Besiedlung Nordeuropas: Klimaanpassung ist eine alte Geschichte

Regionale Klimatrends prägten die Besiedlungsgeschichte Nordeuropas und die Ernährungsweise der Menschen

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit dem Ende der Eiszeit wurde es wärmer und wärmer, die Gletscher schmolzen und zogen sich mehr und mehr nach Norden zurück. Das Land wurde grüner, es kamen Tiere und dann Menschen, die sahen, dass es gutes Land war, und besiedelten es bis zum heutigen Tage. Das könnte die Kurzform der vergangenen 12 000 Jahre nord- und mitteleuropäischer Geschichte sein. Aber ganz so geradlinig verlief sie nie. Warmperioden wurden abgelöst von kälteren Phasen, die manchmal sehr abrupt eintraten. Eine Forschungsgruppe der Universität Kiel und des Exzellenzclusters Roots unter Leitung von Magdalena Bunbury veröffentlichte kürzlich zusammen mit Kollegen aus Oslo, Tromsø und Stavanger eine Studie, die die Zusammenhänge zwischen Klimaschwankungen, kulturellen Anpassungen und Bevölkerungszahlen aufdecken soll.

Die Untersuchung umfasst den Zeitraum zwischen zirka 4300 und 1100 v. u. Z. und räumlich das Gebiet vom arktischen Norwegen bei 75 Grad nördlicher Breite bis Süddänemark und zur angrenzenden norddeutschen Ebene, das heißt etwa zum 50. nördlichen Breitengrad. Es wurden 49 hochauflösende Klimaarchive herangezogen, um ein detailliertes Bild der regionalen und lokalen Klimaentwicklung zu bekommen. Es stellte sich dabei deutlich heraus, dass die Region in drei Klimazonen eingeteilt werden muss: Süddänemark und die norddeutsche Ebene, Südnorwegen sowie das arktische Norwegen.

Die Studie stellt einen Bezug zwischen den Daten der Klimaveränderungen und den zur Verfügung stehenden archäologischen Daten zur Bevölkerungsentwicklung her. Um ein umfassendes und detailliertes Bild zu bekommen, wurden Hunderte wissenschaftlicher Studien und nichtpubliziertes Forschungsmaterial zur Siedlungsgeschichte der Region ausgewertet, um die Entwicklung der Bevölkerungsdichte zu studieren. Die Forscher identifizierten 6268 Häuserbeschreibungen aus rund 1500 archäologischen Fundstätten, die ein zuverlässiges Bild der Bevölkerungsentwicklung in der Jungsteinzeit und älteren Bronzezeit zeichnen.

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Neue Jagdgebiete im Norden

Die Region war bis zum Beginn des Holozän nur dünn bevölkert, doch die steigenden Temperaturen lockten weitere Jäger-Sammler-Gruppen an, sich hier niederzulassen. Neue Jagdgebiete zu finden, war eine Anpassungsstrategie, die die Jäger und Sammler schließlich bis in das arktische Norwegen führte. Die Beutetiere wechselten mit zunehmender geografischer Breite von Rotwild zu Rentieren und marinen Säugern. Landwirtschaft spielte im gesamten Untersuchungszeitraum nur eine geringe Rolle und verschwand in Zeiten kühleren Klimas ganz. Erst in der frühesten Neuzeit änderte sich das etwas.

Im gesamten Gebiet wurde die Fischerei immer wichtiger und die Bevölkerungszahl stieg langsam an. Der entscheidende Einschnitt kam etwa 4000 v. u. Z., als das Klima milder war als heute. 1500 Jahre später als in Zentraleuropa kam zu der Zeit das Wissen um den Ackerbau nach Südskandinavien und mit der verbesserten Nahrungsgrundlage stieg die Bevölkerungszahl. Es war ein vorsichtiges Herantasten der Jäger an die neue Lebensweise, wie die archäologischen Daten deutlich machen. Etwa 300 Jahre wurden für den Übergang von Fischerei, Jagd und Sammeln zur Landwirtschaft benötigt, die aber weiterhin von den drei anderen Aktivitäten ergänzt wurde. Emmer und einige Jahrhunderte später Gerste waren die ersten und wichtigsten Anbauprodukte, während zunächst Schafe und Ziegen und dann Schweine und Rinder gehalten wurden. Die Siedlungen lagen nun im Inland statt an der Küste und es wurden erstmals Häuser mit zwei Pfostenreihen gebaut, während die Bevölkerungsdichte stieg.

Abkühlung und erneute Erwärmung

Zwischen 3450 und 1450 v. u. Z. kühlte sich das Klima langsam ab. Das Team nennt dies das »2250-v. u. Z.-Ereignis«, um einen Mittelwert zu benennen. Die regionalen Unterschiede in diesem langen Zeitraum waren jedoch beträchtlich. Als Ursache nimmt die Forschungsgruppe Änderungen in der nordatlantischen Oszillation an – grob gesagt in den Strömungsverhältnissen des Golfstroms und seinen Wechselwirkungen mit der Atmosphäre.

Die Menschen durchlebten kältere und niederschlagsreichere Perioden und die Bevölkerungszahlen sanken. Die Bauweise änderte sich hin zu Grubenhäusern. Der versenkte Fußboden hielt besser die Wärme im oberen Bereich zurück, während es im unteren Bereich, wo die Ernte gelagert wurde, kälter war. In Südskandinavien bauten die Menschen nun mehr Feldfrüchte an, um Ernteverluste ausgleichen zu können, während die Bewohner Südnorwegens auf eine halbnomadische Lebensweise mit Viehzucht als Schwerpunkt setzten.

In dieser Periode wurde auch der Handel mit Südeuropa unterbrochen, bei dem insbesondere Bernstein gegen Bronzegegenstände getauscht wurde. Der Vulkanausbruch von Santorini war eine Ursache dieser Unterbrechung und Ressourcenknappheit könnte eine andere gewesen sein.

Mit der erneuten Erwärmung, verbunden mit dem Fund metallurgischer Ressourcen in Jütland und Norddeutschland und erneutem Bevölkerungswachstum, entwickelte sich auch hier die Bronzezeit. Die Grubenhäuser wurden aufgegeben und erneut Häuser mit zwei und drei Pfostenreihen gebaut. Die archäologischen Hinterlassenschaften deuten an, dass die Gesellschaft reicher geworden war und sich Führungseliten bildeten.

Die vorliegende Untersuchung ist nicht die erste ihrer Art, die Roots durchgeführt hat. Bereits vor einigen Jahren gab der Exzellenzcluster eine ähnliche Studie heraus, bei der der Zusammenhang von Klimaschwankungen und Bevölkerungsentwicklung im mitteldeutschen Raum mit dem Harz als Zentrum untersucht wurde.

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