Pflegeheime in Not

Zinsanstieg, Insolvenzgefahrund Arbeitskräftemangel belasten Heime

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Steigen beide: die Zahl der Pflegebedürftigen und der Mangel an Personal.
Steigen beide: die Zahl der Pflegebedürftigen und der Mangel an Personal.

»Heimbewohner verlieren ihr Zuhause.« Solche Schreckensmeldungen häufen sich in jüngerer Zeit. Ein Beispiel aus der niedersächsischen Gemeinde Neu Wulmstorf zeigt, welch ein Schaden auf dem Pflegemarkt angerichtet wird. Das »Haus an den Moorlanden« musste im Herbst schließen, weil Betreiber und Vermieter sich nicht über eine Sanierung einigten. Das Heim hatte im Juli die mehr als 70 Bewohner per Rundmail informiert. »Ein Schock vor allem für die betagten Betroffenen, die ein neues Zuhause suchen müssen, und ihre Familien«, berichtet der Sozialverband VdK.

Vermieter der Einrichtung sei die in Hamburg ansässige Immac Holding, eine Fondsgesellschaft, der eine Vielzahl an Pflegeimmobilien gehört. Betreiber des Heims war Korian, ein französischer Konzern. Er ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen und betreibt mittlerweile Einrichtungen auch in Belgien, Italien, den Niederlanden und Spanien.

In der Immobilienwirtschaft standen Pflegeheime lange hoch im Kurs. Die Rendite war höher als bei Büroimmobilien. Doch dann kam die Zinswende und die Inflation trieb die Preise für Lebensmittel und Energie in ungeahnte Höhen. Hinzu kamen die Lohnbindung durch die Politik und – angesichts diverser Pflegeskandale – höhere Auflagen von Behörden.

Doch insbesondere der Arbeitskräftemangel erhöht nun das Risiko für Betreiber, Investoren und ihre Anleger. »Es besteht ein zunehmender Mangel an Pflegefachkräften«, sagt RWI-Pflegeexpertin Dörte Heger bei der Vorstellung des »Pflegeheim Rating Report 2024«. Die Studie wurde vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) und dem Institute for Health Care Business in Essen erstellt.

Dem Report zufolge waren im Jahr 2021 in der ambulanten und stationären Pflege insgesamt 1,25 Millionen Vollzeitkräfte beschäftigt – rund 425 000 mehr als etwa vor 1999. Doch es werden viele weitere Arbeitskräfte benötigt. »Da dieser Bedarf derzeit am Arbeitsmarkt nicht vollständig gedeckt werden kann, besteht ein zunehmender Mangel an Pflegefachkräften.«

Daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern. In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten stieg die Zahl der Pflegefälle von zwei auf fünf Millionen. »Die Gesellschaft wird weiter altern«, mahnt RWI-Ökonomin Heger. »Um die damit verbundene steigende Zahl der Pflegebedürftigen adäquat versorgen zu können, braucht die deutsche Pflegebranche in den nächsten Jahren zusätzliches Personal und Kapital.«

So beziffert der Zentrale Immobilienausschuss (ZIA) den Bedarf an zusätzlichen Pflegeheimplätzen bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf 293 000. Das wäre ein riesiger Sprung, denn aktuell leben lediglich 793 000 Menschen in Heimen.

Deren wirtschaftliche Lage ist durchwachsen. Nur gut die Hälfte der Heime befand sich 2021 finanziell im »grünen Bereich«. Vor allem Luxusresorts für Senioren gelten weiter als lukrative Geldanlage. Doch neun Prozent der Heime lagen im »roten Bereich« mit erhöhter Insolvenzgefahr, mehr als ein Drittel im »gelben Bereich« dazwischen.

Dabei gibt es regionale Unterschiede. Die wirtschaftliche Situation der Heime war in Sachsen-Anhalt und Thüringen, Hessen, Berlin und Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern sowie in Sachsen vergleichsweise am besten. In Schleswig-Holstein und Hamburg, Baden-Württemberg sowie in Niedersachsen und Bremen war sie am schlechtesten. Auch innerhalb der Länder gibt es große Unterschiede.

Zwar war die Entwicklung in den Jahren 2020 und 2021 vergleichsweise sonnig, was die Studienautoren auf die Corona-Hilfen durch Bund und Länder zurückführen. Doch in den letzten beiden Jahren dürfte sich die wirtschaftliche Lage der Pflegeheime deutlich verschlechtert haben.

Mittlerweile sind »dunkle Gewitterwolken« aufgezogen, sagt Jan Grabow von der Beratungsgesellschaft Curacon. Deren aktuelles »Altenhilfebarometer« zeige tiefen Pessimismus in der Branche. Viele kleine Häuser, aber auch große wie Convivo, Curata oder die Hansa-Gruppe seien insolvent. Etwa ein Viertel der Heime sei nicht in der Lage zu notwendigen Investitionen.

Knappes Personal, gestiegene Lohn- und Sachkosten und – paradoxerweise – zu viele leere Betten gefährden die Wirtschaftlichkeit. Aufgrund der knappen Personaldecke würden von den Heimleitungen Kapazitäten stillgelegt, da die Einrichtungen andernfalls auf Zeitarbeit zurückgreifen müssten und die sei teuer.

Dabei ist die wirtschaftliche Situation von öffentlich-rechtlichen oder freigemeinnützigen Heimen oft noch angespannter als die in Heimen in privater Trägerschaft. Jenen fehlt es oft an Kapital und die Einnahmen aus Pflegekasse und Beiträgen der Heimbewohner reichen gerade für den laufenden Betrieb.

VdK-Präsidentin Verena Bentele sieht die Ursache für die besorgniserregende Entwicklung der Pflegeinfrastruktur in der Privatisierung, die in den 1990er Jahren begann. »Letztlich zeigt die aktuelle Situation, dass die Privatisierung von Pflege- und Gesundheitsleistungen ein Fehler war und am Ende auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen wird.« Die Politik sei daher wie im Krankenhausbereich gefordert, den Pflegebereich dauerhaft fit für die Zukunft zu gestalten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.