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Kinderwunsch-Erfüllung mit Risiko
In-Vitro-Fertilisation, Eizellspenden und Leihschwangerschaften sind mit gesundheitlichen Belastungen verbunden
Nicht jeder lang gehegte Wunsch erfüllt sich unter dem Weihnachtsbaum – und ein echtes Kind liegt tatsächlich eher selten in der Krippe. Jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren hat laut Bundesfamilienministerium (BMSFJ) einen unerfüllten Kinderwunsch. Viele hoffen darauf, mithilfe der Reproduktionsmedizin doch noch Eltern zu werden.
Nicht alles, was technisch auf diesem Feld möglich ist, ist in Deutschland auch legal. Die Samenspende ist seit 1986 offiziell geregelt, verboten war sie nie. Und auch die In-vitro-Fertilisation (IVF) eigener Eizellen ist zulässig und wird sogar anteilig bezuschusst – für (verheiratete) heterosexuelle Paare. Nur: Nach drei Versuchen ist hier Schluss. Weitere Versuche oder andere Wege stehen nur jenen offen, die sich das leisten können. 3000 bis 3500 Euro kostet ein Behandlungszyklus, ohne die Kosten für Medikamente zur hormonellen Stimulation.
Eizelltransfers, das heißt das Einpflanzen fremder Eizellen, und Leihschwangerschaften sind in Deutschland verboten, das regelt das Embryonenschutzgesetz von 1990. Momentan reisen jährlich etwa 1000 bis 3000 Paare ins Ausland, um dort eine In-vitro-Fertilisation mit Eizellen Dritter in Anspruch zu nehmen. Mit der Einrichtung einer zweiten Arbeitsgruppe in der Kommission, die sich ursprünglich mit einer möglichen Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs befassen sollte, hat die FDP eine Prüfung der Legalisierung altruistischer »Eizellspende« und »Leihmutterschaft« hineinverhandelt. Doch was bedeutet das eigentlich? Für die Wunscheltern, Eizellgeber*innen und Menschen, die eine Leihschwangerschaft austragen? Und wer verdient daran?
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Behandelte sind oft schon älter
Medial wird das Thema Reproduktionstechnologien vor allem aus der Perspektive ungewollt Kinderloser verhandelt: Dokus begleiten sie bei ärztlichen Untersuchungen und zeigen fertig eingerichtete und leere Kinderzimmer. Hautnah erleben die Zuschauer*innen Hoffnung, Rückschläge und psychische Belastung der Paare. Und tatsächlich gehen diese an ihre Grenzen: finanziell, psychisch und körperlich.
Personen, die für einen Eizelltransfer ins Ausland reisen, sind oft bereits älter – eventuell haben sie lange versucht, auf herkömmlichem Wege schwanger zu werden, haben erfolglos IVF-Behandlungen im Inland in Anspruch genommen. Entsprechend hoch sind die Risiken einer Schwangerschaft. In einer 2021 veröffentlichten Studie der Charité zeigten sich unter den beobachteten 141 Schwangerschaften unter anderem erhöhte Präeklampsieraten (umgangssprachlich Schwangerschaftsvergiftung), ein häufigeres Auftreten von Frühgeburten und geringem Geburtsgewicht sowie ein gesteigertes Risiko für starken Blutverlust während der Geburt.
Ein Großteil der Schwangeren war zwischen 40 und 50 Jahre alt. 39 Prozent von ihnen hatten bereits zuvor ein Kind zur Welt gebracht. In der Berichterstattung dominieren hingegen junge Paare, bei denen meistens eine Vorerkrankung zur Kinderlosigkeit geführt hat. Tatsächlich nehmen vor allem solche Menschen Kinderwunschbehandlungen in Anspruch, bei denen schlicht das Alter eine Schwangerschaft unwahrscheinlich macht. Denn die Fruchtbarkeit von Menschen mit Uterus nimmt bereits ab Mitte 20 ab – und verschlechtert sich ab Mitte 30 noch einmal drastisch.
Dass Menschen, die einen starken Kinderwunsch verspüren, hohe Risiken auf sich nehmen, ist nachvollziehbar – aber was ist mit jenen, die zu Erfüllungsgehilf*innen dieser Wünsche werden? Welche Beweggründe Menschen haben, die ihre Eizellen abgeben und wie sie die Prozedur erleben – das findet medial wenig Beachtung. Etwas anders sieht es bei der Leihschwangerschaft aus. Dokus zeigten die Leihmütter bei Beginn des russischen Angriffskrieges in ukrainischen Bunkern und fokussierten dabei in erster Linie auf die Extremsituation. Selten wird hingegen öffentlich über die medizinischen Risiken gesprochen, die mit assistierter Reproduktion einhergehen.
Risiken der Eizellentnahme
Bei der Eizellentnahme handelt es sich um einen invasiven Eingriff, dem eine Hormonbehandlung vorausgeht, um die Zahl der pro Zyklus heranreifenden Eizellen zu erhöhen. Diese Prozedur birgt Risiken. Dazu gehörte das ovarielle Hyperstimulationssyndrom (OHSS), das in leichten Fällen vor allem durch eine Vergrößerung der Eierstöcke und Unwohlsein gekennzeichnet ist, aber auch zu Flüssigkeitsansammlungen im Bauchraum und in schweren Fällen sogar zu Nierenversagen führen kann. Zahlen zur Häufigkeit von OHSS variieren stark. Es stimmt zwar, dass sich die Stimulationsprotokolle inzwischen verfeinert haben. Allerdings lassen sich die Zahlen beispielsweise aus dem deutschen IVF-Register nicht einfach übertragen: Menschen, denen für eine klassische IVF Eizellen entnommen werden, sind im Durchschnitt älter als »Spender*innen«. Das OHSS-Risiko ist aber bei jüngeren Menschen höher.
Zudem wird bei der klassischen IVF eine Entnahme von bis zu zehn Eizellen pro Zyklus anvisiert, in Deutschland sind es durchschnittlich 9,2. Bei einem Eizelltransfer von einer dritten Person liegt die Zielvorgabe bei 10 bis 15 Eizellen pro Entnahme, manchmal sogar höher. Dementsprechend wird auch anders stimuliert.
In einer US-amerikanischen Befragung von Eizellspender*innen gaben immerhin 39 Prozent an, mittelschwere OHSS-Symptome gehabt zu haben, bei 1,2 Prozent von ihnen kam es sogar zu lebensbedrohlichen Symptomen. Die Befragung unterstreicht aber auch, dass das Stimulationsprotokoll, die anvisierte Anzahl der Eizellen und die Häufigkeit der Abgabe einen großen Einfluss auf das OHSS-Risiko haben. Hinzu kommen Risiken bei der Entnahme wie Narkosekomplikationen oder Gefäßverletzungen.
Auch eine Leihschwangerschaft fordert den Körper stark. Die Person trägt alle Risiken einer herkömmlichen Schwangerschaft und Geburt, inklusive der Alltagseinschränkungen. Außerdem gibt es zusätzliche Risiken, die mit Schwangerschaften nach IVF assoziiert werden: Dazu gehören eine hohe Rate von Mehrlingsschwangerschaften, ein erhöhtes Diabetesrisiko und ein ebenfalls erhöhtes Risiko für postpartale Schlaganfälle.
Was der Begriff Altruismus verschleiert
In Deutschland werden derzeit lediglich die Leihschwangerschaft und die altruistische »Eizellspende« diskutiert. Aber dieser Terminus verkennt, dass dahinter ein ökonomisches Gefälle und ein Markt stehen – denn auch, wenn »Eizellspender*innen« nur eine Aufwandsentschädigung erhalten, verdienen andere mit diesem Geschäft. Das BMFSJ empfahl 2020, die Bezeichnungen »Reproduktionsmedizin« und »Künstliche Befruchtung« zu ersetzen, da diese von ungewollt Kinderlosen als zu kalt und technisch empfunden würden und Assoziationen zu einem »industriellen Prozess« weckten. Dabei befindet sich auch hierzulande nur etwa ein Drittel der Fertilitätskliniken in öffentlicher Hand, ein Großteil ist privat – mit einer wachsenden Beteiligung internationaler Konzerne.
Kinderwunschbehandlungen sind global ein wachsender Markt, auf dem neben der eigentlichen Behandlung auch Zusatzleistungen angeboten werden. Dazu gehören Tests der Eizellgeber*innen auf genetische Anlagen für bestimmte Erkrankungen genauso wie Präimplantationsdiagnostik am Embryo oder in einigen Ländern auch die geschlechterselektive Auswahl der Embryos. Solche Untersuchungen erfahren hier eine gewisse Normalisierung: Wer so viel in seinen Kinderwunsch investiert, möchte dann eben auch ein Kind ganz nach den eigenen Wünschen.
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