Gaza-Krieg: Netanjahu schlägt Pflöcke ein

Israels Regierungschef will den Gazastreifen nicht der palästinenischen Autonomiebehörde überlassen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Mitten im Krieg, sagte man in Israel bisher, kritisiert man die Regierung, das Militär nicht. Man steht zusammen, und streitet hinterher. Doch am Samstagabend, 70 Tage nachdem der Krieg begann, hat die Diskussion über die Schuldfrage in Israel endgültig begonnen. Er sei stolz darauf, dass er damals in den 90er Jahren den Osloer Friedensprozess gestoppt habe, sagte Regierungschef Netanjahu während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Verteidigungsminister Joaw Galant und Oppositionsführer Benny Gantz, die gemeinsam das dreiköpfige Kriegskabinett bilden. Er, Netanjahu, sei auch gegen die Räumung der Siedlungen im Gazastreifen im Sommer 2005 gewesen, und nun werde er dafür sorgen, dass die palästinensische Autonomiebehörde Gaza nicht kontrollieren werde. Gantz und Galant, zwei langjährige Militärs, schauten versteinert drein.

Draußen nahmen Politiker und Medien die Steilvorlage des Ministerpräsidenten an, um die Dinge öffentlich auf den Tisch zu packen: Netanjahu habe in seiner ersten Amtszeit als Regierungschef Ende der 90er Jahre selbst eine Reihe von Abkommen mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ausgehandelt, wurde ihm vorgehalten. Als Minister im Kabinett von Premierminister Ariel Scharon habe er 2004 für die Räumung der Gaza-Siedlungen gestimmt. 2011 habe er dann dafür gesorgt, dass bei einem Gefangenenaustausch auch Jahya Sinwar, der heutige Chef der Hamas im Gazastreifen, freikam. Und 2018 habe er, vermittelt von Ägypten, eine Vereinbarung mit Sinwar getroffen, die die Zahlung von mehreren Hundert Millionen Dollar durch die Führung in Katar ermöglichte. Das Besondere: Es sind nun auch Abgeordnete seines Likud, die die Dinge auf den Tisch packen, immer noch zurückhaltend, aber sehr viel deutlicher als noch vor einigen Wochen.

Palästinenser-Präsident Abbas unter Druck

Auch der palästinensische Präsident Mahmud Abbas und sein Regierungschef Mohammed Schtajjeh stehen unter extremem Druck. Ihre enorme Unbeliebtheit wurde nun durch eine Meinungsumfrage erneut bestätigt. In den vergangenen Jahren hatte das keine besonders große Bedeutung: Die kleine, immer älter werdende Gruppe rund um Abbas ließ sich durch einen immer repressiver werdenden Sicherheitsapparat stützen. Und auch aus der Europäischen Union und den USA kamen keine kritischen Worte: »Wir haben jahrzehntelang keine Konfliktlösung, sondern Konfliktmanagement betrieben«, sagt ein US-Diplomat. Nun jedoch steht die Frage zur Klärung an, was mit Gaza nach dem Krieg passieren soll. Der Druck auf das israelische Kriegskabinett, einem Waffenstillstand zuzustimmen, wird mit jedem Tag stärker.

Seit einigen Tagen ist auch Jake Sullivan, nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden in der Region unterwegs. Seine Aufgabe: Er soll ein Konzept für die Zeit danach finden. Biden präferiert dabei eine Kontrolle durch eine reformierte Autonomiebehörde. Netanjahu jedoch lehnt das ab, will den Krieg weiterführen, bis die Hamas in Gaza handlungsunfähig ist, und dann Israel die Kontrolle übernehmen lassen. Die palästinensische Autonomiebehörde solle keinesfalls eine Rolle in Gaza spielen. Nur wie das israelische Militär den extrem dicht besiedelten Gazastreifen kontrollieren könnte, das kann nicht einmal sein Umfeld sagen. Die finanziellen Kosten wären enorm; diplomatische Unterstützung aus anderen Staaten gäbe es dafür wohl nicht.

Dahlan meldet Ambitionen an

Die Abbas-Regierung würde sehr gerne wieder den Gazastreifen regieren. Regierungschef Schtajjeh erklärte am Wochenende, es gebe noch über 3000 ehemalige Mitarbeiter der Sicherheitsdienste im Gazastreifen, die die Autonomieregierung jederzeit wieder aktivieren könne. Im Sommer 2007 hatte die Hamas die Kontrolle im Gazastreifen übernommen. Die Mitarbeiter der Autonomiebehörde blieben aber auf deren Gehaltsliste und wurden, offiziell, auch von dort weiter bezahlt. Allerdings: Die Leute waren schon 2007 nicht Abbas-loyal, sondern gegenüber Mohammad Dahlan, der in den 90er Jahren Sicherheitschef in Gaza wurde. Nach Abbas’ Amtsübernahme stellte dieser ihn dann kalt. Doch nun ist Dahlan zurück, meldet Ambitionen an.

Wie groß die Loyalität der einstigen Mitarbeiter zu Dahlan heute ist, mehr als 16 Jahre nach dem Aufstieg der Hamas, lässt sich nicht sagen. Tatsache ist jedoch: Die Jahre seit 2007 waren nicht nur durch den Konflikt zwischen Israel und der Hamas, sondern auch durch ein ständiges Hin und Her zwischen der Abbas-Regierung und der Hamas geprägt. Dutzende Male einigte man sich auf die Bildung einer Einheitsregierung und scheiterte danach jedes Mal. Zeitweise versuchte auch die Abbas-Regierung, Druck auf die Hamas auszuüben, indem sie die Bezahlung von Treibstofflieferungen und Löhnen blockierte, denn auch die Gehälter der Mitarbeiter einiger Ministerien der Hamas-Regierung werden von Ramallah aus bezahlt.

In den vergangenen Jahren ist die Autonomie-Regierung in eine tiefe finanzielle Krise gestürzt: Israels Regierung hielt die Überweisung von Steuereinnahmen zurück, ausländische Geldgeber fuhren ihre Zahlungen zurück. Im Westjordanland haben deshalb auch viele Mitarbeiter der palästinensischen Polizei gekündigt, was wiederum dazu führte, dass sich die Sicherheitslage in vielen Gebieten unter Abbas-Kontrolle verschlechtert hat. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Autonomiebehörde auch im Gazastreifen auf sehr viel weniger Personal zurückgreifen kann, als sie derzeit öffentlich behauptet. Ein Fragezeichen mehr für ein Gaza nach dem Krieg, dessen Ende unabsehbar bleibt.

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