Jürgen Trittin verlässt Bundestag: Letzter Paukenschlag

Zum Jahresende verabschiedet sich der Grünen-Politiker in der Gewissheit, etwas erreicht zu haben – und mit einer Portion Selbstgerechtigkeit

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 6 Min.

»Bei Ihrer Kondition haben Sie aber keine Chance, mit Fischer mitzuhalten.« Der Satz entstammt dem Munde Jürgen Trittins auf einer Wahlkampf-Fahrradtour 1998. Das war vor 25 Jahren; Trittin nahm Anlauf in den Bundestag und mehr noch, die Grünen machten sich berechtigte Hoffnungen, erstmals in einer Bundesregierung zu landen. Die mitradelnden Journalisten blieben hoffnungslos zurück, und auch ein Mitarbeiter Trittins schnaufte: »Der Jürgen hängt die Basis ab.« Klar wurde schnell: Trittin schenkt seinen, nun ja, Mitreisenden nichts.

Der heute 69-jährige Grüne hat jüngst das Ende seiner politischen Karriere angekündigt. Überraschend. Aber auch wieder nicht überraschend, denn außer dass er gern an der Spitze radelt, mag er es auch, das Feld mit Vorstößen zu überraschen. Und er mag Seitenhiebe auf Konkurrenten – damals den gerade zum Langstreckenläufer mutierten Spitzenkandidaten der Grünen und Medienliebling Joschka Fischer.

Trittin hat Fischer politisch überlebt. Während der einstige Außenminister den Bundestag verließ, als er sein Amt nach der Wahl von 2005 verlor, um aus seinen ministeriellen Kontakten künftig wirtschaftliches Kapital zu schlagen, hat Trittin bis heute immer weitergemacht. Die Welt verändert, wie die Grünen es seit vier Jahrzehnten gern propagieren. Allerdings nicht in der erwarteten Weise. Sie sind als Teil von Rot-Grün für eine Verarmungsstrategie unter Rentnern und Arbeitslosen mitverantwortlich, was Trittin heute als Fehler beschreibt, aber flugs in einen Erfolg ummünzt, indem er heutige Beschlüsse der Ampel-Koalition anführt, die er offenbar als sozialen Ausgleich empfindet. Und ausgerechnet unter Regierungsbeteiligung der Grünen führte Deutschland erstmals seit über 50 Jahren Krieg – 1999 in Jugoslawien.

Trittin trägt seinen Anteil daran, dass Deutschland sich heute als Speerspitze der Aufrüstung des Westens versteht, um den globalen Konkurrenten in der Welt Paroli zu bieten. Notfalls findet Trittin eine bessere Begründung für die kriegerische Orientierung als seine Parteikollegen, eine Begründung bleibt es dennoch. Den russischen Angriff auf die Ukraine einen imperialistischen Feldzug zu nennen, scheint ihm offenbar eine ausreichende moralische Rechtfertigung für die Scharfmacherei, die die Grünen in ihrer Politik heute an den Tag legen. Den Westen und seine Rolle in dem Konflikt als imperialistisch zu betrachten, so weit geht Trittins Antiimperialismus jedenfalls nicht.

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Russland und China sind ihm zu festen Feindbildern geworden, wie auch dem Rest seiner Partei. Auch als Gegner der bundesdeutschen Auslandseinsätze wird Trittin nicht in Erinnerung bleiben. Er zählte nicht zu den sogenannten Abweichlern, die sich gegen die Zustimmung der Grünen-Fraktion gegen den Einsatz in Afghanistan wandten und dafür die Ächtung der Parteispitzen in Kauf nahmen. Auch wenn er noch immer als ein Kopf der innergrünen Linken bezeichnet wird, ist Trittin mit seiner Partei nach rechts gewandert. Der gelegentliche Rückgriff auf linkes Vokabular ändert daran nichts.

Am Jahresende gibt Jürgen Trittin nun sein Bundestagsmandat ab. Eine unkonventionelle Entscheidung ist der verkündete Zeitpunkt zur Mitte der Legislatur. Doch Trittin tanzt mit Vorliebe aus der Reihe; er tut es im Bewusstsein einer Extraportion öffentlicher Aufmerksamkeit. Natürlich kann es auch gute Gründe für den jetzigen Zeitpunkt geben, die gibt es bei Trittin immer. Der vorzeitige Abschied kann dem Aufbau eines Nachfolgers dienen, der damit Zeit hat, sich einzuarbeiten und Pflöcke für die nächste Wahl einzuschlagen. Nachrücker für Trittin ist ein Parteifreund aus Hildesheim.

Aufmerksamkeit war Trittin jedenfalls sicher für seine letzte Rede im Bundestag, dem Vernehmen nach die 539. Man mag von dem Niedersachsen halten, was man will: Ihm zuzuhören bot immer Kurzweil. Auch wenn die Zeiten lange zurückliegen, als er zwischen 2009 und 2013 als Fraktionschef seiner Partei im Bundestag die Rolle des Oppositionsführers übernahm und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Generaldebatten Paroli bot.

Diese Zeit, von der er selbst sagt, dass sie ihm die liebste war, endete abrupt mit dem Absturz bei der Bundestagswahl 2013, da war Trittin mit Katrin Göring-Eckardt Spitzenkandidat seiner Partei. Ein Umfragehoch von über 20 Prozent verführte die Grünen zu einem Wahlprogramm, das Steuererhöhungen und einen erhöhten Spritpreis vorsah, von einem Linksruck unter der Ägide Trittins war die Rede. Die Grünen landeten bei 8,4 Prozentpunkten, eine herbe Niederlage. Dass Trittin sich in die zweite Reihe zurückzog, die rechtskonservative Göring-Eckardt anschließend aber zur Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde, bestätigte die Schuldzuschreibung in den eigenen Reihen. Auch solche Erfahrungen mögen ihre Spuren hinterlassen haben. Das Wahlprogramm von 2013 war die letzte Aufwallung Trittins als Linker, wenn man die öffentliche Wirksamkeit zum Maßstab macht.

Trittin blickt nicht nur auf 25 Jahre im Bundestag, auf ein Umweltministeramt zurück, das er effektiv nutzte, um in Deutschland das Dosenpfand einzuführen, vor allem aber, um den Ausstieg aus der Atomenergie einzuleiten und damit auch die Energiewende. Er blickt auch auf 40 Jahre als Grüner zurück, auf Proteste auf Straßen und auf Gleisen, auf Plenen und Debatten – darunter über das Verhältnis zur RAF und die Entführung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback, was ihm Jahrzehnte später in Form von Vorwürfen mangelnder Distanz dann um die Ohren flog. Trittin kam aus den K-Gruppen der alten Bundesrepublik, studierte Trotzki und Mao, was allerdings keine bleibenden Spuren hinterlassen hat, wenn man es recht bedenkt. Seine letzte Rede war eine ganz und gar staatstragende und mündete in der Warnung vor den Antidemokraten auf der Rechten, womit er sich des Beifalls des Hauses abseits der AfD sicher sein konnte.

Wo Trittin recht hat, hat er recht. Und wo nicht, fällt es häufig schwer, ihm auf die Schliche zu kommen. Welcher Grünen-Anhänger hätte einen Satz wie diesen als links oder friedensfördernd empfunden, den Trittin bei Markus Lanz zum Krieg Israels gegen die Hamas gesagt hat? »Die Form der Kriegsführung muss dem Völkerrecht entsprechen.« Petra Kelly würde sich im Grabe umdrehen.
Mit Blick auf die Grünen, ihren heutigen Stand in der Gesellschaft gibt Trittin zu Protokoll, dass alles genau so geplant gewesen sei. Im Interview des Deutschlandfunks erläuterte er, die Grünen hätten schon damals, vor 40 Jahren, gewusst: Nur auf der Basis außerparlamentarischer Bewegung »werden wir unsere politischen Ziele nicht erreichen«. Sie hätten ihre Ziele erreicht, indem sie in die Parlamente gegangen seien, dort für politische Mehrheiten gesorgt hätten und sich auch an Regierungen beteiligt haben, was in diesem politischen System notwendig sei, wenn man etwas erreichen wolle.

Ihre politischen Ziele haben die Grünen erreicht, sagt also Trittin. Er verabschiedet sich im Wohlgefühl, alles erreicht zu haben, was er konnte. Das ist nicht wenig. Aber mit den einstigen Zielen der Grünen hat es doch wenig zu tun. Jürgen Trittin bleibt der kratzbürstige Polemiker, der er immer war, aber heute spricht aus ihm die Selbstsicherheit des Politikers, der es geschafft hat.

So stimmte er zuletzt gegen die Verlängerung der Laufzeiten für drei Atomkraftwerke, die die Ampel-Koalition beschlossen hatte, als die Stromversorgung in Deutschland unsicher wurde. Und den Industriestrompreis, den sein Parteifreund, Wirtschaftsminister Robert Habeck einführen wollte, kanzelte er als »Unsinn« ab. Kein Zweifel: Trittin weiß immer genau, wovon er redet. Und Habeck fiel es sichtlich schwer, sich eine Zeit ohne Trittins sachlich begründete Einwände vorzustellen; nach Trittins letzter Rede im Plenum war er zu Tränen gerührt. Und auch die Zuschreibung zu Beginn dieses Textes, er schenke seinen Mitreisenden nichts, stimmt nur bedingt. Am Ende des schweißtreibenden Wahlkampftages auf dem Rad gab er dem Reporter ein Bier aus.

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