigen werden, »denn niemand wartet gerne draußen in der Kälte oder drängt sich in volle Busse. Für die Verkehrswende ist das kontraproduktiv.« Nicolas Šustr vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland fügt an: »Sinnvoll für die Verkehrswende in Berlin, auch in Hinblick auf die Klimakrise, wäre eine massive Reduzierung des Autoverkehrs zugunsten von Fahrradwegen und des ÖPNV.«
Mit Blick auf die Verkehrswende schreibt der Igeb, dass Investitionen in die Infrastruktur sowie bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen des BVG-Personals ertragreicher als die derzeitigen Bauvorhaben Berlins wären. Weiter kritisiert der Verband die fehlende politische Priorisierung von ÖPNV-Fahrgästen, ohne die ein fließender Autoverkehr in Berlin nicht möglich sei. Auch effizientere Angebote könnten die ÖPNV-Fahrgäste positiv stimmen. Helfen würden hier eine konsequente Durchsetzung von Parkverboten oder die Bevorzugung von Bussen an Kreuzungen durch passende Ampelschaltungen. Technisch wären die Berliner Ampeln dazu in der Lage – es mangele an der Umsetzung.
Nicolas Šustr spricht von nur marginalen Fortschritten im Berliner Nahverkehr. »Es werden unkonkrete und langfristige Pläne gemacht, statt vergleichsweise schnell zu realisierende Projekte von Straßenbahnstrecken zu fördern. Diese Vorhaben hingegen werden ausgebremst«, sagt er. Die Senatsverwaltung hingegen betont, dass die Planung langfristiger Infrastrukturen die Befassung mit der gegenwärtigen Situation nicht beeinträchtige.
Wieseke widerspricht: »Die Gesamtqualität des Nahverkehrs in Berlin sinkt. Der ÖPNV hat weder unter der grünen Regierung noch unter der aktuellen rot-schwarzen Koalition den Stellenwert, den er haben müsste.« Insbesondere Menschen mit systemrelevanten Tätigkeiten nutzten den Nahverkehr, so Wieseke. Er halte es für unsozial, dass diese nicht mehr Priorität erhielten.
Neben dem verringerten Busangebot müssen die Fahrgäste am Donnerstag und Freitag mit Einschränkungen im S-Bahn-Verkehr rechnen, da die Lokführergewerkschaft streikt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.