Nach Angriff auf Antifa-Demo: Gericht sieht kein rechtes Motiv

Jugendstrafe für Attacke auf Antifas mit tonnenschwerem Pick-up

  • Joachim F. Tornau, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.
Beim AfD-Parteitag in Hamburg war der Verurteilte vorsätzlich in eine Gruppe von Gegendemonstrant*innen gefahren.
Beim AfD-Parteitag in Hamburg war der Verurteilte vorsätzlich in eine Gruppe von Gegendemonstrant*innen gefahren.

Fast ein halbes Jahr hatte das Kieler Landgericht eine Autoattacke auf Teilnehmer*innen einer Kundgebung gegen die AfD im schleswig-holsteinischen Henstedt-Ulzburg verhandelt. Am Donnerstag wurde das Urteil verkündet: drei Jahre Jugendstrafe für Melvin S.

Die Urteilsbegründung dauerte bereits eine halbe Stunde, da fiel der Satz, der im Saal den Atem stocken ließ. »Wir haben nicht feststellen können«, sagte Richterin Maja Brommann, »dass es sich um einen rechten Angriff aus Hass auf den politischen Gegner oder aus Rassismus gehandelt hat.«

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Der mittlerweile 23-Jährige, damals noch Mitglied der Rechtsaußenpartei, hatte im Oktober 2020 mit einem tonnenschweren Pick-up mehrere antifaschistische Demonstrant*innen angefahren – gezielt und absichtlich, wie nicht nur die Betroffenen überzeugt sind, sondern auch die Staatsanwaltschaft, die den jungen Mann deshalb wegen versuchten Totschlags anklagte. Die Jugendstrafkammer aber befand: Es war nur gefährliche Körperverletzung sowie ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr. Und keine politische Straftat.

»Dem Angeklagten«, erklärte die Strafkammervorsitzende Brommann, »war zwar die potenzielle Lebensgefährlichkeit seiner Handlungen bewusst, er nahm den Tod der Nebenkläger aber nicht billigend in Kauf.« Gleichwohl blieb die verhängte Jugendstrafe, von der wegen der überlangen Verfahrensdauer zwei Monate als verbüßt gelten sollen, lediglich ein halbes Jahr unter der Forderung der Staatsanwaltschaft.

Die Verteidigung hatte Freispruch verlangt: Melvin S. habe den silberfarbenen VW Amarok seiner Mutter nur deshalb auf den Gehsteig gelenkt und sei auf die Demonstrant*innen zugefahren, weil er einem seiner Begleiter habe helfen wollen, der von Linken angegriffen worden sei. Das als strafbefreiende Nothilfe zu werten, wie Anwalt Jens Hummel gefordert hatte, lehnte das Gericht in deutlichen Worten ab: Keiner der Menschen, die Melvin S. bei der Tat verletzt hatte, sei an einem Angriff beteiligt gewesen. Sie seien nicht einmal in unmittelbarer Nähe gewesen.

Aber dass der Freund von irgendjemandem ein oder zwei Schläge ins Gesicht bekommen habe, hielt die Strafkammer für erwiesen. Und deshalb sei es das »vorrangige Ziel« des Angeklagten gewesen, dem Freund zu helfen, »wenn auch mit objektiv nicht passenden Mitteln«. Für eine gezielte Verfolgung der vier betroffenen Demonstrant*innen sah das Gericht hingegen keine Beweise. Dass Melvin S., nachdem er seine ersten beiden Opfer angefahren hatte, ungebremst mit rund 20 Stundenkilometern weiterfuhr und auf eine schwarze Frau zuhielt, erklärte Brommann mit »Überforderung«.

Die rechte Gesinnung des Angeklagten, seine damalige aktive Mitgliedschaft in der AfD, das provozierende Verhalten, das er und seine drei Begleiter am Rande der Kundgebung gezeigt hatten: All das erwähnte die Richterin ausdrücklich. Doch für die Tat sei es nicht ausschlaggebend gewesen. Für Nebenklageanwalt Björn Elberling war das »inhaltlich nicht überzeugend«. Er hatte in seinem Plädoyer darauf verwiesen, dass der Angeklagte vor der Tat in einer Chatnachricht von seinem Hass auf Linke und dem angeblich drohenden Aussterben der weißen Deutschen geschrieben hatte. »Uns kam es nicht auf das Strafmaß an, sondern darauf, dass ein rechter Angriff festgestellt wird«, sagte Elberling. »Dass das nicht passiert ist, ist die größte Enttäuschung.«

Auf der anderen Seite zeigte sich auch Verteidiger Hummel unzufrieden. »Es wird zu prüfen sein, ob wir Rechtsmittel einlegen«, sagte er nach dem Urteil. Wird es rechtskräftig, muss Melvin S. nicht nur ins Gefängnis, er verliert auch seinen Führerschein und kann frühestens nach einem Jahr eine neue Fahrerlaubnis beantragen. Außerdem stellte das Gericht fest, dass die Betroffenen Anspruch auf Schmerzensgeld haben. Zunächst muss S. ihnen zwar nur die Beträge zwischen 500 und 2000 Euro zahlen, die er selbst angeboten hat. Doch es könnte noch mehr werden: Die erheblichen psychischen und körperlichen Folgen der Tat genau zu bemessen, überließ die Strafkammer einem Zivilprozess.

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