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Berlin demonstriert gegen Gentrifizierung: Kein Bock auf Büros
Am Samstag demonstrieren Nachbarschaftsinitiativen gegen Gentrifizierung in Friedrichshain
»Aus unserem vormals lebenswerten Kiez wird nach und nach ein Büroviertel«, empört sich Timo Steinke von der Nachbarschaftsinitiative »Wem gehört der Laskerkiez«. Da man das nicht einfach so zulassen dürfe, will die Initiative mit anderen Gruppen am Samstag um 18 Uhr unter dem Motto »Überall Büros, nirgendwo sozialer Raum« im Friedrichshainer Laskerkiez demonstrieren.
Schaut man sich vor Ort um, gewinnt man tatsächlich den Eindruck, dass hier stadtplanerisch eher im Sinne großer Unternehmen als im Sinne der Anwohner*innen gedacht wird. Hier entstehen, wenn man den Versprechen der jeweiligen Bauherren glaubt, große »innovative Workspaces« mit einer »zeitlosen Uniqueness« – darunter der »Ostkreuz Campus« des Immobilienentwicklers Pandion, die »Waterfront Dockyard Offices« des Investors »Aermont Capital« und das Projekt »A Laska« von Trockland. Ein paar hundert Meter weiter an der Warschauer Straße prägt der »Amazon Tower« die Skyline.
»In der Priorisierung von hochpreisigen Objekten spiegeln sich die problematischen Praktiken des Berliner Immobilienmarktes wieder. Wertvoller Berliner Boden wird hauptsächlich dem Profitinteresse weniger zulasten des Gemeinwohls geopfert«, sagt Christian Riedel von der Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen, das die Demonstration mitorganisiert. Der Laskerkiez sei ein Paradebeispiel für Gentrifizierung.
Auch abseits der Büroprojekte gibt es Unmut: Das Projekt »The FIZZ«, womit die Firma Quarterback hochpreisigen Wohnraum für Studierende am Markgrafendamm schaffen wollte, hinterließ beim Bau umfangreiche Schäden an den angrenzenden Wohnhäusern. »Das Unterfangen ist seit Oktober abgeschlossen«, berichtet Mieterin Sandra Frey*. »Durch die erneuten Bauarbeiten kam es zu weiteren Rissen im ganzen Haus oder auch zur Vergrößerung bestehender Risse.« Durch die Witterungsverhältnisse komme es zu Feuchtigkeit in den Mauern. »Wir haben auch riesige Probleme mit unserer Hausverwaltung. Briefe mit Fristen und Ankündigungen von Mietminderungen werden ignoriert. Wir haben mindestens seit Februar Legionellen im Wasser.« Reparaturen würden stümperhaft ausgeführt.
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Auch die Gruppe »Wir bleiben Alle Friedrichshain« ist mit an Bord. »Wir haben vor sechs Jahren im Nordkiez gegen die hochpreisigen Projekte des Investors Christoph Gröner protestiert. Diese konnten wir nicht verhindern, da ihm politisch der rote Teppich ausgerollt wurde«, erzählt Carsten Fuchs. Nun unterstütze man weitere Mieter*innenorganisationen, die ähnliche Kämpfe führen.
Die Demonstration soll mit einem Winterfest in der Kulturbar »Zukunft am Ostkreuz« enden. Die »Zukunft« hatte zum März 2022 eine Kündigung erhalten. Dagegen hatte die Belegschaft immer wieder protestiert. Jetzt ist die »Neue Zukunft« zwischen dem Club Wilde Renate und der S-Bahn beheimatet, auf einem Gelände, das der Bahn gehört und als Vorhaltefläche für die Erweiterung der Stadtautobahn A100 gilt. »Der Barbetrieb läuft wieder wie bisher. Wir konnten nahtlos umziehen ohne zu schließen. Auch Jazzkonzerte finden wieder statt und das Kino ist geöffnet«, berichtet Max Weber, der in der »Zukunft« arbeitet. »Wir unterstützen die Kiezinitiative, weil sie uns in den ungewissen und schweren Zeiten seit unserer Kündigung immer unterstützt hat.«
Was will die Demonstration am kommenden Samstag aber konkret erreichen? »Zunächst mal wollen wir den Finger in die Wunde legen und aufzeigen, was hier in den Köpfen vieler Nachbar*innen vor sich geht. Sie fühlen sich von der Gentrifizierungswelle massiv überrollt«, sagt Timo Steinke. Wegen des Zuzugs und auch mit Blick auf eine Geflüchtetenunterkunft an der Warschauer Straße, brauche es dringend Raum zum Kennenlernen, für Sprachkurse und Vernetzung. »Hier im Kiez stehen Gewerberäume leer, die sich der Bezirk oder bezirkliche Träger dringend unter den Nagel reißen sollten« – um sie dann etwa Nachbarschaftsinitiativen zur Verfügung zu stellen. »Niemand hier hat Bock auf Büros«, sagt Steinke.
Transparenzhinweis: Der Autor wohnt im Laskerkiez und unterstützt bei der Organisation der Demonstration.
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