Solidarischer Luxus?

Zwei Neuerscheinungen zum Stand der Debatte um Klimagerechtigkeit und Klimasolidarität

Zwischen eskalierender Klimakrise, staatlichen und sozialen Repressionen, Rechtsruck und fehlender realpolitischer Wirkmächtigkeit ist die Klimabewegung ins Taumeln geraten. Zwei aktuelle Buchveröffentlichungen könnten Orientierung bieten: Der Sammelband »Öffentlicher Luxus«, herausgegeben vom jungen Verein Communia und der BUND-Jugend, sowie Johannes Siegmunds »Klimasolidarität«.

»Öffentlicher Luxus« sucht das gute Leben für alle in einer Formel, die die berühmte Diagnose der US-Gesellschaft von John K. Galbraith – »öffentliches Elend inmitten von privatem Reichtum« – fast umkehrt: Öffentlicher Luxus ermöglicht private Suffizienz. Gemäß der Definition des die Agenda präzise umreißenden Kapitels von Communia ist er der »bedingungslose (das heißt auch kostenlose) Zugang zu essenziellen Leistungen und Gütern ... Öffentlicher Luxus bedeutet eine Aufwertung all dessen, was wir wirklich für ein gutes Leben brauchen, und entzieht wesentliche, alltägliche Bereiche der Markt- und Profitlogik.« Soziales und Ökologie werden erst durch solche Transformationsprojekte vereinbar. Nicht zufällig beginnt das Communia-Plädoyer mit der Klimakrise – sie verdeutlicht, dass privater Luxus gesellschaftlich nicht mehr leistbar ist, aber individualisierter Verzicht eben auch keine tragbare politische Perspektive.

Neben linker Prominenz wie Nancy Fraser, George Monbiot und Eva von Redecker versammelt der Band Beiträge von Aktiven aus Landwirtschaftsbewegung, Gewerkschaft, feministischen und antirassistischen Bewegungen. Statt bloß kapitelweise Sektoren abzuklappern, liefern sie theoretische und (vor allem kolonial-)historische Einordnungen, die aber stets an Gegenwart und Praxis rückgebunden werden. Reflexionen über Rassismus, räumliche Ordnung und wirtschaftliche Demokratisierung bilden gesellschaftliche Komplexität ab, die über ein simples Lob des Öffentlichen weit hinausgeht und stets fragt, wer wie von dieser Öffentlichkeit ausgeschlossen wird – etwa durch Polizeischikanen. Ziel ist eine Gesellschaft, in der, nach Fatim Selina Diabys eleganter Formel, »geteilt und nicht unterteilt wird«. Dennoch zielt der Band weniger auf theoretische Grenzziehungen als darauf, Begeisterung für öffentlichen Luxus zu schaffen und konkrete Einstiegsprojekte wie die Entfinanzialisierung der Altenpflege oder die Gemeinwohlverpachtung öffentlicher Ackerflächen anzuregen.

Wo suffizienzorientierte Degrowth-Ansätze notorisch unattraktiv wirken, betont öffentlicher Luxus das zu Gewinnende. Wo sich andersherum »Luxuskommunist*innen« in völlig aus der Zeit gefallenen Hightech-Schlaraffenlandfantasien ergehen, wird der linke Traum vom Luxus hier gewissermaßen vom Kopf auf die Füße gestellt. In beide Richtungen werden so offene Flanken geschlossen. Öffentlicher Luxus ist das, was eine zeitgemäße und internationalistisch orientierte Linke glaubwürdig, offensiv und hegemonietauglich vertreten kann. Das ist mehr als Rhetorik: Lebensqualität wird so viel eher gesteigert als im privaten Wettbewerb, allein schon durch den wegfallenden Selbsterhaltungskampf. Das veranschaulicht Eva von Redeckers Schlusskapitel – und spielt die Radikalität dieses Anspruchs, gemessen an der historischen Realität, als bloße »ernsthafte Sozialdemokratie« etwas herunter.

In Johannes Siegmunds Essay »Klimasolidarität« tobt die Geschichte als epischer Kampf zwischen Gut und Böse, hier auf die Begrifflichkeiten Klimasolidarität und Klimarassismus gebracht. So erkenne die gegenwärtige Rechte, dass »die Zeiten revolutionär sind« – und reagiere auf die sich zuspitzende Klimakrise mit weiterer Brutalisierung globaler Verteilungskämpfe entlang traditioneller Achsen, gerichtet gegen Schwarze, Muslim*innen und Indigene. Dabei ergänzten sich die offene Gewalt ökofaschistischer Attentäter und die strukturelle Gewalt der bürgerlichen Ordnung, um die radikale Ungleichverteilung der Lebensbedingungen fortzuschreiben.

Dagegen stehen die Klimabewegungen als Erbinnen aller antisystemischen sozialen Bewegungen für konsequente Klimasolidarität. Sie verkörpern Siegmunds positives Menschenbild, nach dem Menschen auf Krisensituationen in der Regel mit Solidarität, nicht mit dem Kampf aller gegen alle reagieren. Siegmunds Essay präsentiert die Essenz der gegenwärtigen Klimagerechtigkeitsbewegung: Ihren globalen, antikolonialen Anspruch und ihre beziehungsorientierte Praxis. Bisweilen scheint er ihr ein Denkmal setzen zu wollen – weil sie scheitern muss?

Nein, würde Siegmund wohl antworten. Sein Schlusskapitel schwankt zwischen düsterer Erwartung eines Ökofaschismus und fast euphorischer, revolutionärer Zukunftserwartung. »Wir werden eine verheerte, verwundete und verwüstete Welt bewohnen müssen«, schreibt er und vertraut doch auf das grenzenlose Potenzial der Solidarität. Verständlich wird das vor dem Hintergrund Siegmunds globaler und langer historischer Perspektive: Für die meisten Bewegungen auf diesem Planeten war die Gegenwart schon immer erdrückend, der Widerstand pure Notwendigkeit. Wer wird da bei ein bisschen autoritärem Gegenwind gleich den Mut verlieren? Tough love für die an komfortable Umstände gewöhnte deutsche Klimabewegung.

Wenn Siegmund trotz dieser globalhistorischen Einbettung eine überoptimistische Sicht auf die Offenheit der historischen Situation zu attestieren ist, dann nur, weil er das Bewegungsideal der Geschlossenheit-in-Diversität großzügig als Istzustand anzunehmen scheint, während sich die realen tiefen Spaltungen in diesen Wochen wieder einmal offenbaren.

Neben- oder ineinandergelegt bringen diese beiden Manifeste den Stand der Klimagerechtigkeitsdebatte auf den Punkt: Globaler Gerechtigkeitsanspruch und der Wille zu solidarischen Beziehungen sind nur über die Aneignung der grundlegenden Versorgungsstrukturen realisierbar, denen bei entsprechender Organisation auch ein Zauber innewohnen könnte. Ist im deutschen Kontext der Anspruch globaler Klimasolidarität eine Minderheitenposition, so orientiert sich öffentlicher Luxus an realistisch gewinnbaren Mehrheiten – der Zielhorizont ist aber wesentlich deckungsgleich. Beide ergänzen sich mehr, als sie konkurrieren. Durch das Herunterbrechen auf konkrete Infrastrukturen und damit politische Projekte überbrückt »Öffentlicher Luxus« die Distanz, die zwischen dem großen Ganzen der »Klimasolidarität« und der darin beschworenen Mikroebene des Beziehungsaufbaus von unten zu klaffen scheint. Andersherum bleibt der kompromisslose globale Blick von »Klimasolidarität« ein wichtiges Korrektiv für die Praxis der lokal auszufechtenden Vergesellschaftungskämpfe.

Welchen Rat findet hier schließlich die kriselnde Klimabewegung in Zeiten des drohenden Kollapses? Ab in den Alltag, suggeriert »Öffentlicher Luxus«. Auf die eigenen Stärken besinnen, deutet »Klimasolidarität« an. Bedenkenswerte Lektionen.

Communia & BUND-Jugend (Hg.): Öffentlicher Luxus. Karl-Dietz-Verlag, 168 S., br., 16 €.
Johannes Siegmund: Klimasolidarität. Leykam, 124 S., br., 14,50 €.

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