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Hauptstadt-Grüne: Parteichefs im zweiten Anlauf gewählt
Landesdelegiertenkonferenz macht Nina Stahr und Philmon Ghirmai zur Doppelspitze
»Hello again«, begrüßt der Berliner Grünen-Landesvorsitzende Philmon Ghirmai am Mittwochabend noch einmal seine Parteifreunde – wobei Parteifreunde hier nicht der treffende Ausdruck zu sein scheint. Denn es war offen ausgetragene Feindschaft, die am Samstag dazu geführt hatte, dass die Landesdelegiertenkonferenz mitten in der Vorstandswahl ergebnislos abgebrochen werden musste. Tanja Prinz hatte sich in einer Vorabstimmung im Realo-Flügel der Grünen knapp gegen die bisherige Landesvorsitzende Susanne Mertens durchgesetzt. Bei der Delegiertenkonferenz scheiterte sie dann aber in drei Wahlgängen sehr deutlich und lief weinend aus dem Saal. Eine andere Bewerberin für den Posten der Landeschefin stand aber so schnell nicht zur Verfügung.
Deshalb am Mittwochabend nun der zweite Anlauf. Alle Anträge, die eigentlich auf dem Parteitag am Samstag beraten werden sollten, werden auf Februar und Mai vertagt. Nur die Vorstandswahl soll diesmal reibungslos über die Bühne gehen. Zunächst klappt das auch beinahe harmonisch. Die Bundestagsabgeordnete Nina Stahr, die von 2016 bis 2021 schon einmal Landesvorsitzende gewesen ist, bekommt den Posten mit 88,2 Prozent der Stimmen wieder. Sie opfert sich jedoch nur übergangsweise, weil sie ihren Sitz im Bundestag nicht aufgeben möchte. Denn eigentlich gilt bei den Grünen eine Trennung von Parteiamt und Parlamentsmandat.
Stahr, die zu den Realos gehört, bedankt sich ausdrücklich beim linken Flügel, den sogenannten Fundis, dass diese eine Ausnahme von der Regel akzeptieren. »Ich weiß, ich mute euch damit etwas zu, aber ihr mir schon auch«, bemerkt die Abgeordnete mit Blick auf den gerade in helle Aufregung versetzten Landesverband und ihre Aufgabe, für Beruhigung zu sorgen. »Wenn ihr mir heute euer Vertrauen schenkt, dann bin ich hier, solange ihr mich braucht«, verspricht Stahr in ihrer Rede. Ihr gutes Ergebnis zeichnet sich schon deutlich am Applaus ab. Sie sei bereit, sich der Verantwortung zu stellen, »aber ich kann nicht zaubern«, sagt die 41-Jährige. Es müssten alle mithelfen, denn: »Diese Welt, diese Stadt hat genug Krisen. Sie braucht nicht noch eine Krise in unserer Partei.«
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Nina Stahr räumt ein: »Politik ist ein hartes Geschäft und tut manchmal auch weh.« Doch der Umgang mit Tanja Prinz sei einer feministischen Partei nicht würdig gewesen. Auch bei Susanne Mertens müsse man sich entschuldigen. Mertens habe viel im Hintergrund gearbeitet und das hätte der Landesverband mehr wertschätzen müssen.
Vor dem Eklat am Samstag hatte es einen Brief von neun der zwölf Kreisverbände gegeben, in dem schwere Anschuldigungen erhoben worden sind. Von psychischer Unterdrückung und einer Verletzung der Grundwerte war die Rede. Das müsse man ernst nehmen, das gelte es nun aufzuarbeiten, meinen Nina Stahr und auch Philmon Ghirmai, der mit 73,5 Prozent der Stimmen als Ko-Landesvorsitzender bestätigt wird. Man müsse extern wie intern Vertrauen zurückgewinnen, sagt Ghirmai. »Die Werte, für die wir als Partei einstehen, die müssen wir selber leben.«
Sein Appell kommt nicht von ungefähr. Denn obwohl die gewählte Doppelspitze glücklich mit Blumensträußen winkend für Fotos posiert, ist das Klima im Veranstaltungsort »Tagungswerk« längst nicht so harmonisch, wie es wirken soll. Vor allem Michael Fischer verdirbt die Stimmung, als er bei der Vorstandswahl gegen Ghirmai antritt. Fischer weiß natürlich selbst, dass er keine Chance hat. So sagt er in seiner Bewerbungsrede bezeichnenderweise den Satz: »Wenn ich Parteivorsitzender werden würde – werde ich natürlich nicht.« Unter diesen Umständen muss er sich aber auch nicht krampfhaft beliebt machen und versucht es erst gar nicht. Schon als er ans Rednerpult tritt, bemerkt Fischer äußerst verschnupft, er habe als Kandidat wenigstens einen Höflichkeitsapplaus verdient. Jedoch klatscht auch nach dieser Aufforderung fast niemand. Magere fünf Stimmen erhält Fischer am Ende.
Was die Trennung von Amt und Mandat noch wert sei, wenn schon wieder gegen diese Regel verstoßen werde, will Fischer wissen. Er beschwert sich, dass der Parteitag sich nicht wenigstens 20 Minuten Zeit nehme, über den ausgebrochenen Konflikt zu sprechen, damit alle verstehen, was eigentlich los sei. Er begreife es nicht und andere im Saal sicher auch nicht. Stattdessen werde routinemäßig in der Vorstandswahl fortgefahren. Doch es kommt noch dicker. Fischer kritisiert, es gebe bei den Grünen Tabuthemen wie Flüchtlinge. Wolle man da Probleme ansprechen, werde man als AfD-Freund abgestempelt. Die Regel, dass Fragen von Männern an die Kandidaten von den Frauen im Saal zugelassen werden müssen, wenn es keine Fragen von Frauen gibt, nennt Fischer undemokratisch und unsinnig. Seine Ausführungen sorgen für lautes Grummeln. »Hoffentlich habt ihr euch nicht zu sehr aufgeregt«, sagt Fischer.
Heiterkeit bricht aus, als sich herausstellt, dass nur ein Mann eine Frage an Michael Fischer richten möchte. Die anwesenden Frauen erklären mit deutlicher Mehrheit, dass diese Frage unter den Tisch fallen muss. Später bestimmen sie pauschal für den Rest des Abends, dass Männerfragen hier und heute generell ausfallen, wenn es keine Frauenfragen gibt. Es muss dann nicht mehr einzeln darüber abgestimmt werden.
Deutlich besser als Michael Fischer kommt bei den Delegierten Torsten Kirschke an. »Ich kandidiere, weil ich es wichtig finde, dass Menschen mit Behinderungen mitreden dürfen, die Stadt mitgestalten dürfen«, erklärt er seine Bewerbung als Landesvorsitzender. »Viel zu wenig, viel zu leise« höre man die Behinderten. Ihnen wolle er als Betroffener eine Stimme geben. Kirschke spricht stockend und lispelt leicht, äußert aber lauter sehr vernünftige Gedanken wie den, dass zu einem bunten, vielfältigen Berlin die Behinderten dazugehören und etwas gegen Nazis unternommen werden müsse. Das belohnen die Delegierten mit sehr viel Beifall und immerhin zwölf Stimmen. Aber Philmon Ghirmai siegt mit 103 Stimmen.
Mit 111 Stimmen wird Dara Kossok-Spieß zur Schatzmeisterin gewählt. Die 32-Jährige ist in Kasachstan geboren und im Bezirk Spandau aufgewachsen – als Tochter einer alleinerziehenden Arbeiterin, wie sie sagt. Auch an Kossok-Spieß gibt es nur eine Männerfrage und die fällt aus. Anders als die männlichen Kandidaten verzichtet sie auf zusätzliche zwei Minuten Redezeit, die ihr zustehen, selbst wenn sie keine Frage beantworten muss. Die Frauen wollen fertig werden.
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